Zu viel des Guten? Die Düsseldorfer Kunsthalle zeigt die Fotoszene Rhein-Ruhr

Das geografisch immerhin vage zu begrenzende Rhein-Ruhrgebiet zählt mit knapp 10 Millionen Einwohnern zu den größten Menschenansammlungen Europas. Kein Wunder also, dass sich auch im Hinblick auf die Fotografie hier einiges ereignet (hat). Deswegen hat sich die Kunsthalle Düsseldorf nun unter der Leitung von Ralph Goertz, Dana Bergmann und Gregor Jansen diesem Thema mit einer Ausstellung unter dem Titel „Subjekt und Objekt“ angenommen (bis 16.8.2020).

Sie vereint, so der Pressetext, „zentrale Positionen dreier Künstlergenerationen und zeigt erstmals die Gemeinsamkeiten und Unterschiede ihrer künstlerischen Ansätze. Vor allem werden aber auch bisher weniger betrachtete Positionen in diesem Kontext präsentiert. Mit rund 100 Künstler*innen und mehr als 600 Werken unternimmt die Ausstellung erstmals eine dialogische und impulsgebende Untersuchung dieser Entwicklung.“ – Die übliche, mittlerweile wohl unvermeidbare Rhetorik der Ankündigungen: „erstmals“ und zugleich “Entdeckungen” sind die gängigen Codes um mediale Aufmerksamkeit zu erzeugen.

Aber schauen wir genauer hin: Dass aus dem deutschen Rheinland, speziell in Düsseldorf, und auch aus der benachbarten Ruhrgebietsmetropole Essen seit der zweiten Hälfte der siebziger Jahre eine qualitativ und auch quantitativ besondere Verdichtung künstlerische Fotografie hervorgegangen ist, die ihresgleichen sucht, ist keine allzu neue Erkenntnis. Die großen Figuren Otto Steinert sowie Hilla & Bernd Becher haben ihre Spuren hinterlassen und auch ihre inhaltlich wie auch immer weit entfernten Nachfolger haben diese vielleicht sogar weltweit einzigartige künstlerische Dichte auch bildlich mitunter zu einer sehr variablen Sprache weitergeführt. Der Ausstellungs-Titel „Subjekt und Objekt“ zeigt dies leider nicht, wiederholt allenfalls die kanonische Banalisierung einer Opposition der 70er Jahre, die in ihrem simplen Dualismus längst schon nicht mehr relevant ist. Schließlich sind neben Essen und Düsseldorf auch Ausbildungsorte wie Köln, Düsseldorf, Siegen und  – das wird ein wenig als DIE Entdeckung der Ausstellung behauptet – Krefeld hinzugekommen. Im Hinblick auf die dortige Hochschule Niederrhein hebt man besonders Detlef Orlopp (*1937) aufs Tablett – obgleich dort mit Rolf Sachsse (einst) und Gudrun Kemsa (heute) ohnehin schon prominente Namen als Lehrer tätig waren und sind.

Doch hiermit sind wir beinahe schon den Fallstricken einer Kritik erlegen, die man zu Recht als „altklug“ qualifizieren darf, fokussiert sie sich doch auf die Namen der nicht gezeigten Positionen. Das trägt wenig zur Sache bei, denn jede Präsentation erfordert eine Selektion – und die Klage über die Vergessenen ist damit zugleich ein unverzichtbarer Bestandteil jeder Gruppenausstellung. Also gilt es, sie an dem Gezeigten, nicht an den Auslassungen zu messen.

Worin aber besteht nun eigentlich die These dieser Ausstellung? Oder handelt es sich um eine bloße „Leistungsschau“? Von Letzterem ist in Anbetracht der nahezu unüberschaubaren Anzahl der Teilnehmer*innen und Werke wohl auszugehen. Hier aber beginnen die grundsätzlichen Fragen der Besucher*innen: Wer soll sich in diesem Urwald der Bilder orientieren, ohne den Kopf zu verlieren? Was erfahre ich jenseits der bloßen Masse? Wandtexte oder eine entsprechende Wegeführung der Ausstellungsgestaltung könnten da Abhilfe schaffen. Aber weit gefehlt: Die vermeintlich „innovative“ Form einer leichten Holzlatten-Konstruktion samt Paneelen, die das historische Modell der im Raum frei stehenden Stellwände ersetzt, erzeugt zwar mehr Hängefläche, schafft aber keine hilfreiche inhaltliche Gliederung, bändigt also die umgebende wilde Petersburger Hängung im großen Saal der Kunsthalle nicht. In nicht wenigen Fällen unterminiert sie hingegen die visuelle Struktur der darauf platzierten Fotos. Auch in dieser Hinsicht wollte man vielleicht etwas zu viel mit einer Ausstellung, deren Thema in der Ordnung einer einfachen Publikation sicher besser zur Geltung gekommen wäre.

Und das ist In der Tat auch so geschehen, denn das 356 Seiten umfassende Kompendium, geordnet nach Jahrzehnten, ist auch deutlich übersichtlicher und dank seiner zahlreichen grundlegenden Texte wirklich empfehlenswert.

Stefan Gronert

…ist Kurator für Fotografie am Sprengel Museum Hannover