Worin das Plus besteht: Ein schneller Blick nach Düsseldorf

“Die aktuelle Biennale for Visual and Sonic Media. düsseldorf photo+ findet vom 17. Mai bis 14. Juli 2024 unter dem Leitmotiv ON REALITY statt. Es werden über die Stadt verteilt Ausstellungen, Präsentationen, Konzerte, Gespräche, Vorträge, Panels und weitere Veranstaltungen in Museen, Sammlungen, Galerien, freien Ausstellungsräumen und Hochschulen erlebbar sein, die sich darin verbinden, dass sie sich auf unterschiedlichste Weise mit Fragen und Medien beschäftigen, die heute entscheidend an unserem Wirklichkeitsverständnis mitwirken.“

So lautet die Programmatik eines imposanten Foto-Festivals in der nordrhein-westfälischen Hauptstadt auf deren Homepage. Verantwortlich hierfür zeichnen der erfahrene Galerist Rupert Pfab, die Kulturkommunikations-Expertin Ljiljana Radlovic sowie die stets vitale Künstlerin Pola Sieverding. 

Noch eine der unzähligen Festivals, Biennalen, kulturpolitisch motivierten Großevents? Braucht man das? Und auch in diesem Fall stossen wir in der Ankündigung auf ein auffällig gesetztes Symbol: ein markant gesetztes Plus! Geht es dabei um eine Geste, die den mächtigen Anspruch Düsseldorfs als vermeintliches bundesdeutsches Zentrum für Fotografie unterstreichen will?   

Derartige Gedanken mag man haben, aber sie schießen dann wohl doch über das Ziel hinaus. Natürlich kann man das kulturpolitische Engagement für Fotografie in Düsseldorf begründet kritisieren, indem man es als viel zu verspätet kritisiert. Die Kunst selbst war ihrer Wertschätzung in dieser Hinsicht um mehrere Jahrzehnte voraus, was auch für die hehren Museen gilt, die später als die meisten Galerien und der Kunstmarkt den Stellenwert dieses alten Bildmediums erkannt haben. Selbst zu Beginn des 21. Jahrhunderts musste man die Foto-Ausstellungen in Düsseldorfer Museen aufmerksam suchen. Aber seit einigen Jahren, das muss man anerkennen, hat man endlich begriffen. Denn dies ist nicht das erste Foto-Festival in Düsseldorf und bezeichnenderweise sind es wieder Galerien und Künstler*innen, welche die Initiative ergriffen haben. 

Doch zurück zur Sache: worum geht es bei dieser Biennale, die übrigens die Anzahl ihrer Auftritte geflissentlich verschweigt? Das zeichenhaft gesetzte Plus im Titel begründet sich zweifellos durch die medialen Überschreitungen eines traditionellen Begriffs von Fotografie, das man gerade in Düsseldorf immer wieder überschritten hat. Zugleich provoziert es aber auch die Frage danach, was dieses Festival im Chor der vielen anderen internationalen Festivals ausmacht? Schauen wir uns dafür zunächst die bereits eingangs bemühte Homepage noch einmal näher an: Sie offenbart eine schlagende Vielzahl von Ausstellungen in Galerien, off-Räumen und (oftmals, aber nicht nur kleineren) musealen Institutionen und schließt zudem ein zweitägiges Symposium mit internationalen Gästen in der honoren Kunstsammlung NRW ein. 

Ich kann (selbstredend) nicht behaupten, das gesamte Angebot dieses Programms wahrgenommen zu haben, nicht einmal im Ansatz, und enthalte mich deswegen auch weitergehenden Beurteilungen zu den Inhalten. Insofern ist dieser post ausnahmsweise eher als Hinweis, denn als Modus der Kunstkritik zu verstehen. Aber allein schon die große Fülle des Biennale-Programms ist sehr beeindruckend und legitimiert (fern von inhaltlich differenzierten Argumenten) ebenfalls ein Plus auf der nach oben offenen Skala der Aufmerksamkeits-Ökonomie. 

Etablierte Positionen wie Thomas Ruff (Konrad Fischer Galerie) oder Helmut Schweizer (Rupert Pfab Galerie) wechseln in Einzelausstellungen mit wichtigen jüngeren Positionen wie Philipp Goldbach (Setareh) oder auch ganz jungen Positionen wie Paul Kuimet (Cosar) ab. Diese ausschließlich auf männliche (deutsche) Positionen beschränkte Aufzählung mag man problematisieren. Mit Vergnügen verweise ich exemplarisch aber auch auf die ebenfalls Positionen von Astrid Becker, Claudia Angelmaier, Viktoria Binschtok, Liz Deschenes, Claudia Fährenkemper, Barbara Kasten, Katharina Mayer, Berit Schneidereit oder Sophie Thun, die keineswegs alle nur in Gruppenausstellungen versteckt sind. In Bezug auf Letztere sei übrigens zwingend auf die vom Steffen Siegel (Folkwang Universität der Künste, Essen) durchaus mutig kuratierte Präsentation „Leap of Faith: Transmediale Fotografie“ in den durchaus nicht einfachen Räumen der nordrhein-westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste verwiesen, die selbst für Expert*innen des Genres einige Überraschungen bereit hält. Kurz und gut: Die “düsseldorf photo+” scheint ihrem keineswegs unprätentiösen Namen alle Ehre zu erweisen. Ein oder mehrere Besuche lohnen sich.

 Stefan Gronert

….ist Kurator für Fotografie und Medienkunst am Sprengel Museum Hannover

BU: Paul Kuimet, Crystal Grid 32 (Tallinn), 2023

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