Die Malerei macht es uns manchmal doch leichter: Die Debatten, was denn jetzt die „wahre“ Malerei sei, was denn ihr „Wesen“ sei, liegen schon gut 100 Jahre zurück. Im Blick auf die künstlerische Fotografie, die freilich auf eine vergleichsweise noch junge Geschichte zurückblickt, scheinen die mühsamen Begriffs-Kämpfe wohl noch nicht ausgestanden. Gerade im Blick auf die Geschichte der Kunst-Theorie meint man hier der strukturellen Wiederholung einer alten Diskussion beizuwohnen.
„Abstrakt“, „experimentell“, „konkret“, „generativ“ – es gibt eine ganze Reihe terminologischer Ansätze, die der Vereinseitigung des Bildverständnisses auf seine Abbildlichkeit eine alternative Dimension entgegensetzen wollen. Nun gesellt sich die Rede vom „opaken“ Bild dazu. Sie stammt von Franziska Kunze, die ihre an der Essener Folkwang Universität der Künste eingereichte Dissertation mit diesem (wirkungsmächtigen?) Begriff überschrieben hat. Sie ist jüngst als 280 Seiten starkes Paperback im Reimer Verlag erschienen und ergänzt im Untertitel „Das Sichtbarmachen fotografischer Materialität als künstlerische Strategie“.
Neben der systematischen wird in Kunzes Buch eine historische Perspektive eingenommen, um die Angemessenheit eines differenzierteren Bild-Begriffes der Fotografie zu unterstreichen. Auch in diesem Blog ist schon mehrfach das Diktat der dokumentarischen Fotografie kritisiert und stattdessen die Priorität der post-production betont worden – um zu unterstreichen, dass die Abbildlichkeit nicht die einzige Dimension des fotografischen Bildes sein muss. In diesem Sinne betont auch Kunzes Darstellung die Materialität des Fotos selbst. Ihre Sichtweise stösst hier also prinzipiell auf Sympathie.
Und ihre historischen Ausführungen sind auch zweifellos überzeugend, selbst wenn sie sich bei ihrer exemplarisch vorgehenden Analyse nur auf Vertreter aus Deutschland und Österreich konzentriert (vgl. 18). Die Autorin entlarvt zunächst das Modell der Transparenz des fotografischen Bildes als eine Verengung und führt aus, dass diese alte Modell folgerichtig zu einer Abwertung fotografischer Positionen in der Literatur als fehler- oder mangelhaft führte. Systematisch kann Kunze hingegen die produktiven Abweichungen von der abbildlichen Idee des Bildes an zahlreichen Beispielen der neueren Geschichte der künstlerischen Fotografie vor Augen führen. Sie reichen von Chargesheimer über Ugo Mulas, Timm Rautert u.a.m. bis hin zu Gottfried Jäger, dem spiritus rector dieses Buches, das sich dem Werk des Bielefelders auch ausführlich widmet. – Wie gesagt: Man wird Kunzes Perspektive in fast jeder Hinsicht folgen können und die Erörterung der Einzelbeispiele, die nur im Hinblick auf jüngste Beispiele manchmal etwas schwächelt, mit großem Genuss und Erkenntnisgewinn lesen. Das Buch gehört wirklich in jede Foto-Kunst-Bibliothek!
Nach kurzem Durchschnaufen mag man sich abschließend jedoch fragen, warum so ein Buch erst jetzt erschienen ist und ob ein solcher „Kampf“ gegen einen reduzierten Begriff des Fotografischen nicht schon selbst antiquiert anmutet? Ist uns wirklich geholfen, wenn wir eine neue Terminologie gegen das klapprige Gespenst der Abbildlichkeit setzen? – „Ja, was ist sie denn, die Fotografie?“, fragte der legendäre Urs Stahel vor mehr als 15 Jahren in einem launigen Essay, der zu Recht mehr Fragen als Antworten produzieren wollte. Eine ontologische Perspektive auf die Fotografie, die Frage nach ihrem „Wesen“ sollte doch längst müßig sein. Wenn uns der Unterschied zwischen einer „abstrakten“ und einer „figurativen“ Kunst heute schon nicht mehr interessiert, sollten wir das in unserem Blick auf die Fotografie nicht ebenso handhaben? Oder ist die Foto-Theorie wirklich noch nicht im 21. Jahrhundert angekommen?
Franziska Kunze, Opake Fotografien. Das Sichtbarmachen fotografischer Materialität als künstlerische Strategie, Berlin: Reimer 2019
Stefan Gronert
…ist Kurator für Fotografie am Sprengel Museum Hannover
BU: Gottfried Jäger, 1981-XVI-1 (aus der Serie “Farbsysteme”), 1981
Es ist nie zu spät! Wieso sollte der Unterschied zwischen “abstrakt” und “figurativ” uninteressant sein? Wo sie doch entscheidende Denkmodelle repräsentieren. Fast schon “Religion” sind.
Was also ist denn mit “opak/abstrakt” als Gegensatz zu “transparent/figurativ” gemeint?
Peter Remmers meint hierzu: “… Im Transparenz-Ansatz wird angenommen, dass der fotografische Gegenstand und das fotografische Bildobjekt hinreichend identisch sind. Das ist aber nicht der Fall: Der fotografische Gegenstand bzw. das Motiv ist eine Ursache (von vielen) für die Gestaltung des fotografischen Bildträgers. Die Wahrnehmung des Bildobjektes im Bildträger ist dagegen keine kausale Relation, sondern eine intentionale Beziehung. …”
“… Der Anspruch auf fotografische Transparenz wird also zweimal gebrochen: Einmal in der intentionalen Wahrnehmungsbeziehung von Bildträgern und Bildobjekt, ein zweites Mal in der Zeichenbeziehung von Bildobjekt und Abgebildetem …” (Buch: Film als Wissensform: Eine philosophische Untersuchung der Wahrnehmung … von Peter Remmers)
Es geht also um Wahrnehmung. Den subjektiven Blick. Und unsere Gesellschaft wird zunehmend “subjektiver”. Politik wird subjektiver – Ich-bezogener. Preise für Kunst werden subjektiver. Werte und Anschauungen werden subjektiver. Und mit der damit einhergehenden, scheinbaren “Klarheit der Gedanken” merken wir nicht dass uns der Blick auf die Wirklichkeit schwindet. Wir ziehen uns in unsere eigene Realität zurück. Der Blick wird “Opak”. Die Fotografie wird “Opak”. Das Bild entsteht in unserem Kopf – wir inszenieren “unsere” Vorstellung im Bild.
Was die Malerei vor 100 Jahren für das Individuum ausgemacht hat, ist heute ein globales Thema geworden. Fotografie ist ein globales Phänomen. Opazität ist ein globales Phänomen. Da kann die künstlerische Fotografie sich ruhig nochmal damit auseinandersetzen. Ist doch ganz aktuell. 🙂
Ohne das Buch gelesen zu haben, Zweifel ich an, ob die Einführung neuer Begriffe in die Foto- Theorie / Kunstwissenschaften wirklich immer sinnstiftend ist? Oft scheint es mir so, dass die Autoren sich damit nur selbst ein „Begriffsdenkmal“ setzten wollen. Es geht meist nicht um das Begreifen, also um ein Werkzeug etwas besser zu verstehen – sondern leider oftmals um das Gegenteil. Es gibt auch eine Mode der Begriffe in den Kunsttheorien, es gibt Begriffe die eine Zeitlang „hip“ sind und dann wieder nahezu verschwinden. „Performativ“ war so ein Begriff der eine Zeitlang permanent, ob passend oder nicht in allen Katalogtexten verwendet wurde, für den Leser dieser meist unverständlich, für die Autoren irgendwie „cool“. Er musste einfach in Texten auftauchen, das war dann „zeitgenössisch“. Ja „natürlich“ wandelt sich das Medium Sprache permanent, die Einflüsse sind kulturell, politisch und soziologisch Vielfältig. Das Auftauchen mancher Begriffe ist aber oft nicht „natürlich“ sondern „künstlich“ – dies ist ein entscheidender Unterschied für die „Haltbarkeit“ solcher Begriffe. Für mich sind gute Begriffe, stabile Werkzeuge die, die Phänomene unserer Welt beschreiben und dekonstruieren können, um an das Wesen ihrer gelangen zu können. Hier darf ein Verweis auf Wittgensteins Philosophie nicht fehlen, der auch in den Katalogtexten dieser Welt immer noch sehr „hip“ ist und war. Der Ausstellungsbesucher, der vielleicht von diesem Begriffs-Wirrwarr fasziniert und überfordert ist, flüchtet sich wiederum in eine „Begriffswolke“ um seine „Unwissenheit/Unentschlossenheit“ zu verbergen und nennt einfach alles „interessant“. Wenn man fragt wie fanden sie die Ausstellung, die Arbeiten, das Konzept, folgt fast immer – ja interessant!? Interessant ist aber keine Wertung im eigentlichen Sinne, sondern nur eine Beschreibung, dass ich den Dingen eine Zeitlang (während des Ausstellungbesuches) meine Aufmerksamkeit geschenkt habe. Er sagt über meine „Beurteilung“ nichts aus – macht mich also auch nicht angreifbar, schreibt mir keine Position zu. Ob der Begriff „Opake“ eine langfristige Relevanz im Frame (auch eine toller „hipper“ Begriff zu Zeit) der Fotografie-Theorie haben wird ist offen, aber er ist „interessant“ 😉