4 Fragen an…Gabriele Conrath-Scholl

Die Photographische Sammlung der SK Stiftung Kultur der Sparkasse KölnBonn ist in meinen Augen seit Jahrzehnten die Institution für Fotografie, die sich in Köln auf höchstem Niveau mit dem Medium beschäftigt. Gegründet wurde sie ja 1992 durch den Ankauf des August Sander-Archivs, womit schon angedeutet ist, dass die seitdem stark erweiterte Sammlung ein wesentliches Element des Charakters einer Institution ausmacht, die zugleich aber auch einer regen Ausstellungstätigkeit folgt: Wie würdest Du das Verhältnis dieser beiden Seiten derselben Medaille beschreiben?

Beide Seiten der Medaille bereichern sich gegenseitig ungemein. Eine vielfältige Ausstellungstätigkeit hilft natürlich, die Sammlung immer wieder aus anderen Blickwinkeln zu reflektieren und vielleicht auch in der Vermittlungsarbeit eingefahrene Rezeptionsmuster aufzubrechen. Aus meiner Sicht ist es ideal, Sammlungs- und Ausstellungstätigkeit parallel zu betreiben. Denn das Betrachten der Originale im Raum, noch dazu, wenn sie nach den Intentionen der Künstler*innen installiert sind, schafft ein besonderes Verständnis für die unterschiedlichen Umgangsweisen mit Fotografie – ein intensives Erlebnis, das noch einmal anderes ist, als man es über Bücher oder das Internet erfahren kann, auch wenn diese Medien in ihrer jeweiligen Charakteristik ebenso unverzichtbar sind.

Unsere Sammlung steht in engem Zusammenhang mit unserer Ausstellungstätigkeit. Unser Haus konzentriert sich vor allem auf fotografische Ansätze, die sich in der Tradition von Konzepten der 1920er/30er-Jahre unter dem Begriff der sachlich dokumentarischen Fotografie fassen bzw. vor diesem Hintergrund reflektieren lassen. Die beiden großen Archive in der Sammlung stammen von August Sander sowie von Bernd und Hilla Becher. Des Weiteren schließen sich hier zahlreiche Werkgruppen anderer Künstler*innen und Fotograf*innen aus Deutschland, verschiedenen europäischen Ländern und den USA an. Beispielhaft seien genannt: Boris Becker, Joachim Brohm, William Christenberry, Paul Dobe, William Guerrieri, Barbara Klemm, Simone Nieweg, Gabriele und Helmut Nothhelfer, Albert Renger-Patzsch, Judith Joy Ross, Martin Rosswog, Stephen Shore, Rosalind Solomon, Jerry L. Thompson, Henry Wessel, Petra Wittmar und Jim Dine, der einen Großteil seines fotografischen Schaffens in unsere Sammlung übergeben hat. Insgesamt unterliegt dem Ganzen ein recht weites Netzwerk. Damit werden zugleich weitere Terminologien und verwandte Sichtweisen aufgerufen. Jedes Sammlungskonvolut enthält Elemente, die sich mit benachbarten Werkreihen verknüpfen. Um visuell und konzeptionell Vergleichbares in einen Dialog zu setzen, werden daher auch historische und zeitgenössische Positionen einbezogen. Insbesondere mit dem August Sander-Preis, den wir seit 2018 alle zwei Jahre an Fotograf*innen/Künstler*innen bis 40 Jahre vergeben, wird das Zeitgenössische ebenso wie der internationale Ansatz für unsere Sammlung bestätigt. Die bisherigen Preisträger*innen waren der Italiener Francesco Neri, die Österreicherin Rebecca Unz und die in Essen studierende Koreanerin Sora Park.

Unsere Ausstellungen basieren häufig auf eigenen Sammlungsbeständen oder sie beziehen diese in Kombination mit Leihgaben aus Künstler*innen-Ateliers, externen Sammlungen und/oder anderen Institutionen/Museen mit ein. Außerdem zeigen wir Präsentationen, die sich methodisch oder inhaltlich auf zentrale Positionen der Sammlung beziehen. Insofern verstehen sich die Ausstellungen sinngemäß als Kommentare, Assoziationen oder imaginäre Erweiterungen unseres Sammlungsansatzes. In der Regel stehen die Ausstellungskonvolute aus externen Beständen dem internen Sammlungsbestand sehr nah und reflektieren beispielsweise historisch bedeutsame Traditionslinien oder verwandte Motive und Methoden. So war für uns beispielsweise die Übernahme der ausgehend vom Los Angeles County Museum of Art erarbeitete Rekonstruktion der amerikanischen Ausstellung „New Topographics. Photographs of a Man-altered Landscape“ (2011) sehr wichtig, ebenso die Übernahme der Präsentation „Berenice Abbott – Portraits of Modernity“ (2020) in Zusammenarbeit mit der Fundación MAPFRE Madrid. Auch werden Bestände aus der eigenen Sammlung an internationale Museen verliehen, so wurden 2022 beispielsweise sehr umfangreiche Konvolute von Bernd und Hilla Becher für eine Retrospektive des Künstlerpaars an das Metropolitan Museum of Art in New York mit einer weiteren Station im SFMOMA, San Francisco, ausgeliehen, und von August Sander wurden seine geschichtsträchtigen Porträts als Originalabzüge für die Ausstellung „Allemagne, Années 1920/Nouvelle Objectivité/August Sander“ im Centre Pompidou in Paris als Leihgaben bereitgestellt. Hier schloss sich eine weitere Station im Louisiana Museum of Modern Art, in Humlebaek, Dänemark an. Ein aktiver Leihverkehr ist somit auf mehreren Ebenen eine wichtige Grundlage für einen fachlichen und kulturellen Austausch ebenso wie für die kunst- und fotografie-wissenschaftliche und materialbezogene Forschung.

Im digitalen Zeitalter steht in Bezug auf Archive und sonstige Sammlungsbestände immer wieder die Forderung nach Veröffentlichung im Raum. Hier stellen sich unmittelbar urheberrechtliche und andere finanzielle Schwierigkeiten. Wie gehst Du mit dieser Problematik um?

Für Institutionen, Künstler*innen/Fotograf*innen sind qualitätvolle Publikationen zur Vermittlung ihrer Arbeit existentiell. Das Genre des Künstlerbuchs hat sich ja zu einem wichtigen Teil der künstlerischen Arbeit entwickelt. Entsprechend reagieren wir in unserer Institution darauf, indem wir in der Regel parallel zu unseren Ausstellungen Kataloge, Bücher oder Broschüren erarbeiten. Bei der Übernahme von Ausstellungen ist es oft so, dass es bereits begleitende Veröffentlichungen gibt, die wir in einer bestimmten Stückzahl erwerben und in unserem Ausstellungsshop anbieten. Die Photographische Sammlung/SK Stiftung Kultur hat seit 1993 über 60 Veröffentlichungen herausgegeben. Die Arbeit an den Publikationen – Strukturierung und Bildauswahl festlegen, Autor*innensuche, Verlagsanfragen erstellen, Recherchen durchführen, Bildrechte anfragen, Essays schreiben, Übersetzungen veranlassen, Reproduktionen beauftragen, Layoutüberprüfung, Lektorat, Druckabnahme etc. – all das bringt ein kleines Team immer mal wieder an sein Limit. Alle Beteiligten müssen da gut miteinander kommunizieren, auch Fördermittel müssen vielfach im Vorfeld beantragt werden. Liegt die Publikation am Ende auf dem Tisch, ist es auf jeden Fall wieder ein Schritt zur konstruktiven Weiterführung des fotografischen und künstlerischen Diskurses, ein Stück erbrachte Forschung. Jedes Buch bringt für alle Beteiligten neue Erfahrungen, die uns motivieren, weiterzumachen und das Gebiet im Rahmen unserer Möglichkeiten weiter voranzutreiben.

Der Digitalisierung unserer Bestände hinsichtlich einer Veröffentlichung im Internet gilt derzeit unser besonderes Augenmerk. Die Sichtbarkeit der Sammlung im Internet ist für Interessierte, für die Bildautor*innen und für die Forschung nicht unerheblich, insofern wollen wir diese Aufgabe weiter nach vorn bringen. Nun steht für uns vor dem Digitalisat im Internet die Frage der Langzeitarchivierung. Hier sind wir bereits seit längerem aktiv, doch die Arbeitsprozesse werden erneut geprüft. Es ist u. a. vorgesehen, dass sich der Prozess der Sichtbarmachung der Dateien u. a. im Internet anschließt. Diese Dateien werden im Zuge der Langzeitarchivierung als Derivate erstellt. Jedes für die Veröffentlichung ausgewählte Objekt soll mit einer Abbildung versehen, wissenschaftlich genau beschrieben und auf der Homepage textlich und gestalterisch gut eingebunden sein. Das Ganze ist im Grunde eine Publikation mit nochmals mehr Unbekannten und Variablen.

Ich stehe mit verschiedenen Experten zum Thema Digitalisierung in Kontakt und denke, dass das zukünftige Deutsche Fotoinstitut an dieser Stelle ein wichtiger Ansprechpartner werden sollte. Von dort aus könnte beispielsweise ein gemeinsames Portal für nationale und internationale fotografische Bestände angeboten werden und im Vorfeld praktische Umsetzungsmöglichkeiten für optional vorgeschaltete Restaurierungs- und digitale Reproduktionsmaßnahmen. Hilfreich wären auch Konzepte für ein fachgerechtes und vielleicht auch institutionsübergreifendes Datenmanagement.

Tatsächlich geht es, wie Du sagst, im Zuge dessen auch um urheberrechtliche Fragen und darum, welche Honorare oder Bedingungen für die Veröffentlichung von Werken gefordert werden. Es wäre ausgezeichnet, wenn man mit Blick auf Publikationen und die institutionelle Nutzung gemeinsam mit der VG Bild-Kunst und ihren Schwestergesellschaften und entsprechenden Juristen Genehmigungsverfahren erarbeiten könnte, die den Institutionen, den Bildautor*innen und den Vertreter*innen der Urhebernutzungsrechte weiter entgegenkommen. Ein sehr komplexes Thema, das mit dem Schutz der Werke ebenso wie mit Honorareinnahmen für die verschiedenen Parteien einhergeht. Honorarforderungen betrachte ich aus zweierlei Richtungen. Da wir in Zusammenarbeit mit der VG Bild-Kunst, Bonn, die Nutzungsrechte am Werk von August Sander vertreten und die Nutzungsrechte am Werk von Bernd und Hilla Becher im Auftrag des Bernd und Hilla Becher Estate verwalten, weiß ich, dass Honorare aus diesen Quellen dem Schutz der Bestände zugutekommen. Dies ist bei anderen Nachlassverwaltungen sicher auch oft der Fall. Auf der anderen Seite steht auch unsere Institution, wenn es um Bildveröffentlichungen geht, deren Autor*innen wir institutionell nicht vertreten, vor nicht immer einfach zu leistenden Honoraranforderungen. Insgesamt also ein langfristiges Work-In-Progress-Thema.

Die Photographische Sammlung hat sich in der jüngeren Vergangenheit auch für die Idee der Entwicklung eines deutschen Fotoinstitutes eingesetzt. Aktuell gibt es in Düsseldorf hierzu eine Gründungskommission, welche die Leitlinien dafür entwickelt. Wie beurteilst Du den Stand der Dinge, wo siehst Du Chancen und was hältst Du für unverzichtbar?  

Es freut mich, dass die Gründungskommission eingesetzt wurde, ich sehe der Entwicklung positiv entgegen. Fraglos haben die Mitglieder der Kommission keine leichte Aufgabe übernommen. Doch nach der langen Phase der Problematisierung, sollte man die großen Chancen sehen, die in diesem Projekt liegen. Das vom Verein zur Gründung eines deutschen Fotoinstituts, dem DFI e.V., vorgelegte Konzept bietet dazu eine gute Basis. Ein zentrales Haus für die Fotografie birgt die Möglichkeit, wesentliche Bestände nach aktuell besten Möglichkeiten zu schützen und zu vermitteln. Das würde aus meiner Sicht bedeuten, dass ein Direktorium dafür Sorge trägt, dass einerseits wesentliche fotografische Bestände im neuen Fotoinstitut ihren dauerhaften Platz erhalten. Andererseits sollte ein Austausch mit weiteren Institutionen/Sammlungen/Bildautor*innen angestrebt werden, die für bestimmte, ebenso wichtige Bestände fachliche Unterstützung benötigen. Diese Bestände könnten im neuen Fotoinstitut temporär bearbeitet und beispielsweise ausgestellt werden und später (unter bestimmten Bedingungen) an den Ursprungsort zurückgeführt werden. Denkbar wäre auch ein vom neuen Fotoinstitut verwalteter Fonds, der für Maßnahmen in anderen Instituten zur Verfügung steht. Auch an einen Dachverband für den Erhalt historisch wichtiger Bestände ließe sich denken etc.

Angesichts dessen, dass die Fotografie ebenso wie die fachbezogene Forschung zunehmend vom internationalen Austausch lebt, halte ich es für ratsam, bei der Einbeziehung und Bearbeitung von Beständen, nicht nur eine nationale, sondern auch internationale Perspektive einzunehmen. Der fotografie- und kunstwissenschaftlichen Forschung ebenso wie Untersuchungen und Maßnahmen auf konservatorischem und restauratorischem Gebiet sollte ein wesentlicher Stellenwert beigemessen werden. Dabei habe ich die Erfahrung gemacht, dass die Aufarbeitung der Bestände zur Sicherung ihrer Authentizität und zum Schutz des damit verbundenen Wissens möglichst unter Einbindung der Künstler*innen, Nachlassverwalter*innen, Zeitzeug*innen etc. erfolgen sollte. Für die Bearbeitung neuer Bestände sollten zur Vereinfachung von Abläufen Regularien gelten ebenso wie je nach Werk erforderliche, individuelle Freiräume geschaffen werden. Eine kontinuierliche Betreuung durch langfristig verantwortliches Personal fördert Vertrauen, Fachwissen und schließlich die Qualität des einzubeziehenden Bestands.

Vor allem würde ich von der neuen Institution erhoffen, dass neben der medialen Vermittlung über Publikationen und Digitalisate in einer Bibliothek und in Studienräumen für die interessierte Öffentlichkeit auch die Präsentation von Originalen auf beispielsweise drei Ausstellungsebenen stattfindet. Wichtig wäre mir die Dialogisierung unterschiedlicher Bestände, inhaltliche und methodische, historische und zeitgenössische Momente sollten in Beziehung gestellt werden, sodass für die Besucherschaft schrittweise und systematisch das gesamte Spektrum (!) des Mediums erfahrbar wird. Auch Maßnahmen in der Bearbeitung der Konvolute können spannende Ausstellungsthemen sein. Ein wichtiges Ziel in der Vermittlungsarbeit sollte sein, das große Feld der Fotografie differenziert nachvollziehbar zu machen und generell die Medienkompetenz im Bereich der Fotografie zu fördern.

Wenn ich aus Sicht der Photographischen Sammlung/SK Stiftung Kultur auf das zukünftige Institut blicke, würde ich einen institutionellen und städteübergreifenden Austausch sehr begrüßen – so haben wir das auch in einer Kooperationsvereinbarung mit dem DFI e. V., der Landeshauptstadt Düsseldorf und der Kunstakademie Düsseldorf bereits formuliert. (Um Missverständnissen vorzubeugen: Dies ist keine Vereinbarung, die das Gründungsgremium oder das neue Fotoinstitut betrifft.) Das Kapitel der sogenannten Becher-Schule und ihrer Einflüsse sollte als fotogeschichtlich wesentliches Element in Düsseldorf verortet werden. In welcher Form dies geschehen soll, dazu könnte die Gründungskommission Vorschläge erarbeiten, ebenso zu weiteren potenziell einzubeziehenden Bereichen/Beständen und Maßnahmen.

 Als Ausstellungsmacherin bist Du immer auch auf Entdeckungssuche: Verrätst Du uns eine Neuentdeckung, die Du in den letzten Wochen und Monaten gemacht hast?

 Den englischen Künstler Keith Arnatt (1930–2008) habe ich für mich in einer Galerie in London entdeckt – eine spannende, vielseitige, auch humorvolle Arbeit zwischen Konzepten mit unterschiedlichen Materialien und Medien, Installationen, Land Art und ausgezeichneten Fotografien.

Im Kontext des neuen Instituts verdeutlicht Arnatts Werkschaffen beispielhaft, dass Fotografie nicht unbedingt isoliert gesammelt werden kann. Was macht man, wenn man als Fotoinstitut einen so gearteten Nachlass angeboten bekäme? Diese Art künstlerische Werke, die das Fotografische einbeziehen, aber nicht gänzlich darin aufgehen, sind ja nicht selten. Man denke etwa auch an Hans-Peter Feldmann. Welche Kooperationsmöglichkeiten mit Kunstmuseen können als ein möglicher Lösungsvorschlag entwickelt werden?

Mit herzlichem Dank an…

Gabriele Conrath-Scholl
… ist der Leiterin der Photographischen Sammlung der SK Stiftung Kultur der Sparkasse KölnBonn

BU: © Marie Laforge, Die Photographische Sammlung/SK Stiftung Kultur

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