Die mühsamen Editionen

Diese Situation kennen sicher viele Leser*innen des Blogs: Speziell im Dezember darf man als “Fach-Idiot*in” manchen Bekannten und Verwandten erklären, was man im Alltag eigentlich so macht und warum das interessant sein soll. Schnell folgt die Frage nach den Besonderheiten der Fotografie im Unterschied zu anderen Bildern, die man in möglichst verständlichen Worten (“einfacher Sprache”) zu erläutern versucht.

Die Darstellung der Besonderheit der künstlerischen Fotografie im Unterschied zu jenen Bildern, die man aus den social media kennt, steht sogleich unter dem Verdacht der sozialen Arroganz. Um diese zu zerstreuen, liegt es nahe auf Beispiele auf populäre Stars und auf die merkantilen “Werte” (überzeugt das kapitalistische Denken immer) hinzuweisen. Das ist in gesellschaftskritischer Hinsicht immer noch problematisch, so dass sich der (nicht minder hilflose) Hinweis auf das bloße Faktum der Präsentation in Museen und Ausstellungshäuser anbietet. (DIE müssen es ja wissen…)

Wenn das Interesse der Gesprächsteilnehmenden dann nicht bereits abgewürgt ist und die Frage nach der “Ontologie der Darstellung” (diese Wendung kommt ehrlicherweise eher selten vor) umschifft werden kann, landet man irgendwann sicher auch beim Thema der Vervielfältigung. Genau das macht ja den Unterschied zur Malerei, die ja ebenfalls alles kann, aus – oder? Gibt man sich Mühe und hat keine Bedenken, dass das Gespräch nun in die Geschichte des Genres abdriftet, kann man anmerken, dass das Phänomen der Nummerierung der Auflage in der Regel ein Produkt aus dem vergleichsweise noch jungen Zeitalter der künstlerischen Fotografie ist. Doch zurück zum Grundsätzlichen, denn genau an dieser Stelle komme ich als “Museums-Mann”, der ja mit diesem Geschlecht eine Rarität seiner Spezies ist, persönlich endlich so richtig in Fahrt: Nach der ambivalenten Rechtfertigung der Tatsache einer nummerierten und damit limitierten Auflage im Hinblick auf den Kunst-Markt (schließlich müssen Kunst-Schaffende und das “System” ja auch von etwas leben) komme ich rasch auf die Ausstellungs- und Sammlungs-Tätigkeit des Museums und deren Folgen für den Umgang mit den fotografischen Bildern – um sogleich auch en passant einzuschränken: als private Person kann man das ja ganz anders handhaben.

Das Museum unterscheidet im Idealfall zwischen Archiv-Print, “normalem” Abzug für Präsentationszwecke und exhibition copies. Und damit wird’s kompliziert und der Begriff der “Fach-Idiotie” kommt bedenklich nahe. Einigermaßen (!) verständlich ist vielleicht noch, dass wir eine limitierte Fotografie, da sie ja lichtempfindlich ist (obwohl paradoxerweise ein Produkt des Lichtes:)), nur drei Monate lang unter strenger Reduktion der Lichtbestrahlung und bei ebenfalls gleichmäßig gehaltener Luftfeuchtigkeit zeigen – und anschließend in der Regel drei Jahre ins Depot stecken. Mit lebenden Künstler*innen hat man an dieser Stelle aber bereits die heftigsten Diskussionen, denn diese sind oft nicht vorrangig am Thema des langfristigen Erhaltes ihrer Bilder interessiert, sondern präferieren eine “gute” Ausleuchtung. Der museal ausgebildete Kurator muss das anders sehen und auf die zukünftigen Generationen der Besuchenden verweisen, die ja auch ein Recht auf das “authentische” Bild haben.

So weit, so verständlich. Dann kommt die Variante der Exhibition copies ins Gespräch. Sie unterliegen nicht zwingend den soeben skizzierten konservatorischen Beschränkungen. Sie sind nicht nummeriert, also fungieren in einem luftleeren Raum neben der Auflage, müssen aber von den Kunstschaffenden (oder ihren Rechtsnachfolger*innen) autorisiert sein. Wer das nicht tut, bewegt sich eventuell in einem urheberrechtlichen Graubereich. Zur juristischen Dimension von Fotografien könnte man noch Einiges sagen, aber das lasse ich an dieser Stelle einmal beiseite. Auf den Umstand, dass es sich bei dem gezeigten Werk um eine Exhibition copy, also ein Ausstellungsstück-Exemplar, handelt, verweist das Museum auf dem begleitenden Schild. Gleiches gilt für den späteren Reprint einer historischen Arbeit. Leider ist das nicht immer der Fall, weshalb ich diese Bequemlichkeit stets mit moralisch erhobener Stimme als eine “Täuschung” der Betrachtenden geißele. Denn die haben ein Recht darauf zu erfahren, ob das “Original”, d.h. die ursprüngliche Edition, wirklich auch in derselben Technik, mit demselben Material etc. ausgeführt worden ist. Keine historischen Verzerrungen, bitte!

Doch zurück zur Exhibition copy: Das Foto sollte nach der Präsentation zerstört werden. Oder aber – andere Variante – es wird beim Ankauf zum Preis der Materialkosten sogleich mit erworben und dann ebenfalls inventarisiert. In diesem Fall erhält es eine andere Inventar-Nummer.  Dass man dazu wiederum intern eine eigene Systematik entwickeln kann, sei an dieser Stelle ebenfalls nicht weiter verfolgt – viel zu mühsam.

Deshalb gehe ich nur noch kurz auf das Archiv-Exemplar ein: Es ist auch in der Praxis eher eine Rarität und stammt aus dem Zeitalter der C-Prints, die im Hinblick auf Farbveränderungen besonders empfindlich reagieren. Es gibt Fälle, in denen Ankäufe von ungerahmten Kopien jenseits der Auflage begleitet werden, die nie ausgestellt werden und im Depot lagern, um bei eventuellen Vergleichen die erfolgten Veränderungen zu den ausgestellten Exemplaren zu ermöglichen. Von deren (ebenfalls notwendiger) Inventarisierung erfährt außerhalb der Fachabteilung eigentlich niemand. Mühe macht das trotzdem. Und die ganze systematische Unterscheidung dieser verschiedenen Editionen und ihrer Typologie in der Diskussion mit Kolleg*innen ebenso. Aber das zählt, genauso wie das erläuternde Gespräch oder der Blog-Beitrag, eben auch zu meinem Job – und den hab ich mir schließlich ausgesucht.

Stefan Gronert

…ist Kurator für Fotografie am Sprengel Museum Hannover

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

99 − = 89