Das Verschwinden, das Bremsen und das Zähneknirschen: Probleme der Farbfotografie

Die große Kunst-Welt wird gerade von einem scheinbaren Skandal bewegt, demzufolge der ehemalige britische Pop-Star Damien Hirst über das Alter seiner Hai-Skulpturen getäuscht habe. Das in Formaldehyd getauchte Tier von 1991 sei wegen Alterungsprozessen ausgetauscht worden, aber das Datum unverändert geblieben: Betrug!

Doch der vermeintliche Konzeptkünstler nimmt die Schlagzeilen selbst im deutschsprachigen Feuilleton (FAZ, Zeit, Monopol, Standard etc.) dankend in Kauf und verweist nur lässig auf das Jahr seiner Idee. Diese Diskussion kommt mir als Foto-Kurator sehr bekannt vor und ringt mir nur ein müdes Lächeln ab: einfaches Problem! Denn mit Verlaub gesagt: In meinem (wohl gemerkt!) Alltag bin ich mit sehr viel komplexeren Fragestellungen konfrontiert, die aber – über die Diskussion mit unseren Restauratorinnen hinaus – in kollegialen Kreisen tatsächlich doch nur ungern diskutiert werden. Das hängt vielleicht auch damit zusammen, dass Sammlungs-Ankäufe in Museen ein schwieriges Thema sind. Wer verfügt schon über die so genannten liquiden Mittel? Und bei den statt dessen angestrebten Dauerleihgaben stellt sich das Problem gar nicht oder nur selten. Schließlich nimmt man, was man kriegen kann. Dementsprechend wird meistens einfach irgendetwas getan, aber selten wirklich diskutiert.

Worum geht’s? Um die Frage nach dem Original bzw. dem Status der „Exhibition copies“, die auch im Kontext dieses Blogs bereits verschiedentlich angesprochen wurde. Sie sind besonders im Hinblick auf Farbfotografie akut, eine Bildform, die spätestens seit den siebziger Jahren, also quasi seit einem halben Jahrhundert, die künstlerische Fotografie dominiert. Drastischer als die alte Schwarzweiß-Fotografie geht sie mit ihrem Verschwinden einher. Das wissen wir in Museen schon länger und auch in der akademischen Beschäftigung mit dem Medium ist das Thema als Problembewusstsein mittlerweile erkannt worden.

Intern diskutieren wir im Sprengel Museum Hannover, angeregt von meiner geschätzten Kollegin Kristina Blaschke-Walther, aktuell bei Neuankäufen zeitgenössischer Positionen systematisch folgende unterschiedliche mögliche Formen der Präsentation und Aufbewahrung der Bilder, die das Problem ausbremsen sollen: 

Da ist 1. das „normale“ Original, das unter reduzierten Beleuchtungsbedingungen (das Thema der angemessenen Luftfeuchtigkeit blende ich hier einmal aus) für einen beschränkten Zeitraum gezeigt werden kann und dann für Jahre im bestens klimatisierten Depot verschwindet. 

Um diese zeitlichen Einschränkungen zu umgehen, ist 2. der Erwerb einer „Exhibition copy“ ratsam. Sie ist dann existiert dann meistens unsigniert und unnummeriert, unterliegt aber keinen weiteren konservatorischen Vorgaben – im Grunde: die Rettung jeder Kurator*in (und auch meistens der Künstler*innen). Klar, dass diese Prints irgendwann, aber vielleicht nicht innerhalb von ein paar Jahren, das Zeitliche segnen. Na gut, wenn man parallel dazu das „Original“ im Depot gelagert hat, weiß man, wie die (historisch) ursprüngliche Form einmal ausgesehen hat. Manche Künstler*innen bieten diese „Exhibition copies“ Jahre später auf einem anderen Papier, manche sogar in veränderter Größe oder Rahmung an. Ist das angemessen oder muss das um historische Richtigkeit bemühte Museum diesen Wandel der Zeitgenossenschaft ablehnen? Also rufen wir den (natürlich nicht existenten) Ethik-Rat zur Hilfe? 

In unserer Diskussion der „Exhibiton copies“ haben wir seit kurzem noch eine 3. Kategorie eingeführt, nämlich das „Faksimile“. Es ist der normalen „copy“ sehr ähnlich, insofern es keinen konservatorischen Vorgaben unterliegt. Im Unterschied dazu würde es aber nach der einmaligen Präsentation direkt zerstört und muss auch nicht von der (verstorbenen) Künstler*in autorisiert sein. Ein theoretischer Fall? Keineswegs, das sieht man in Ausstellungen immer häufiger, ist aber ein urheberrechtlich nicht ganz unbedenklicher Fall. Im Bereich der Malerei sieht man so etwas bei Ausstellungen übrigens auch bisweilen. Wichtig ist auch hier bei der Präsentation der deutliche Hinweis auf den Status des Bildes.

Was man nie sehen sollte, ist der Traum der Restaurator*innen, nämlich die 4. Kategorie des Fotos, das Archivexemplar. Es lagert als eine Farbreferenz ausschließlich im Depot. Wer allerdings will so etwas im Zeitalter der fröhlichen Inklusion (als Museum) erwerben oder (als Künstler*in) produzieren? 

Man sieht schon: wenn sich künstlerische und museale Praxis treffen, gibt es mit der Farbfotografie Probleme, bei denen wir nur zähneknirschend irgendwelche Lösungen finden müssen – denn Aussitzen ist keine Alternative. 

Wer kann diese Problem wirklich lösen? Etwa die Künstler*innen? Wolfgang Tillmans hat eine Initiative ergriffen, in dem er bei Präsentationen stets einen Neuprint fordert, der sich von den von ihm erworbenen digitalen Daten ableitet und im Modus (Größe, Papier etc.) durchaus variabel sein kann. Kann man machen, stellt aber nicht nur die oben bereits skizzierten ethischen Fragen, sondern auch das Problem, was man nach dem Ableben des Künstlers machen kann oder soll. Lösen es also daher praktisch wieder in alter, autoritärer (böses, böses Wort im Zeitalter der vorgeblichen Partizipation) Manier dann doch wieder stillschweigend die Institutionen selbst? 

Was, liebe Foto-Szene, hab ich Euch jetzt für ein Ei ins Osternest gelegt? Vielleicht dann doch lieber ein Hai in Aspik! Denn die Probleme des Feuilletons lassen sich doch einfacher konsumieren. 

Schöne Feiertage wünscht

Stefan Gronert

… ist Kurator für Fotografie am Sprengel Museum Hannover

BU: Damien Hirst, The Physical Impossibility of Death in the Mind of Someone Living, 1991

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