Die post-coronale Museum oder: Gute Ratschläge aus London

Der momentan vielleicht gar nicht mehr ganz so grell leuchtende Star des Ausstellungswesens, der bereits als Jugendlicher eine Ausstellung in einem städtischen Klärwerk organisiert hatte, gab dem Magazin der deutschen Wochenzeitung „Die Zeit“ unlängst (No. 51, 7.12.2020) ein Interview zu den aktuell drängenden Fragen: Wie werden wir nach der Pandemie leben, also: was hat das Virus für Auswirkungen auf das Kuratoren-Dasein und natürlich auch für die Kunst selbst? Fragen, die nicht nur während des Lockdowns bewegen.

Doch Hilfe scheint in Aussicht, denn das Magazin verkündet: „Hans Ulrich Obrist erzählt, welche Rituale er entwickelt, die in die Zukunft weisen“. In Anknüpfung an den von ihm vorgestellten, hierzulande noch nicht ganz so populären französischen Schriftsteller Édouard Glissant (1928 – 2011) folgert unser Vordenker wenig überraschend, dass wir in einen globalen Dialog treten werden. Wie sich dieser Dialog jenseits einer bereits real existenten Verabsolutierung des ökonomischen Denkens gestalten soll, bleibt freilich offen – klingt aber gut. Zudem beschwört der Wahl-Londoner das seit Jahren wiedergekäute, aber kaum je praktisch realisierte Credo der Entschleunigung: „Wir müssen uns befreien von der uns beherrschenden Kurzfristigkeit, im Englischen gibt es dafür den Begriff short-terminism.“ – Englisch klingen Phrasen einfach noch mal besser.

Genau diese Aussage motivierte den Fragesteller der „Zeit“ folgerichtig zur Problematisierung des Ausstellungswesens, das bekanntlich durch die vielen Transporte und Ausstellungsstationen auch erheblich zur Umweltverschmutzung beitragen würde. Kaum zu bestreiten! Und wer nun befürchtet, das Obrist die schon vor 10 Jahren vom Deutschen Museumsbund beschworene Idee vom „grünen Museum“ aufgreifen, aber als eigene neue Erfindung proklamieren würde, liegt fast richtig. Denn was antwortet der einst einflussreichste Mensch der Kunstwelt? Erstaunlicherweise windet sich HUO, einem Politiker ähnlich, dem eine Frage nicht gefällt und der deswegen etwas Ungefragtes antwortet, geschickt aus dem ökologischen Engpass für Ausstellungsmacher, indem er auf installative outdoor-Kunst verweist: „Ja, und Sie können in der Kunst bereits beobachten, was sich gerade verändert: Künstler konzipieren etwa Ausstellungen so, dass aus ihnen anschließend ein Garten entsteht, wie das die britische Künstlerin Precious Okoyomon in Frankfurt und Toronto getan hat – unter dem Motto „Grow a garden”.“ Das erinnert fatal an Voltaires Diktum: „Cela bien dit, mais il faut cultiver notre jardin“. 

Just bei diesem “Lösungsvorschlag” wird aber auch noch einmal klar, wo sich der Wechselausstellungsmacher vom musealen Kurator unterscheidet: Er hat eben keine permanente Sammlung, muss folglich auch nicht unbedingt (!) in klassischen Kunstformen wie „Bildern“ denken und darf sich statt dessen einfach in den Garten flüchten. Nichts, gar nichts gegen den ebenso performativen, wie poetischen und zugleich sehr politischen Ansatz von Precious Okoyomon (wer sie nicht kennt: sie stellte soeben im Frankfurter MMK aus). Aber exotische Ausnahmen lösen das alltägliche Problem nicht, das sich in der Frage offenbart: Was machen die klassischen, schon immer leicht langsamer anmutenden Museen mit der künstlerischen Form von Bildern, wenn alles entschleunigt wird und wir den überhitzten Ausstellungszirkus verabschieden sollten? Und im Blick auf die Fotografie: Besteht hier nicht ein fundamentaler Widerspruch zur oft schon diagnostizierten Bilder-Flut?

Nicht doch, ließe sich entgegnen: Wir interessieren uns doch ohnehin nur für künstlerische Fotografie und davon gibt es ja nicht so viele. – Das ist leider nur eine schale Beschwichtigung, denn auch davon gibt’s genug. Und einfach nur noch Sammlung zeigen und das Event-verwöhnte Publikum (das wir natürlich stets für blöder als uns selbst halten) mit marketing-affinen Überschriften bzw. Ausstellungs-Titeln dennoch ins Museum locken? Man kann ja zusätzlich noch, hört man bisweilen von wohl meinenden Ratgebern, ein paar Häppchen dazu servieren, eine kunstferne Berühmtheit zu einem Talk einladen und das ganze mit interaktiven Spielchen im Internet im Vorfeld noch aufheizen, denn, wie wir zuletzt erneut lernen durften: „Museen müssen die besseren sozialen Medien werden“! Über die Zusammenstellung der kommenden Ausstellungen stimmen wir einfach ab auf Instagram: Expertentum in der Kultur ist sozial ausgrenzend und so was von 20. Jahrhundert! Hoch lebe die Freizeitkultur und die Form der Partizipation! 

In diese Richtung weisen die Vorschläge unseres visionären Kollegen jedoch nicht. Was also hilft? Er spaziert einfach morgens in den Kensington Garden und fragt Enten, „was ihr unrealisiertes Projekt ist. Und dann warte ich. (…) Das Warten dokumentiere ich dann auf dem Video.“ – Eine Persiflage des Journalismus? Ein unzeitgemäßer Aprilscherz? In der Tat werden die meisten meiner Kolleg*innen für derartige Verwechselungen der Rolle von Kurator*innen und Künstler*innen allerdings nicht bezahlt. Ihnen brennt vielmehr die penetrierende, oft unlösbar scheinende Frage unter den Nägeln, was wir mit unseren auch im digitalen Raum zum Glück nicht wirklich erfahrbaren Fotos machen, die wir ja eigentlich vor dem Verfall schützen wollen und deswegen nur zeitlich beschränkt ins Halbdunkel des durch Stars und Glanzlichter verblendeten Blicks rücken? Wie lassen sich diese dennoch zeigen?

Das sind nun wirklich keine neuen Fragen. Für die praktische Lösung dieser Themen brauchen wir in Zukunft andere Visionen. Nach Corona wird in dieser Hinsicht wie vor der Pandemie sein. Das post-coronale Museum ist eine bloße Chimäre, denn der permanente, wie auch immer langsam verlaufende Wandel ist Bestandteil desselben. Enten kann man in der Freizeit ruhig weiterhin füttern – aber außerhalb des Museums, bitte, und den short-terminism nicht allein mit “Quak” begegnen.

Stefan Gronert

…ist Kurator für Fotografie am Sprengel Museum Hannover

BU: Kanadische Gänse, die HUO auf TikTok gepostet hat

 

2 Kommentare zu Die post-coronale Museum oder: Gute Ratschläge aus London

  1. HUO zu Fragen “Wie werden wir nach der Pandemie leben, also: was hat das Virus für Auswirkungen auf das Kuratoren-Dasein und natürlich auch für die Kunst selbst?” ist in etwa so: als würde man seinen eigenen Drogendealer danach befragen, wie das Leben nach der Droge aussieht. Er bietet dir eine neue Droge an und sagt “in etwa so!”.
    Meiner Meinung nach hätte “die Zeit” besser daran getan Künstler und Kuratoren mit etwas mehr “Bodenhaftung” zu Interviewen. Wobei, HUO will ja nicht mehr soviel fliegen und mehr “global communication” machen. Und HUO erzählt, welche Rituale er entwickelt hat, die in die Zukunft weisen. Vielleicht gehört langsamer sprechen auch dazu. 😉

  2. Aufgrund des kulturellen Lockdowns merke ich persönlich, wie sehr mir das Museum fehlt. Nicht nur als Ausstellungsort, sondern auch als kontemplativer Ort der Ruhe, der Konzentration, des Innehaltens aber auch des Plauderns und der Ablenkung. Im Museum lasse wir die täglichen Probleme etwas hinter uns oder werden dazu verführt, eine andere Sicht auf diese zu bekommen. Diese Funktion ist gerade in Krisenzeiten heilsam. Das Museum der Zukunft wird, (wie in die allgemeine gesellschaftliche Debatte) der Frage nachgehen müssen, auf was sind wir bereit zu verzichten. Natürlich möchten wir internationale Ausstellungen, was bedeutet, dass die Kunstwerke permanent um unseren Globus rotieren, mit einer furchtbaren Ökobilanz. Ist es das wert? Das Museum der Zukunft, so würde ich mir es wünschen, sollte noch mehr ein Ort des Austausches werden, dass die lokalen Kunstszenen mehr einbezieht. Gerade heute brauchen die Künstler*innen vor Ort vielleicht mehr denn je museale Unterstützung, um ihre Existenz zu sichern, in dem ihnen die Möglichkeit zu Sichtbarkeit gegeben wird. Hier könnte auch das Museum als Plattform, mitarbeiten. Die Möglichkeit zu Partizipation, des Austausches, der städtischen Verbundenheit würde das Museum noch mehr in der lokalen kulturellen Wirklichkeit verorten. Wenn wir die Internationalität der Ausstellungen reduzieren wollen /müssen, aus einer ökologischen Verantwortung heraus, sollten wir gleichzeitig das Lokale stärken. Die Fragen nach den verbrauchten Mitteln, die für eine Realisierung einer Ausstellung aufgewendet werden, wird das Ausstellungprogramm weiter massiv in den kommenden Jahren beeinflussen. Eine stärkere Bürgerbeteiligung wäre wünschenswert, denn auch ein Museum ist keine Insel.

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