4 Fragen an…Christopher Muller

Du bist in den neunziger Jahren bekannt geworden mit Stillleben, hast dann Deinen motivischen Horizont sehr rasch erweitert über Collagen und Landschaften. Kontinuierlich aber ist Deine –  auch in den Fotografien stets erkennbar – Auseinandersetzung mit der Tradition der Malerei. Wie würdest Du allgemein das Verhältnis zwischen den beiden Medien beschreiben: ist Fotografie im 21. Jahrhundert vielleicht die einzig zeitgemäße Form der Bildlichkeit, welche die Malerei abgelöst hat oder glaubst Du an eine Koexistenz beider Formen?

Ich habe als Maler begonnen, bin über Film und Installation zur Fotografie gekommen und habe vor etwa zwölf Jahren neben der Fotografie wieder mit der Malerei begonnen. Fotografie und Malerei koexistieren bereits in meiner Arbeit, mehr oder weniger friedlich. Ich hoffe, dass sie auch weiterhin in irgendeiner Form koexistieren werden.

Wenn die Malerei heute anachronistisch wäre, weil sie nicht gängigen Vorstellungen von Ökonomie und effizienter Bilderzeugung entspricht, dann wäre vieles andere enorm Wertvolle auch hinfällig. Ich hoffe also, dass dies nicht der Fall ist. Gerade wenn unsere vorherrschende Bildkultur von Doomscrolling, permanenter Ablenkung und einem Herumfummeln mit Technologie dominiert werden, dann sind anachronistische Ansätze nicht verkehrt. Fotografien, die mich interessieren, schätze ich genauso wie Malerei, die mich interessiert. Natürlich ist die Malerei zu einer Beschäftigung einer Minderheit geworden, während Millionen von Menschen täglich Milliarden von fotografisch erzeugten Bildern zu lesen wissen. Das macht die Malerei nicht per se hinfällig oder überflüssig, aber es erschwert eventuell den Zugang für viele Menschen. Andererseits glaube ich nicht, dass die unmittelbare Zugänglichkeit ein Kriterium für Kunst ist. Die Malerei kann die Fotografie schwer ignorieren, weil ein so großer Teil unseres kulturellen Diskurses durch Fotografie (oder Film) vermittelt wird, aber die Malerei hat auch eine besondere Beziehung zu Material und Prozesshaftigkeit, die die Fotografie nicht hat und nicht erreichen kann. In der Malerei hat das Material, die Farbe, ihre eigenen physischen und suggestiven Eigenschaften, während der Malprozess aus einer Vielzahl von Entscheidungen besteht, die in einer symbiotischen Beziehung zu dem Bild getroffen werden, dass sich vor Augen der Malerenden entfaltet.

Ich persönlich finde es sinnvoll, zwischen Bildern, die von der menschlichen Hand mit einem Stift oder einem Pinsel gemacht wurden, und solchen, die apparativ entstanden sind, zu unterscheiden. Allerdings betrachte ich Malerei und Fotografie nicht als Untersuchungsobjekte, sondern eher als Werkzeuge, um Bilder zu machen. Natürlich muss man wissen, es sogar lieben, wie die Werkzeuge funktionieren. Ich denke, es ist wichtig, dass wir uns im Prozess des Bildermachens an all die anderen verschiedenen Arten von Bildern erinnern, die Menschen mit sich herumtragen – die Welt suggeriert Bilder, seien sie profan oder außergewöhnlich, optische Täuschungen, Luftspiegelungen oder sogar Visionen, aber auch völlig ungreifbare Bilder in unserem Kopf – Träume, Erinnerungen, Fantasien. Ich denke, dass die Fotografie und die Malerei einen unterschiedlichen Zugang zu der Realität und diesen Bildtypen haben. Daher betrachte ich eine Koexistenz der beiden Medien als wichtig.

Seit 2007 bist Du auch in der Lehre tätig, zunächst in Leipzig, heute in Essen: wie schaffst Du es Dein eigenes künstlerisches Schaffen mit der Lehrtätigkeit zu verbinden?

Ich fühle mich in beiden Welten zu Hause. Wenn Fotografie und Malerei nebeneinander leben können, dann würde ich sagen, dass ich eine anpassungsfähige Natur habe! Warum also nicht auch die künstlerische Praxis und die Lehre? Ich hoffe, dass diese Anpassung bei mir keine künstlerischen Kompromisse mit sich gebracht hat. Der Austausch mit jungen, kreativen Menschen kann sehr inspirierend sein. Als ich anfing, in Leipzig Fotografie zu unterrichten, war ich erstaunt, wie viel die Studierenden bereits wussten – mit meinem Hintergrund in der Bildenden Kunst war ich nicht so spezialisiert. So hatte ich anfangs das Gefühl, mehr zu lernen als sie. Heute bespreche ich in meinen Kursen nicht nur die Arbeiten der Studierenden, sondern auch Künstler*innen, vor allem Fotograf*innen, die mich interessieren – ich musste lernen, diese Begeisterung zu verbalisieren, ohne alle abzuschrecken, was mich auf das alte Sprichwort zurückbringt, dass der Lehrer am meisten lernt. Ich hoffe, dass das strukturierte Nachdenken über verschiedene Aspekte der Fotografie meiner eigenen Praxis zugutegekommen ist.

Natürlich kostet das Unterrichten Zeit und Energie. Jede Institution ist anders, und Essen hat seine eigenen Vorteile und Herausforderungen. Unsere Fotografie-Abteilung mitgestalten zu dürfen, war in vielerlei Hinsicht eine großartige Erfahrung.

Vielleicht lässt sich die Fotografie aufgrund der damit verbundenen künstlerischen Praxis leichter mit den Anforderungen der Lehrtätigkeit vereinbaren als andere Medien. Meine Aquarelle sind in der Regel innerhalb weniger Stunden, höchstens eines Tages, fertig. Ich frage mich selbst, ob das daran liegt, dass ich nicht mehr Zeit habe, aber ich bin mir nicht sicher. Es fühlt sich richtig an.

Spätestens das 21. Jahrhundert ist das Zeitalter des Digitalen. Die Fotografie hat sich, behaupte ich einmal, auch dadurch ganz schön verändert und auch in Deinem Werk merkt man gewisse Modifikationen seit den neunziger Jahren. Wie würdest Du die Relevanz des Digitalen für die künstlerische Fotografie heute beschreiben?

Ja. die Fotografie hat sich definitiv geändert und das Digitale hat neue Möglichkeiten der Bildgestaltung und Bildgenerierung geschaffen. Irgendwann verlässt man die Fotografie die mit Linse, Licht und Blick zu tun hat und landet wo anders – ich bin mir nicht sicher, wo genau. Der Wechsel von Film zum digitalen Sensor ist nur ein Schritt auf diesem langen Weg. Aber am Ende, scheint das eine mit dem anderen nicht viel gemein zu haben.

Tatsächlich verwende ich seit längerem digitale Bildbearbeitungswerkzeuge in manchen Werkgruppen, aber ich verfolge dabei ähnliche Interessen wie in meinen analogen Fotografien aus den frühen Neunzigern. Für diese Bilder habe ich Gegenstände nebeneinander aufgereiht und fotografiert. Die erkennbaren Gegenstände waren sachlich fotografiert, aber die Aneinanderreihung von mehreren Gegenständen verleitet zu einem vergleichenden Sehen, das wiederum ein Gesamtgefüge entstehen ließ. Mein Vorgehen ähnelte der des Collagierens, bei der die Elemente ihre Identität bewahren, aber durch neue Nachbarschaften zusätzliche Bedeutungsebene gewinnen. Das Spannungsverhältnis zwischen dem nüchternen und dem aufgeladenen Blick war mir wichtig. Ich habe die additiven Bildfindung der frühen Stillleben versucht auf vorgefundenes Bildmaterial und eigene Fotografien zu übertragen. Hierzu verwende ich digitale Bildbearbeitungstechniken, um Fotomontagen zu erstellen. Die digitale Bildbearbeitung, und ich beschränke mich dabei auf wenige Auswahlwerkzeuge bei Photoshop, ermöglicht es nicht nur einzelne Gegenstände, sondern auch unterschiedliche Bilder nahtlos miteinander zu kombinieren.

Zum Schluss frage ich oft nach persönlichen Neuentdeckung: hast Du in letzter Zeit irgendeine Position gesehen, die Dich total begeistert hat?

Das fotografische Werk von Niklas Taleb. Die Stillleben-Fotografie von Sora Park. Vor wenigen Monate in Seoul habe ich Gemälde in einer Galerie von dem sehr berühmten koreanischen Künstler Lee Ufan gesehen – eine Neuentdeckung für mich. Die Besten entdeckt man immer wieder gerne neu.

Mit bestem Dank an….

Christopher Muller

…ist Professor für künstlerische Fotografie an der Folkwnag Universität der Künste, Essen und Künstler in Düsseldorf

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