„Kann Fotografie unsere Zeit in Bilder fassen?“, lautet der Titel eines 2004 erschienen Sammelbandes, der zwischen den Feiertagen aus dem Bücherregal lugte und mir bei der Suche nach weiteren Lücken in die Hand fiel. Gute Frage, oder? Übertragen wir sie auf die jüngsten, diesjährigen Erfahrungen, so müsste man konkretisieren: Wie spiegelt die Fotografie Corona wieder oder gar – natürlich in angemessener, elaborierterer Form – wider?
Falsche Frage? Wiederholen wir damit nicht die alte Aporien eine schlichten Abbildtheorie, welche nicht nur die Visionen eines sozialistischen Realismus zum Scheitern verurteilt hat, sondern auch einige ideologisch vermeintlich aufgeklärtere, da „westliche“ Theorien der Fotografie an der Kunst hat scheitern lassen?
Klammern wir derartige Probleme in gut Husserlscher Manier vorläufig einmal ein und befragen die „reinen Fakten“. Die Bild-Gelehrten werden zu Corona sogleich darauf hinweisen, dass das Virus selbst unsichtbar ist. Sein allgegenwärtiges Modell, darauf hat Reinhard Spieler im populären Sprengel-Clip bereits im April aufmerksam gemacht, ist de facto eine skulpturale Auftragsarbeit (nicht künstlerischer Provenienz), die in verschiedenen, mehr oder weniger attraktiven Varianten in grafischer Form unsere mittlerweile abgestumpfte Aufmerksamkeit kaum mehr zu erregen weiß. Im Unterschied zu dem spektakulären Angriff auf die World Trade Center, dessen visueller Überwältigung im Nachgang immerhin einige wenige, wenn auch eher „bildkritische“ Bilder gewidmet worden sind (z.B. von Thomas Ruff), geht Corona bislang scheinbar an der Kunst, ja sogar an der gewöhnlichen Fotografie vorbei. Ein Beweis dafür, dass unser hochgelobtes, oft zu gegenwärtiges Medium also doch an wesentlichen Aspekten der sozialen Realität vorbeigeht und nur noch der selbstverliebten Eitelkeit dient?
Weit gefehlt! Immerhin hat der unbekannte Banksy sich dem unsichtbaren Virus gewidmet, wie wir zum Jahresrückblick unserer populären Fachzeitschrift „Monopol“ entnehmen können. Wirklich befriedigend ist das freilich auch nicht, denn das begehrte auktoriale Mysterium der Street-art hat sich allenfalls mit den Indikatoren einer durch Corona bedrohten Gesellschaft beschäftigt: mit den Masken! Und damit wir es in unserer schnelllebigen Welt nicht gleich vergessen: Die “Maske in der Kunst der Gegenwart” war jüngst, das Thema zweier voneinander unabhängiger Gruppenausstellungen im Kunstmuseum Bonn sowie im Argauer Kunsthaus – als hätte diese beiden musealen Institutionen bereits 2019 geahnt, was da im Folgejahr in der gesellschaftlichen Realität auf uns zukommen würde!
Unter dem Horizont der realen Pandemie hat sich die Funktion der Maske freilich vereng. Sie dient nun nicht mehr dem visionären Spiel der Identitäten (auch ein mittlerweile schwieriger, da semantisch verengter Begriff!), ist also nicht länger ein potentiell auch künstlerisches Vehikel, sondern steht als Anzeichen (nicht zu verwechseln mit “Spuren”) für mehr oder weniger wechselseitig erwünschten Schutz vor etwas, was selbst nicht sichtbar ist. Dass dies auf der Ebene der Gestaltung von Masken innerhalb der Bevölkerung zu viel Kreativität geführt hat, muss man hier nicht länger ausführen. Aber auch die Kunst, ja sogar die Fotografie hat auf diesen funktionalen Wandel flexibel reagiert, wie das Beispiel einer neuen Werkreihe der Fotografin Sabrina Jung andeutet.
Mit diesem spärlichen Hinweis freilich ist unsere eingangs zitierte Ausgangsfrage nicht wirklich grundsätzlicher beantwortet – und das schließlich will doch Theorie… Bescheiden wir uns vielleicht deshalb mit dem zweifach begrenzten Postulat, dass (vor allem künstlerische) Fotografie nicht notwendig etwas dokumentieren oder abbilden muss und dass darüber hinaus auch das Sichtbare, die genuine Form des Fotografischen, nicht die gesamte gesellschaftliche Realität verkörpert. Momentan (und auch in den kommenden Monaten) geht es diesbezüglich wohl eher um andere Modi der Erfahrung. Dass die bildende Kunst trotzdem und gerade jetzt eine wichtige gesellschaftliche Funktion einnehmen kann, wäre das Thema eines möglichen weiteren Beitrags für ein Konsens-verwöhntes Auditorium…
Stefan Gronert
…ist Kurator für Fotografie am Sprengel Museum Hannover
BU: Sabrina Jung, Corona maks 1, 2020
Ich glaube wir werden (nach der Pandemie) mit Fotostrecken von Fotojournalisten und dokumentarisch orientierten Fotografen zu diesem Thema überflutet werden. Es wird kein Festival ohne fotografisches Corona-Narrativ geben. Aber ich glaube nicht, dass es die Aufgaben der „künstlerischen“ Fotografie ist, die „aktuellen“ Problemlagen aufzugreifen, sondern eher futuristische, utopische oder dystopische. Heute wird die Maske als Schutzinstrument wahrgenommen, per se wird und wurde sie aber häufiger bei kulturellen Riten weltweit als Inszenierungs-Instrument gebraucht und ist somit ganz und gar „künstlerisch“. Die Maske versteckt die Realität (die reale Person) und lässt diese eine Kunst-Figur werden. Ob hoher Priester, Schamane oder Karneval Jeck, sobald die Maske getragen wird, treten sie aus sich heraus, tun Dinge, die sie ohne nicht täten. Befreien sich vom eigen „Bild“ und liefern eine neu erschaffene „Persönlichkeit“. Die Pandemie stoppt diesen Verwandlungsprozess, Befreiung von Sitten und Bräuchen abgesagt, anonym sein unerwünscht. So könnte man sagen, die Maske, die einst die Menschen von ihrem normativen Verhalten befreien konnte und somit auch ein Milieu übergreifendes „Kennenlernen“ ermöglichte, ist nun zu einer abgrenzenden Schutzbarriere geworden. Auch wenn diese Maßnahme notwendig ist, ist es verständlich, dass sich eine künstlerische Fotografie eher mit der fantasievollen, rituellen, anonymen und erotischen Nutzung von Masken beschäftigt. Wie es in der Ausstellung in Bonn zu sehen war, die auch ich besuchte. Denn die Maske „befreit“ den Träger, wie die Kunst uns vom Alltag. Die von mir in Hannover 2020 kuratierte Ausstellung Positur #1, wurde auch mit einer Fotografie beworben, die eine Fuchsmaske zeigt. Obwohl die Fotoarbeit älter war, schien sie mir zeitgemäß.