Quo vadis? Eine Ausstellung zur weiblichen Reisefotografie

Wer reist nicht gerne — selbst wenn dies heutzutage mit Zweifeln an den ökologischen Konsequenzen behaftet ist und sich sogleich ein moralisch eingefärbter Rechtfertigungs-Zwang eröffnet?

Das Thema ist weit und in der Kunstgeschichte auch immer einmal wieder mit Publikationen und/oder Ausstellungen thematisiert worden, also nicht gerade neu. Im Hinblick auf die Fotografie hatte noch eine Ausstellung der Berlinischen Galerie 2017 das Thema unter dem Titel „Die fotografierte Ferne. Fotografen auf Reisen (1880-2015)“ vollmundig als eine Art Überblick angekündigt. Dass man in der Annonce vor so wenigen Jahren noch nicht gendern musste, wird indirekt dadurch gerechtfertigt, dass zu den 17 ausgestellten Positionen nur drei Fotografinnen gehörten. Die Zeiten haben sich zum Glück schnell geändert…

Eine Ausstellung im noch jungen Bielefelder Kunstforum Hermann Stenner nimmt dies aktuell (und bis zum 13. August) auf und gibt dem scheinbar unendlichen inhaltlichen Horizont einen Rahmen, der im Untertitel klar definiert wird: „‚Alle Wege sind offen‘.Fotografinnen auf Reisen“. Der weibliche Akzentuierung wird hier durch 13 Positionen vertreten, die in der von Christiane Heuwinkel und der Fotografin Katharina Bosse kuratierten Präsentation einen Zeitraum von 80 Jahren abdecken. Warum gerade diesen, könnte vielleicht mit dem Hinweis auf die Zeit nach dem 2. Weltkrieg begründet werden, doch tatsächlich wird dies nicht reflektiert. Ebenso wenig wie die Konzentration auf US-amerikanische und deutschsprachige Positionen. Da steht der Anspruch eine „naturgemäß unvollständige Geschichte der weiblichen Reisefotografie“ zu formulieren, doch auf etwas dünnen Beinen. Und überhaupt: wann ist eine Reise eine solche? Kann sie sich überhaupt genuin bildlich zeigen oder nur vermittelt durch Hintergrundwissen, das eventuell durch einen notwendigen Bild-Titel transportiert wird? Grundsatzfragen darf man sich schon stellen.

Aber sei’s drum: es lohnt sich dennoch die Ausstellung anzuschauen. Nicht zuletzt weil sehr viele eher unbekannte, nicht so populäre Positionen in ihr vertreten sind. Sie werden in den vielfach kabinettartigen Räumen wie auch in der ebenso schlichten wie passenden Separierung des Katalog didaktisch überaus schlüssig vorgestellt. Eine alles umfassende „Grund-These“ zum Thema sucht man daher erst gar nicht – selbst wenn man auf ein zentrales Motiv im Vorwort stößt, dass mit dem politischen Begriff der weiblichen „Selbstermächtigung“ etwas zu modisch strapaziert erscheint. Die Bilder an sich geben das nicht in jedem Fall wieder, möchte ich als Mann behaupten. Was nicht heißt, dass sie deswegen schlechter sind.

Aber kommen wir einmal zur Sache und benennen einzelne Positionen, die meinem subjektiven wie historisch ge- bzw. übersättigten Blick Aufmerksamkeit jenseits der Unvertrautheit des Namens abverlangt haben (, was selbstverständlich nicht für alle Fotografinnen gilt). Da ist z.B. Victoria Sambunaris, die sich keineswegs naiv mit den Mythen der amerikanischen Landschaftsdarstellung auseinandersetzt. Das ist Anja Conrad, die das Mittel der Spiegelungen und Farbigkeit in ihren großstädtischen Studien geschickt einsetzt. Da ist Andrea Diefenbach, seit 2022 Professorin an der Bremer Hochschule für Künste, die mit oder ohne Personen eine eigentümliche Leere und Melancholie im Alltag entdeckt. Und da sind nicht zuletzt Justine Kurland sowie Katharina Bosse, die jeweils das Thema des Reisens speziell unter der Perspektive der alleinerziehenden Fotografin auf Reisen vor Augen führen. Beide sind auch mit Essays zum Thema im Katalog vertreten.

Diese äußerst holzschnittartigen Charakterisierungen deuten bereits die Verschiedenartigkeiten der Positionen an – so dass man sich letztlich selbst beim Durchwandern der Ausstellung wie auf eine Reise zu befinden meint. Was jetzt das spezifisch Weibliche an der gezeigten Reisefotografie ist, bleibt offen – aber vielleicht sollte eine Ausstellungen ja auch mehr Fragen stellen als beantworten.

Stefan Gronert
…ist Kurator für Fotografie am Sprengel Museum Hannover

Katalog zur Ausstellung: „‚Alle Wege sind Offen“, 160 Seiten, 24,80 €, ISBN 978-3-00-074699-4

BU: Andrea Diefenbach, Cruglic, 10.10.2014