4 Fragen an…Annette Kelm

Das Thema des Politischen in der Kunst hat nicht zuletzt im Zusammenhang der schwierig geführten „Documenta-Diskussion“ eine besondere Brisanz bekommen. Aber lass uns nicht von diesem Anlass sprechen, sondern generell zu Deinem Verhältnis einer politischen Dimension in der Fotografie kommen: Ich habe Deine zunächst dokumentarisch anmutenden Bilder stets in Bezug auf eine mal klare, mal eher hintergründige politische Fragestellung wahrgenommen. Zugleich reflektierst Du oft die kunsthistorischen Implikationen von Stillleben oder Porträts. Lass es mich zuspitzen in der sehr allgemeinen Frage: Wie „politisch“ siehst Du die Inhalte Deiner Kunst?

Es macht mir Spaß mich mit der „Realität“ zu beschäftigen und dazu gehört selbstverständlich auch die politische Wirklichkeit, in der wir leben. Fotografie hat ja an sich schon einen besonderen Bezug zur Realität und wurde lange ziemlich unhinterfragt als genaue Abbildung dieser gesehen. Durch die Digitalfotografie wurde das dann in Frage gestellt. Fragestellungen aufwerfen durch Dokumentation dessen, was da um mich herum passiert – das interessiert mich. Das Schöne und philosophisch Interessante an der Fotografie ist, dass sie Realität abbildet, aber gleichzeitig auch das reflektierende und auch zweifelnde Nachdenken über sie durch die Isolierung des Bildausschnittes und die Abstraktion, die z.B. durch die Vergrößerung entsteht, möglich macht. Mit Bildern kann eine Dichte von Bezügen entstehen, die sich sonst kaum ausdrücken lässt.

Bei meiner Arbeit über die Darstellung von Feminismus in deutschen Museen habe ich mich zum Beispiel gefragt: Warum wird die Frauenbewegung, die Rechte für 50% der Bevölkerung erkämpft hat, nur kurz in einer zwei Kubikmeter großen Vitrine im Deutschen Historischen Museum abgehakt oder im Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland dargestellt? Es drückt den Stellenwert aus, den die Personengruppe hat, die es betrifft. Ein historisches Museum ist ein Ort, an dem Geschichtsschreibung stattfindet, ein Ort der Vermittlung. Obwohl Napoleon schon gesagt hat, dass die Geschichte von den Siegern geschrieben wird, von denen, die die Macht haben, wurde es mir im Geschichtsunterricht so vermittelt, als ob es Tatsachen sind, an deren Wahrheitsgehalt es keinen Zweifel gibt. 

Man muss sich keine Illusionen machen: Durch Kunst lässt sich politisch eher wenig bewegen und es lassen sich nicht so viele Menschen erreichen wie durch politische Arbeit. Da ist es immer eine Gratwanderung, nicht einem „radical chic“ zu verfallen, der das Politische instrumentell als Coolness-Faktor einsetzt, sondern Dinge so abzubilden, dass sie Ihre Würde behalten und auch über sich hinausweisen. Außer der politischen Dimension meiner Bilder geht es in jedem Bild auch immer noch um die Fotografie selbst, um die Gegenstände mit ihrer skulpturalen Qualität und ihrem Bezug zur Gesellschaft. Sie enthalten immer eine Message, das kann man nicht trennen. Auch ich als Person, politisches Wesen, Frau bin immer irgendwie präsent in den Bildern.

Nicht selten tauschen wir uns auch über Veränderungen in der Produktionstechnik, Fragen der Konservierung und Präsentationsweise von Bildern aus – ein Themenkomplex, der nicht erst in den letzten Jahren für das fotografische Schaffen von großer Bedeutung ist. Momentan wird in der Foto-Szene sehr häufig über Fragen des Archivs gesprochen: Was interessiert Dich daran?

Ich nutze natürlich die Gelegenheit, wenn ich Dich oder Kristina Blaschke-Walther sehe, euch mit den Fragen über die Konservierung und Archivierung zu löchern, weil ihr am Sprengel Museum eine der wenigen Institutionen seid, die eine gekühlte Lagerung auf dem neusten Stand haben und euch auch schon lange intensiv damit beschäftigt. 

Was die Präsentationsweise betrifft, so betreibe ich für mich immer auch eine Materialforschung und schaue mir an, wie Kolleg*innen die Bilder präsentieren, die Präsentation ist ja immer auch Teil der Arbeit. Während der Coronazeit habe ich, wie viele, Ausstellungen nur online angeschaut. „True Pictures?“ im Sprengel Museum war eine der ersten Foto-Ausstellungen, die ich dann wieder „in echt“ gesehen habe. Als wir zusammen durch die Ausstellung gegangen sind, war ich absolut „geflasht“ von dem realen Material und den verschiedenen Präsentationsweisen. Viele Bilder waren ja alte Bekannte, die ich im Laufe der Zeit immer wieder an verschiedenen Orten gesehen habe. Mit der Zeit bekommen die Lightboxes von Jeff Wall schon fast etwas Melancholisches, weil es solche Boxen gar nicht mehr als Werbetafeln gibt. Diese Aufgabe übernehmen heute LED-Screens. 

Dass in der Foto-Szene gerade so viel über das Archiv gesprochen wird, hängt natürlich auch mit den Diskussionen um die Gründung des Bundesinstituts für Fotografie zusammen. Hier geht es auch um Macht und die Definition des Kanons. Wenn über ein nationales Fotoinstitut nachgedacht wird, stellt sich natürlich gleich die Frage, wer dort repräsentiert wird, wer darf rein, wer bekommt wie viel Präsenz, wer wird es leiten und formen? Denn ohne diese Fragen ist es nur eine Hülle. Dass es im Moment mehr um die Standortfrage geht als um die Inhalte, finde ich sehr ärgerlich. Wir brauchen das Institut dringend, vor allem für die vielen Nachlässe von Fotografen*innen, die sonst verloren gehen und nicht gesichert werden können. Die Diskussion um das Institut hängt auch mit der allgemeinen Diskussion um die Repräsentation von Künstler*innengruppen in Institutionen zusammen. Es ist gut, dass in den letzten Jahren ein Umdenken stattgefunden hat. Als ich Ende der 90er Jahre angefangen habe auszustellen, waren fast nur (weiße) Männer in den Museen präsent. Für mich gab es nur wenige Rolemodels. Rosemarie Trockel, Isa Genzken und Cosima von Bonin waren daher sehr wichtig für mich als Vorbilder.

Das Projekt Lighting the Archive, dessen Initiator*innen auch ein Interview mit mir geführt haben, finde ich sehr gut. Die verschiedenen Interviews mit Künstler*innen zeigen, wie individuell jede*r Künstler*in arbeitet und dass das Archiv ein essenzieller, individueller Teil der Arbeit ist. Ich finde es gut, dass die Gruppe Lighting the Archive die Dinge selbst in die Hand nimmt und definiert, anstatt zu warten, bis es ein Institut gibt. Sie leisten dringend notwendige Basisarbeit und setzen den Fokus auch auf viele Positionen, die bisher nicht so sehr viel öffentliche Aufmerksamkeit bekommen haben..

Aber es ist so: Mit dem Thema Archiv beschäftige ich mich, wenn ich etwas „Luft“ habe, denn das Bildermachen hat immer eine noch größere Dringlichkeit. 

Jeder von uns hat vermutlich zwei oder drei Lieblingsbücher zur Fotografie, die man bei bestimmten Fragestellungen immer wieder aus dem Regal zieht: Verrätst Du Deine?

Das Buch „Theorien der Fotografie“ von Peter Geimer ziehe ich immer wieder aus dem Regal.  Darin fasst Peter Geimer sehr gut die verschiedenen Theorien über Fotografie zusammen. Die Beziehung zur Wirklichkeit beschreibt er darin sehr präzise und stellt die verschiedenen Theorien nebeneinander. Auch „On the Museum´s Ruins“ von Douglas Crimp mit dem tollen Bildessay von Louise Lawler ziehe ich gerne aus dem Regal. Schon allein der Titel ist so schön poetisch, dass er mir gute Laune macht.

Von den Büchern, in denen Fotografie abgebildet ist, war das Buch von Sally Eauclaire „The New Color Photography“ für mich lange sehr wichtig, dort habe ich (in den 90er Jahren) das erste Mal Bilder von Jan Groover, Stephen Shore und William Eggleston gesehen und mir war sofort klar, dass ich so etwas auch gerne machen möchte.

Eines der ersten Kunstbücher, das ich mir gekauft habe, bedeutet mir auch viel: Eva Hesse „Drawing in Space“ ziehe ich auch gerne aus dem Regal. Es beruhigt mich diese wahnsinnig tollen Abbildungen der Hesse Skulpturen anzuschauen, auch wenn das nicht auf den ersten Blick etwas mit meiner fotografischen Arbeit zu tun hat, erinnert mich daran, wie ich nach der Schule ins Jugendhaus nach Stuttgart gefahren bin, um in der Metallwerkstatt Skulpturen zu schweißen oder Steinskulpturen herzustellen, auch wenn es meine Mitschüler eher uncool fanden. Denn das Wichtigste ist, die Freude an der Arbeit und die Neugier zu behalten und sich immer wieder selbst herauszufordern. Das gibt mir Kraft neue Bilder zu machen.

Deine hohe Wertschätzung des Fotografen Hans Hansen ist bekannt: Welche zeitgenössischen Kolleg*innen verfolgst Du in ihrem Schaffen momentan besonders und warum?

Hans Hansen war für mich als Mentor sehr wichtig. Ich hatte bei ihm heimlich studiert, als er an der um die Ecke gelegenen HTW eine Gastprofessur für drei Semester hatte. Die Kunsthochschule und die HTW liegen in Hamburg nur 400 Meter weit entfernt voneinander und Freunde von mir hatten dort studiert. Von Hans habe ich gelernt, wie man mit einer Großbildkamera arbeitet und dass es eine wahnsinnige Qualität hat, sich Zeit zu lassen. Ich bin sehr beeindruckt von seiner Genauigkeit und der Präzision seiner Bilder, durch ihn habe ich sehr viel über das Sehen und das Licht gelernt. Daraus hat sich im Laufe der Jahre eine Freundschaft entwickelt. An der HfBK in Hamburg hatte sich damals immer noch hartnäckig der Gedanke gehalten, dass Farbfotografie in die Werbung gehört und „Kunstfotografie“ schwarz-weiß zu sein hat. Mir war das egal, ich wollte Bilder machen und wohin das führt, soweit konnte ich eh noch nicht denken. An die HfBK kam dann zum Glück Wolfgang Tillmans als Gastprofessor, bei dem ich dann ein Jahr studiert habe. Bei ihm war es keine Frage, dass es wichtig ist, einen guten Abzug zu machen und sich mit der Arbeit am Bild zu beschäftigen. Bei Hans Hansen und Wolfgang Tillmanns hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, dass mich jemand als Künstlerin ernst nimmt, das war sehr prägend und wichtig für mich. So habe ich immer bei den jungen Gastprofessor*innen studiert, die leider nur für kurze Zeit da waren, auch bei Cosima von Bonin, die immer noch sehr wichtig für mich ist. Ihre Arbeit verfolge ich immer mit großer Freude und hoffe, dass ich ihren Beitrag zur Venedig Biennale auch noch „live“ sehen kann. 

Zurzeit schaue mich mir mit großem Interesse Ausstellungen, die sich mit dem Thema Geschichte und Restitution beschäftigen, an. Unter der Direktion von Raphael Gross gab es im Deutschen Historischen Museum zwei sehr wegweisende Ausstellungen: „documenta. Politik und Kunst“ und „Die Liste der `Gottbegnadeten`. Künstler des Nationalsozialismus in der Bundesrepublik Deutschland“. Die Ausstellung „Schwieriges Erbe“ im Linden-Museum Stuttgart hatte für mich etwas sehr Befreiendes. In der Fotografie finde ich Joanna Piotrowskas Position sehr spannend. Durch ihre Inszenierungen wirft sie Fragen zur Gesellschaft auf, ihre Bilder haben aber auch darüber hinaus eine große bildnerische Qualität und Kraft. Ihre Bilder habe ich zum ersten Mal in der Kunsthalle Wien in der Ausstellung „Antarktika“ gesehen. Carrie Mae Weems Ausstellung “The Evidence of Things Not Seen” im Württembergischen Kunstverein war absolut herausragend.

 

Mit bestem Dank an…

Annette Kelm

…ist Künstlerin in Berlin

BU: Annett Kroenert: Porträt Annette Kelm