Schätze im Verborgenen – Negativmaterialien und ihre Identifikation

Die Erforschung eines fotografischen Werkes und seiner Arbeitsmethoden geht über die oftmals in Ausstellungen präsentierten Abzüge weit hinaus. Sie beinhaltet häufig die übersehenen und im Verborgenen liegenden Schätze der Negative. Negative sind transparente, fotografische Bilder mit umgekehrten Helligkeitswerten auf Glas, Papier oder Film, von denen unzählige Positive, so genannte Abzüge, hergestellt werden können. Sie bieten wertvolle Einblicke in die Methoden und Techniken einer Fotograf*in.

Die Wahl der Materialien oder gegebenenfalls vorhandene Notizen und Retuschen dienen als einzigartiger Einblick in den kreativen Prozess. Bei Negativen auf Filmbasis, die einen Kunststoffträger haben, sprechen wir hauptsächlich über drei verschiedene Materialien hinsichtlich der Polymerzusammensetzung des Trägers. In der chronologischen Reihenfolge ihrer Einführung auf dem kommerziellen Markt konnten Fotografen auf Materialien wie Cellulosenitrat-, Celluloseacetat- oder Polyesterfilm zurückgreifen.

Kunststoffe wie Cellulosenitrat oder Celluloseacetat können im Laufe der Zeit vergilben oder sich stark verwerfen. Deswegen ist das Verständnis für die Alterung dieser Materialien umso wichtiger für den Erhalt des Kulturgutes. Jeder Filmtyp reagiert anders und verändert sich auf seine Weise mit der Zeit. Unterschiedliches Alterungsverhalten bedeutet demnach auch einen unterschiedlichen konservatorischen Ansatz für den Erhalt des Materials. Negativmaterialien korrekt zu identifizieren, ist daher eine unbedingte Voraussetzung, damit die richtigen Erhaltungsmaßnahmen ergriffen werden können. Wie weithin bekannt war Cellulosenitrat von Anfang an für seine Brandgefahr im Kontext mit Kinofilm berüchtigt. Dies veranlasste die Industrie den so genannten “Sicherheitsfilm” („safety film“) auf Celluloseacetatbasis zu entwickeln und einzuführen.

Mit zunehmendem Alter können Celluloseacetatfilme schrumpfen, während die bildtragende Schicht – die Emulsion – formstabil bleibt. Diese unterschiedliche Alterungscharakteristik der beiden Schichten führt zum “Channeling”, bei dem sich die Emulsion lokal vom schrumpfenden Träger ablöst. Dies verringert die Lesbarkeit des Bildes massiv. Das neueste Filmnegativmaterial, ein Träger auf Polyesterbasis, bietet eine Formstabilität, die den beiden anderen, früheren Filmtypen fehlte.

Nicht zuletzt dient die Materialidentifikation der Datierung des Negativs, da nicht alle drei Filmtypen gleichzeitig verfügbar waren. Cellulosenitrat wurde nicht mehr hergestellt als Polyesternegative auf den Markt kamen. Dennoch könnte ein Fotograf noch vorhandene Cellulosenitratfilme lange nach der Einstellung der Produktion verwendet haben. Vor allem erhält man durch die Datierung mehr Informationen darüber, zu welcher Zeit der Fotograf tätig war oder ob ein Negativ tatsächlich von ihm selbst stammen kann. Wenn beispielsweise ein Fotograf vor der Einführung von Polyesternegativen verstorben ist, ihm aber ein Negativ auf Polyesterbasis zugeschrieben wird, ist klar, dass es nicht der Fotograf selbst gewesen sein kann, der dieses Negativ hergestellt hat.

Aber wie erkennt man das Filmmaterial – den Kunststoff? Auf den ersten Blick sehen verschiedene Silbergelatine-(Schwarzweiß-)Negative ziemlich ähnlich aus, wenn sie sich in einem “guten” Zustand befinden. Glücklicherweise fügte die Industrie ab einem gewissen Punkt Merkmale wie den „notch code“ hinzu. Das sind Einkerbungen am Rand des Films, die entweder mit einem “u” oder einem “v” beginnen. Derart weisen sie auf Acetat bzw. Nitrat hin oderes gibt schriftliche Hinweise am Rand wie “safety film”, um Celluloseacetat oder Polyester zu kennzeichnen. Es ist jedoch auch möglich, dass solche Hinweise fehlen.

Darüber hinaus gibt es analytische Verfahren zur Identifikation des Polymers oder den nasschemischen Diphenylamin-Test zur Identifikation von Nitrat. Diese Tests sind vergleichsweise teuer, z.T. nicht zerstörungsfrei. Glücklicherweise ist die Identifizierung von Filmen auf Polyesterbasis mittels des Polfiltertest recht einfach und zerstörungsfrei möglich. Dafür legt man das Negativ zwischen zwei Polarisationsfilter, wie sie z.B. in 3-D-Brillen als Brillenglas verwendet werden. Wenn es sich um einen Film auf Polyesterbasis handelt, zeigt der Film ein Irisieren. Diese Interferenzfarben sind dem ähnlich, was man in einer mit Benzin verunreinigten Wasserpfütze an einer Tankstelle sehen kann. Mit dieser einfachen, aber wirksamen Methode können die materialimmanenten Geheimnisse von Negativen zumindest teilweise enträtselt werden.

Negative können einen reichen Hintergrund für ein fotografisches Werk bieten. Um sie und ihre Geschichte für künftige Generationen zu bewahren, ist eine sachgerechte Identifikation erforderlich, damit diese Objekte des kulturellen Erbes nicht verloren gehen.

Tessa Maillette de Buy Wenniger       

ist eine an der Universität Amsterdam ausgebildete Fotorestauratorin und am Sprengel Museum Hannover als Fotorestauratorin tätig.

 

BU: Negativ der Fotografin Käte Steinitz (aus der Sammlung des Sprengel Museum Hannover), das zwei im Freien sitzende Personen zeigt. Auf der rechten Seite ist der Hinweis “Kodak Safety Film” zu sehen, der auf Celluloseacetat- oder Polyesterfilmträger hinweist und nicht auf hochentzündliches Cellulosenitrat (©Herling/Herling/Werner).