Bilder, die in Zukunft die Welt konstruieren – Thomas Albdorfs Vision von der neuen Fotografie

Im Essener Museum Folkwang ist noch bis 3. November 2019 die Ausstellung „Thomas Albdorf:  Mirror Mirror“ zu sehen.  Der Künstler, 1982 im österreichischen Linz geboren, verbindet in dieser ortsspezifischen Präsentation eine Reflexion über Bilder im digitalen Zeitalter, ihre Wahrnehmung und jeweils besondere Erscheinungsform mit grundlegenden Fragen über die Zukunft von Fotografie.

In dem die Ausstellung begleitenden Gespräch des Fotografen und Bildhauers mit Thomas Seelig, das auf einem Poster abgedruckt ist, geht es sowohl um die wirklich sehenswerte Essener Ausstellung, aber auch um Albdorfs durchaus radikale Vision vom Ende eines fotografierenden Subjekts, das durch artifizielle Netzwerke ersetzt wird. Einen Auszug aus diesem Gespräch geben wir im Folgenden mit Zustimmung der Autoren wieder:

Thomas Seelig: Für das Ausstellungssetting haben wir uns ent­schieden, eine rohe metallische Trockenbaukons­truktion in den Raum zu setzen. Auch hier werden Prozesse sichtbar …

Thomas Albdorf: Ja, wir legen damit die Konstruktion und die physischen Träger hinter einer Ausstellung frei und orientieren uns an bestimmten Industriestan­dards. Es gibt spezifische Abstände zwischen den einzelnen Säulen, die uns in Bezug auf die Plat­zierung der Bilder einschränken. Wir müssen uns an diesen Standards orientieren und können sie gegebenenfalls auch unterlaufen.

TS: Mit „Mirror Mirror“ haben wir einen Titel gewählt, der ebenfalls eine Iteration ist. Wir haben einen Spiegel, der ein Bild generiert. Es kommt ein wei­terer Spiegel ins Spiel, der wiederum ein neues Spiegelbild generiert. Mir stellt sich die Frage, ob es in Deinem Werk eigentlich den Anspruch an ein Original gibt? Kannst Du überhaupt, oder noch, in der Kategorie „Original“ denken?

TA: Am Ende des Tages sehe ich es so: Es gibt den Print in einer gewissen Form und Auflage. Das ist das von mir bestimmte Werk. Andererseits kom­binieren die meisten Menschen, die meine Arbei­ten sehen, sie in anderen Formen. Es existieren und zirkulieren beispielsweise Bilddaten und Aus­stellungsansichten dieser Werke. Es gibt also ein zweites Leben des Bildes, das auf den Screens von Handys oder Rechnern sichtbar wird. Somit ist es schon eine weitere Iteration, die auf den So­cial Media ihr Dasein fristet oder halt einfach exis­tiert. Es gibt also diese physischen Werke, aber auch verschiedene Instanzen, in denen sie auf dem Mobiltelefon oder im Internet weiterleben.

TS: Würde es Deinem Denken entsprechen, dass alle Instanzen gleich bildwürdig sind? Stehen wir vielleicht am Anfang einer unendlichen und auto­matisierten Kette von Bildgenerierungen?

TA: Die allermeisten Bilder, die wir sehen, werden wahrscheinlich in Zukunft nicht mehr von Men­schen, sondern von Software erstellt sein. Es wird alles nur mehr auf fotografischen Aufnahmen ba­sieren, die früher einmal Menschen gemacht ha­ben. Die vermeintlich neuen Bilder, mit denen wir konfrontiert sind, werden also künstlich erstellte Bilder sein, die aus den alten Bildern bestehen. Das ist eine Zukunft, die primär aus Bildern be­steht, die von neuronalen Netzwerken erstellt wurden. Dadurch, dass diese Netzwerke in der Herstellung neuer Iterationen, neuer Varianten, nur in Zeit und Rechnungsdauer beschränkt sind, wird es das Konzept des glaubwürdigen Originals, des fotografischen Beweises, das Konzept einer Glaubwürdigkeit irgendeiner fotografischen Auf­nahme per se, oder einer fotografischen Aufnah­me, von der behauptet wird, das ist jetzt konstant und wird nicht mehr verändert, nicht mehr geben.

TS: Angenommen wir bewegen uns tatsächlich in eine Zukunft, wo alles, was wir sehen und kon­sumieren, absolut künstlich ist. Ist diese Vision nicht erschreckend?

TA: Je glaubwürdiger diese automatisch gene­rierten Bilder zu Fälschungen werden, desto we­niger können wir die Täuschung erkennen. Wir als Individuen werden diesen Schritt, bei dem wir in eine tatsächlich hundertprozentig künstliche Welt übertreten, nicht mehr wahrnehmen. Es ist durchaus wahrscheinlich, dass das Fotografische nicht mehr notwendig sein wird, weil alles nicht mehr glaubwürdig ist. Wahrscheinlich brauchen die Netzwerke irgendwann kein neues Material mehr, sondern generieren das vermeintlich Neue gleich selbst. Das ist eine sehr dystopische, aber relativ wahrscheinliche Sicht auf unsere Zukunft in Bezug auf Bilder, die unsere Welt konstruieren.

http://thomasalbdorf.com/

BU: „Thomas Albdorf:  Mirror Mirror“, Museum Folkwang, Essen, 19.9.-3.11.2019 (Installationsansicht)

1 Kommentar zu Bilder, die in Zukunft die Welt konstruieren – Thomas Albdorfs Vision von der neuen Fotografie

  1. Wahrheit Wirklichkeit und Realität

    ich denke die Fotografie im Sinne von „So ist es gewesen“ ist schon lange von Ihrem Altar geholt worden. Auch ist die Daseinsberechtigung der Fotografie nicht allein an Ihre Glaubwürdigkeit geknüpft. Fotografie ist weit mehr als nur „Zeitzeuge“ oder „Existenzbeweis“.

    So sollten wir auch berücksichtigen, das Bild, die unsere Welt konstruieren – schon immer auch durch den Mensch selbst konstruiert wurden. ich bin der Meinung, das es das Konzept einer Glaubwürdigkeit einer fotografischen Aufnahme per se, so noch nie gab. Man hat es der Fotografie einfach zugesprochen (Im Rahmen ihrer technischen Möglichkeiten).

    Wenn dann neuronale Netzwerke (im Sinne künstlicher Intelligenz) flutartig Unmengen an perfekten Täuschungen oder Fälschungen produzieren -warum soll dann dieser Umstand die menschgemachte Fotografie überflüssig machen? ich glaube nicht dass es so kommen wird.

    Die Möglichkeit des Sience Fiction hat den Tatsachenbericht auch nicht überflüssig gemacht.

    Glaubwürdigkeit kann nicht allein daran gemessen werden, ob es die Möglichkeit der perfekten Fälschung gibt.

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