Beinahe täglich, zumindest aber im wöchentlichen Rhythmus wird über die Folgen des Einsatzes künstlicher Intelligenz in den deutschsprachigen Tages- und Wochenzeitungen und Magazinen heiß diskutiert – auch im Hinblick auf die Fotografie. Und zweifellos: eine öffentliche Debatte ist wichtig. Aber worum geht es eigentlich bei dieser (meist großen) Aufregung? Und wenn dieser Blog sich als solcher ausdrücklich nicht um das gesamte Spektrum des Mediums kümmern kann und will, inwiefern betrifft die Debatte überhaupt die Fotografie im künstlerischen Diskurs?
Fangen wir einmal mit der sachlichen Klärung an und betrachten den Einsatz von künstlerischer Intelligenz im Alltag. Seit vielen Jahren arbeite ich, wie viele andere Kolleg*innen, mit DeepL, einem hilfreichen tool, das eine letzte Überarbeitung der vorgeschlagenen Übersetzungen nicht verabschiedet, aber zunehmend verlässliche Arbeit leistet. Die schon mehrere Dekaden während Geschichte der Schach-Computer, will ich hier nicht zum Besten geben, denn dieses Spiel ist nicht meines. Meine Kinder berichten mir, dass das textbasierte Programm ChatGPT umfangreich in der Schule eingesetzt wird – leider nicht in einem möglichen kreativen Modus auch von Lehrer*innen. Dass auch diese Form der KI ihre Schwachstellen besitzt, wissen viele von uns.
Kommen wir nun zur Fotografie: Bildbearbeitungsprogramme sind nicht neu – viel älter als das neue textbasierte Programm, das sich dank hervorragender Pressearbeit und einer relativ homogenen Medienlandschaft in den Vordergrund einer nervösen Debatte über Grenzen und (leider zu selten) Möglichkeiten von KI gespielt hat. In diesem Blog, der sich ja auch zeitgemäß geben möchte, ist das Thema auch schon angesprochen worden. Boris Eldagsen hat es in einem ebenso einfachen wie medialen reißerischen Akt der Verweigerung einer Preisannahme, für die er sich paradoxerweise zuvor noch beworben hatte, auf eine Spitze getrieben, auf die fast jede Gazette oder jeder Online-Dienst angesprungen ist. Das ist nicht nur im Sinne des Self-marketings völlig in Ordnung, sondern sollte idealiter sogar darüber hinaus hilfreich sein. Eldagsen ist als Interview-Experte gefragt ohne Ende und bietet Workshops an. Aber sind wir dadurch in der Debatte wirklich inhaltlich vorangekommen?
Ein kleiner Exkurs in den Digital Kunst-Sektor: Refik Anadol hat nahezu zeitgleich zu Eldagsen sein digitales Kitsch-Design, das sich in monumental aufgeblasenem, auf visuelle Überwältigung zielende Farb-Form-Spiele beschränkt, welche unsere vorprogrammierten Bildschirmschoner schon seit Jahren im Kleinformat vorführen, in Düsseldorf zu halluzinatorischen Begeisterungsstürmen geführt. Da kann doch nichts falsch sein? Kunstmuseen ziehen mit artifiziellen Spielen Besuchermassen an, ignorieren jedoch gern die lästige Frage nach künstlerischer Semantik um den Preis von Attraktionen. Vielleicht hinkt der Rekurs auf dieses Beispiel auch, da die Dimension der Begriff der Intelligenz des Künstlichen hier ins Leere läuft. Aber auf diesen Unterschied zwischen Artistischen und Artifiziellen sollte man vielleicht schon beharren, wenn man sich als Bildungs-Institution geriert.
Also zurück vom bewegten Bild zur Fotografie: Der selbst noch junge Deutsche Fotorat hat zum Thema der KI Stellung unlängst bezogen, was richtig, ja unerläßlich ist im Blick auf eine bestimmte, numerisch große Klientel der Fotografie, die allerdings nichts mit dem künstlerischen Diskurs zu tun hat. Das gilt auch mit Rücksicht auf den fast schon neusten Umstand, dass Adobe soeben selbst „Photoshop“ um eine KI-Variante erweitert hat. Für den Fotojournalismus können die Folgen gravierend sein (waren sie das nicht bereits seit Beginn des digitalen Zeitalters?), wohl nicht aber für die Kunst.
In letztgenanntem Diskurs haben sich seit Jahren Michael Reisch und andere unter dem losen Begriff „darktaxa“ mit der Fragestellung beschäftigt und zuletzt in Verbindung mit der Kuratorin Barbara J. Scheuermann im Kunstmuseum Bonn eine Ausstellung unter dem Titel „Expect the Unexpected“ Ergebnisse präsentiert und in einem gedruckten Katalog (ist das – lassen wir das politisch noch einmal anders gelagerte Thema der Nachhaltigkeit einmal außer Acht – überhaupt eine konsequente mediale Form?) reflektiert. Dieser grundsätzlich empfehlenswerte Katalog setzt mit einem Vorwort ein, welches eine durch Autor*innen zusammengestellte Collage aus ChatGPT-Kommentaren zum Thema ist. Ein netter Kalauer, während die materiellen künstlerischen Aus-Drucke (!) in der Ausstellung nicht in jedem Fall überzeugen konnten. Manchmal stellt sich die Frage nach der technischen Entstehungsweise einfach vor die darüber hinaus gehenden Inhalte. Das wäre eine weitere detaillierte Debatte wert. Dennoch war diese Ausstellung ein extrem wichtiger Beitrag zur rechten Zeit.
Dennoch: In meinen Augen ist die Frage der KI im künstlerischen Kontext nur eine späte Variante der in den neunziger Jahren entbrannte Debatte um das Digitalen im Allgemeinen. Auch diese wurde in der Fotografie sehr erhitzt geführt, durchzieht etwa bereits den 2002 erschienen, von Herta Wolf herausgegebenen Sammelband über das „Paradigma Fotografie“. Die Themen Autorschaft, Urheberschaft, (Selbst-)Referenzialtät, Wirklichkeit und Indexikalität, Materialität etc. sind dabei schon lange präsent. Sind artifiziell geschaffene Bilder also nun tatsächlich, wie der Deutsche Fotorat es vorschlägt, keine Fotografie mehr?
Für die Kunst ist diese Behauptung absurd. Die These „Fotografien entstehen ausschließlich durch die Abbildung von Licht in einer Kamera“ verkürzt die Frage nach der Genese der Bilder und wäre eigentlich bereits unter dem früh einsetzenden Horizont der Digitalisierung zu stellen gewesen. Nun ist sie obsolet, denn es gibt digitale Fotografie und woher nun die jeweilige KI ihre Bilder generiert, sollte man dann ja auch beantworten können.
Zweifellos: auch und gerade im Kontext erfordert das Thema der Grenzen der medialen Beschreibungen eine mitunter große gedankliche Flexibilität – das betrifft freilich auch andere Medien, z.B. die Malerei. Es ist auch nicht damit getan, die neuen Bilder, die nicht mehr dem traditionellen Verständnis des Fotos entsprechen, einfach nur als Malerei abzustempeln. Damit ist das Problem nur verschoben, aber nicht gelöst. Vielleicht beschränkt man sich bei derartig unfruchtbaren Fragen nach dem „Wesen“ der Fotografie unter pragmatischen Gesichtspunkten auf die Trägersubstanz, das Papier. Wie lange dies dann noch FOTO-Papier genannt werden kann oder darf, deutet ironisch an, dass man damit auch nicht viel gewinnt; immerhin werden sich die entsprechenden Restaurator*innen sicher energisch des jeweiligen Materials bemächtigen.
Wie auch immer: Wirklich neue Beiträge zu diesen großen Frage-Bereichen habe ich unter dem Horizont der Debatte über KI im Zusammenhang der künstlerischen Fotografie noch nicht vernommen. Wie sollte man auch, denn das Thema der Technik betrifft systematisch nur als Zwischenstufe die entscheidende Frage nach dem semantischen Mehrwert eines künstlerischen Bildes im Verhältnis zur einfachen Reproduktion bzw. dem Abbild der Wirklichkeit? Angemessen oder möglich ist es hingegen zweifellos KI als inhaltliches Thema der Fotografie selbst zu betrachten. Wenn das intelligent passiert, ist es doch wunderbar, wenn auch keine Revolution, wie sie die Digitalisierung an sich bedeutet hat – wohl gemerkt vor und seit mehr als zwanzig Jahren.
Stefan Gronert
…ist Kurator für Fotografie am Sprengel Museum Hannover
BU: Roope Rainisto, Bodyguard, auch als NFT erhältlich
Sorry Herr Gronert. Aber die Ausstellung von Refik Anadol in ihrer These als vergrößerten Bildschirmschoner zu bezeichnen ist mehr als unnötig und hat es mir deutlich schwerer gemacht, Ihrer eigentlichen Position zu folgen. Seine Arbeiten wurden zum einen im Zusammenspiel mit alten Meistern der Malerei ausgestellt, was einen besonderen Reiz für den Besucher ausgemacht hat und hatte damit meiner Meinung nach nicht umsonst so einen hohen Zulauf. Mir als Besucher und Konsument erschien es in keiner Weise oberflächlich, was dort erreicht werden sollte und Anadol selbst hat in seinem Erklärvideo einen breiten und wie ich finde, interessanten Background zu seinem Werk vermittelt. Der Kunstpalast fördert mit Ausstellungen dieser Art den Zugang auch eines nicht ständig alerten Publikums zu solchen Welten und verbreitert damit die Basis von Kunstinteressierten immens. Und das ist für mich auch Aufgabe einer Bildungsinstitution. Wie so oft fühle ich mich als Interessierter aber nichtprofessioneller Konsument von Kunst – speziell der Fotografie und auch ihrer angrenzenden Bereiche – für als dumm und oberflächlich bespielt beschrieben und von oben herab belehrt. Schade. Das geht auch anders und dient Ihrer etwas verkapselt formulierten aber interessanten These in dem Beitrag in keiner Weise. Zumindest, wenn er sich auch an ein interessiertes aber nicht professionelles Publikum richtet. Mit besten Grüßen