Einer der sicherlich „angenehmsten“ zeitgenössischen Autoren über Fotografie, der zugleich erstaunlich viel publiziert ist der Brite David Campany.
Das Prädikat „angenehm“ bezieht sich dabei auf einen eleganten Sprachstil, verbunden mit breiter Kenntnis der (nicht nur künstlerischen) Fotografie, der nachvollziehbar bleibt, sich nicht in selbstverliebten Metaphern verliert und immer wieder kritische Fragen an kanonische Positionen stellt, während er ab und an gern unbekannte Fotograf*innen vorstellt. Doch genug des Lobes für den aktuellen Creative Director des New Yorker International Center of Photography.
An für den deutschen Sprachraum etwas entlegener Stelle hat Campany 2003 einen kunsttheoretischen Beitrag verfaßt, der zwanzig Jahre später in dem fünften, von Peter Geimer herausgegebenen Band zur Theorie der Fotografie erstmals auf Deutsch veröffentlicht wurde und nun in keinem akademischen Kurs über den Zustand des Mediums im 21. Jahrhundert fehlen darf. „Sicherheit in Benommenheit. Einige Anmerkungen zu Problemen der ´späten Fotografie`“ ist motiviert von Joel Meyerowitz’ Fotografien des „Ground Zero“ im September 2001. Er stellt die Frage, inwieweit Fotografie sich einem zeitgenössischen Ereignis überhaupt noch nähern will und nähern kann, sofern sie künstlerisch auftritt. Um es vorwegzunehmen: Campany liefert keine finale Antwort, fasst aber die Problemkonstellation so präzise, dass sein Aufsatz einen unverzichtbaren Anstoß zur Debatte des generellen Verhältnisses von Kunst und Politik im digitalen Zeitalter liefert.
Auf eben jenes Zeitalter hebt Campany dabei nur in einer Fußnote ab, während er ansonsten den Funktionswandel des Fotografischen unter dem Horizont des gewandelten medialen Horizonts unter dem Eindruck des bewegten Bildes bzw. des Videos in den Blick nimmt. Dabei geht es zum einen um die Probleme des Fotojournalismus, dessen behauptetes „Ende“ er als verfrüht bezeichnet. Zum anderen beleuchtet er die Kehrseite dieser Medaille, nämlich das Aufkommen einer so genannten „späten Fotografie“, die sich den nun von den bewegten Bildern dokumentierten Ereignissen nurmehr retrospektiv zuwendet, also eine Reflexion der filmischen Dokumentation bietet, also einer „Spur der Spur des Ereignisses“.
Spät meint dabei nicht nur das Verhältnis zum Ereignis, sondern eher eine entwicklungsgeschichtliche Position innerhalb des Mediums selbst, also die Fotografie im Kontext der Kunst. Fällt einem für deren Auseinandersetzung mit (politischen) Ereignissen vielleicht nicht sofort ein passendes Beispiel ein, dann nennt Campany sofort das erwähnte Verhalten von Joel Meyerowitz, dessen bildsprachliche Veränderungen in seinem Werk er im übrigen am Rande kurz, aber präzise beschreibt sowie Ansätze von Sophie Ristelhueber, Paul Seawright und Willie Doherty. Vielleicht nicht die einflußreichsten Positionen, möchte man einwenden. Aber egal, die problematische Nähe einer Kunst mit stillem Bild zur sublimen, meditativen Ästhetik im Hinblick auf eine Haltung bringt Campany auf den Punkt, wenn er sagt: „Der Grat zwischen dem Banalen und dem Erhabenen ist sehr schmal, und er ist politisch“. Der bloße Bild-Konsum fällt eben dann der politischen Indifferenz zum Opfer und wird zur Signatur eines vermeintlich neoliberalen Zeitalters.
Das Problem ist damit sehr genau beschrieben. Gilt dies aber, so sei einmal Campany weiter gedacht, allein für eine künstlerische Ereignis-Fotografie oder nicht generell für eine solche, die sich in der Sonne dieser institutionell eingehegten Minderheiten-Position des Mediums, also seiner künstlerischen Gestalt, wohl fühlt? – Eine wie auch immer vorläufige Meinung dazu sollte man sich bilden. Die Lektüre dieses Textes wird dabei sehr hilfreich sein.
David Campany, Sicherheit in Benommenheit. Einige Anmerkungen zu Problemen der „späten Fotografie“ (2003), wiederabegedruckt in: Peter Geimer (Hrsg.), Theorie der Fotografie V: 1995 – 2022, München 2023
Stefan Gronert
…ist Kurator für Fotografie am Sprengel Museum Hannover