Manchmal ereignen sich Veränderungen eher schleichend oder unauffällig, so dass man ihre tatsächliche Wirkung erst mit einigem zeitlichen Abstand wahrnimmt – rückblickend oder als Hoffnung und Erwartung. Beides kann man gerade im Hinblick auf die Positionen der Foto-Kurator*innen in den deutschen Museen beobachten: ein Wandel vollzieht sich!
Im kommenden November wird Katia Reich in der Nachfolge von Ulrich Domröse die Leitung der Fotografischen Sammlung in der Berlinischen Galerie übernehmen. Und dass der nicht minder verdiente Münchener Kollege Ulrich Pohlmann im kommenden Jahr 65 Jahre alt wird, ist auch kein Geheimnis. Nach Ute Eskildsen, Thomas Weski u.a. tritt nun also endgültig die erste Generation der Foto-Kuratoren in deutschen Kunstmuseen ab. Und nun?
Einiges ist in jüngster Vergangenheit in dieser Hinsicht bereits geschehen, so dass sich eine Bestandsaufnahme lohnt: Seit wenigen Wochen ist Franziska Kunze an der Pinakothek der Moderne tätig. Unlängst hat auch Jule Schaffer in der Moritzburg in Halle begonnen. In der Staatsgalerie Stuttgart betreut die Foto-Expertin Alessandra Nappo seit Beginn des Jahres die moderne und zeitgenössische Kunst. Im vergangenen Jahr haben Linda Conze im Düsseldorfer Kunstpalast und Kathrin Schönegg bei C/O Berlin ihre Tätigkeit aufgenommen. Und Kristina Lemke (Städel) sowie Lena Fritsch (seit 2017 im Ashmolean Museum) zählen ebenfalls zu dieser neuen Generation von Kunsthistorikerinnen mit einem fotohistorischen Schwerpunkt, welche in die Museen eingezogen sind. Für die Schweiz ist unbedingt Nadine Wietlisbach zu nennen, die seit 2018 dem Fotomuseum Winterthur vorsteht.
(Wer nun seinen eigenen Namen auf der Liste der Neuzugänge vermisst, möge das dem fortgeschrittenen Alter des Verfassers zurechnen, es ggfs. verzeihen oder sich später rächen.)
Die neuen Kuratorinnen (allein Katia Reich ist eine erfahrene Ausnahme) sind jung und durchweg mehrere Jahre nach dem großen öffentlichen Boom der Fotografie der 90er Jahre ausgebildet worden – wenngleich das universitäre Angebot noch immer etwas begrenzt ist. Und: es handelt sich in allen Fällen um Frauen. Ein Umbruch der Generationen als ein Umbruch der Geschlechterherrschaft?
Ganz so idealtypisch kann man es kaum verstehen. Man berücksichtige, dass einst Ute Eskildsen die große Pionierin des musealen Arbeitens mit künstlerischer Fotografie in Deutschland war und seit geraumer Zeit auch Kolleginnen wie Esther Ruelfs (Hamburg), Miriam Szwast, Barbara Engelmann, Gabriele Conrath-Scholl, Claudia Schubert (alle Köln), Simone Förster (München) Stefanie Grebe (Essen), Inka Schube (Hannover) oder Barbara Hofmann-Johnson (Braunschweig) ganz wesentliche Positionen in diesem Feld definieren. Beileibe nicht vergessen sei zudem die jüngst zu früh verstorbene Inka Grave-Ingelmann, die den Bereich der Pinakothek der Moderne aufgebaut hat. – So viele Frauen! Welche Konsequenzen muss ein zwanghafter Reflex der Problematisierung daraus ziehen? Der vorgeblich entspannte männliche Kollege kann es vielleicht bei der Einsicht belassen, dass sich in diesem eng definierten Bereich, weiß Gott kein Abstellgleis, die nach wie vor wohl unverzichtbaren Quoten-Diskussionen vielleicht erübrigen. Wie schön!
Erwachsen aber nach der Bestandsaufnahme und „Entdeckung“ einer neuen Kuratorinnen-Generation nicht doch auch neue praktische Erwartungen an diese? Vielleicht äußern sich diese in der Hoffnung auf einen Verzicht auf die x-te Neuauflage einer Einzelausstellung von Fotografen (!) wie August Sander, Albert Renger-Patzsch, Stephen Shore, Thomas Struth, Wolfgang Tillmans, Alec Soth oder gar Helmut Newton oder Karl Lagerfeld? Auch die beliebten notorischen Bemühungen eine so liederlich vergessene Position der Weimarer oder Berliner Zeit auszugraben und diese so vor der so ungerechten Amnesie der Geschichte mit Hilfe des Marketing-tauglichen Aufklebers “Wiederentdeckung” zu retten, wirkt im Ausstellungs-Zirkus bisweilen etwas bemüht. Kurz gesagt: etwas mehr Mut und Originalität täte der musealen Präsentationswut sicher gut. Dabei sollte man fairerweise jedoch nicht Ansprüche gegenüber jüngeren Kolleg*innen einklagen, denen man selbst nicht gerecht wird. Deshalb kann man zunächst schlicht optimistisch darauf hoffen, dass die neue Generation nicht zuletzt im Bereich der Sammlungen, ihrer Pflege, Präsentation und Vermittlung wirkliche Innovationen hervorbringt. Schranken mögen gesprengt werden, denn: Es kommt die neue Kuratorin!
Stefan Gronert
…ist Kurator für Fotografie am Sprengel Museum Hannover
BU: Der zweifelnde Kurator…