4 Fragen an…Kathrin Schönegg

Du hast vor Kurzem eine Gruppenausstellung  zum Thema der Wolkenfotografie von Stieglitz bis zur Gegenwart eröffnet, in der die Auswirkungen der Cloud-Computing-Technologie auf den Klimawandel und die Geopolitik untersucht werden. Ein tolles, ein anspruchsvoll klingendes Thema, das extrem aktuell klingt. Davon träumt ja jede*r Kurator*in. Was war für Dich der entscheidende Kick, der starting point für diese Aufgabe?

Die Ausstellung “Songs of the Sky. Photography & the Cloud” geht aus einem größeren Forschungsinteresse von mir hervor, nämlich der Frage inwieweit sich unsere heutige digitalisierte und technologisierte Umgebung noch mit frühen Medien- bzw. eben Fotografietheorien zusammen denken lässt. Konkreter Ausgangspunkt für die Auseinandersetzung mit Wolken war eine länger zurückliegende Beobachtung: Das Phänomen der Wolke taucht sowohl historisch als auch aktuell in medienreflexiven Zusammenhängen auf – wenn Möglichkeiten und Grenzen analoger und digitaler Techniken zur Diskussion stehen. Diese These – dass Wolken über das Medium Fotografie sprechen – konnte ich schlussendlich zur Gruppenausstellung ausbauen. Ich freue mich sehr, dass das Thema jetzt bei C/O Berlin und im nächsten Sommer auf dem Fotofestival “Rencontres d’Arles” in Südfrankreich – unter wolkenlosem Himmel – präsentiert wird, denn ob sich Projekte wie dieses realisieren oder nicht hängt neben den Inhalten ja von einer Vielzahl organisatorischer, institutioneller und finanzieller Momente ab.

Übrigens gibt die Ausstellung keinen Querschnitt durch die Geschichte der Wolkenfotografie, sondern blickt durch aktuelle foto- und medienkünstlerischer Projekte aus der letzten Dekade auf die aktuelle Wiederkehr der Motivik der Wolke einerseits und auf die jüngere Metaphorik der (Computer-)Cloud andererseits. Im Zentrum stehen also Arbeiten, die anhand von Wolken über Digitalisierung, Technologie, und deren Einfluss auf Umwelt und Gesellschaft nachdenken. Diese habe ich punktuell mit Bildmaterial aus dem 19. und 20. Jahrhundert in Beziehung gesetzt, darunter fototechnische Experimente mit Belichtungszeiten, Wolkenalben und -atlanten oder Satellitenaufnahmen.

Deine lang entwickelte und profund recherchierte Dissertation ist dem Thema der Abstraktion in der Fotografie gewidmet und als fulminantes Buch erschienen. Gibt es ein weiteres grundlegendes Thema, das Dich fasziniert und dem Du Dich mit ähnlicher Akribie einmal gern widmen würdest (auch wenn das neben dem alltäglichen Job vielleicht nicht realistisch ist)?

Zwar hätte ich generell Lust ein weiteres Buch zu schreiben, denke aber, dass sich grundlegende Fragen auch in anderen Formaten wie z.B. der Herausgabe eines Buchs oder eben der Themenausstellung adressieren lassen. Meine Dissertation zeichnet sich wohl durch ihren breiten Korpus aus: Sie verfolgt ihr Thema von den Anfängen der Fotogeschichte bis in die Gegenwart und beleuchtet dabei heterogene Anwendungsbereiche des Mediums. Dieser methodische Zugang, d.h. ausgehend von einer aktuellen Frage verschiedene historische Zeiträume und Kontexte zu verbinden, interessiert mich weiterhin. Er war z.B. auch bei dem Projekt zu den Wolken leitend. Aktuell recherchiere ich zu verschiedenen Themenbereichen, die mediale mit gesellschaftsrelevanten Zusammenhängen wie Ökologie oder Identity Politics verbinden. Konkreteres kann ich dazu leider noch nicht sagen.

Da C/O Berlin, wie im Mission Statement verkündet „allen Facetten der Fotografie“ gegenüber offen ist, drängt sich u.a. auch die Frage nach der Globalisierung auf: Wie kann man als Kurator*in praktisch damit umgehen ohne jeweils nur westlich bereits etablierte Positionen nicht-westlicher Herkunft zu etablieren? Probleme der Sprache, des kulturellen Wissens: Wo siehst Du in diesem Feld wirkliche Grenzen und Möglichkeiten?  

Das ist eine der zentralen Fragen unserer Zeit – und ein überaus komplexer Themenzusammenhang, auf den es keine einfache Antwort gibt. Für eine wichtige Strategie halte ich die Kollaboration, d.h. die Zusammenarbeit mit entsprechenden Partner*innen der Regionen, die man vom eigenen Standpunkt aus adressieren möchte. Für das Nachwuchsprogramm von C/O Berlin, das ich leite, arbeiten wir beispielsweise kontinuierlich daran, die Liste der Nominierenden zu diversifizieren und explizit Vorschläge aus Nicht-Westlichen Kontexten und dem Globalen Süden zu akquirieren. In diesem Jahr haben wir zudem das Bewerbungsprozedere digitalisiert, damit der Zugang für Bewerber*innen erleichtert wird, die ihre Portfolios z.T. vom andern Ende der Welt senden. Dies sind natürlich alles nur kleine Schritte in die entsprechende Richtung, die arbeitspraktisch auch neue Hürden mit sich bringen. So haben wir zuletzt – auch pandemiebedingt – verstärkt mit Schwierigkeiten bei der Beantragung von Visa für Projektbeteiligte des “C/O Berlin Talent Awards” zu tun gehabt, die vom afrikanischen Kontinent stammen.

Zuletzt die Frage nach einer „Neuentdeckung”: Welche fotografische Position hat Dich selbst zuletzt fasziniert, wen hast Du für Dich entdeckt?

Neuentdeckung klingt nach ungesehenem Nachwuchs. Allerdings sind die Positionen auf diesem Karrierestand notwendig noch wenig ausgereift. In unserem Förderprogramm beobachte ich daher stärker Themen und spannende Einzelprojekte, als generisches Potenzial. Relevant fand ich hier zuletzt die Wiederbefragung von Archivmaterial aus ehemaligen kolonialen Zusammenhängen in Westafrika sowie die Auseinandersetzung mit der digitalisierten Welt, die globale Lebensentwürfe verändert – beides Themen, die die letzten beiden Gewinner*innen des “C/O Berlin Talent Awards” bearbeiteten: Adji Dieye und Anna Ehrenstein. Beide sind stärker im Kontext von Installation und Lensbased Media beheimatet, als in der klassischen Fotografie. Auf der Ebene des Kuratorischen fand ich zuletzt die Möglichkeit faszinierend, tiefer in ein etabliertes Werk eintauchen zu können, wie in das von Peter Miller, mit dem ich im Herbst eine größere Solo-Ausstellung realisiert habe, die erstmals seine wichtigen Werke aus den letzten 15 Jahren institutionell vorgestellt hat. Für ein solch fortgeschrittenes Werk die Kontexte zu erschließen, war aufregend. Auch historisches Material fasziniert mich zuletzt wieder sehr.

Mit bestem Dank an

Kathrin Schönegg

…ist Kuratorin bei C/O Berlin

BU: Foto: © Stephanie von Becker, C/O Berlin Foundation