4 Fragen an…Christin Müller

Da Du längere Zeit die Ausstellungen zum Förderpreis der Wüstenrot Stiftung betreut hast, erscheinst Du manchmal wie die Expertin für künstlerische Dokumentarfotografie. Positionen wie Sophie Thun, Onorato Krebs oder Adrian Sauer würde ich allerdings nicht dieser Richtung zuschreiben: Wie würdest Du Deine Expertise selbst beschreiben und wie ein zeitgemäßes Verständnis von Dokumentarfotografie?

Als Kuratorin für die Dokumentarfotografie Förderpreise 12 und 13 war ich Gesprächspartnerin für die ausgezeichneten Künstler*innen bei der Werkproduktion, in konzeptionellen und organisatorischen Fragen. Das war für mich sehr bereichernd, weil uns dabei Fragen begleiteten, wie Beobachtungen aus der Gegenwart in Werkformen gebracht werden können und welche Ausformungen die dokumentarische Sprache dabei annehmen sollte. Mit den anderen von dir genannten Positionen verbindet die Künstler*innen, die ich im Rahmen des Preises begleitet habe, einerseits eine tiefgreifende Auseinandersetzung mit Fotografie als Medium. Sie bewegen sich abseits der Dichotomie von Analog und Digital und sind am installativen, medienübergreifenden Arbeiten interessiert. Andererseits bringen sich die Künstler*innen selbst, ihre individuelle Beobachtung, teilweise auch den eignen Körper ins Spiel und befragen mit ihren Werken die eigene Autorschaft. Das sind für mich zugleich wichtige Aspekte für einen zeitgemäße dokumentarische Arbeiten. Nicht mehr das möglichst-nah-dran-sein ist entscheidend, sondern eine geeignete künstlerische Haltung und Übersetzung im (Ausstellungs-)Raum zu finden, die manchmal sehr frei sein kann. 

Neben dem Arbeiten mit Gegenwartskünstler*innen stehe ich mit einen Fuß im 19. Jahrhundert. Seit mehreren Jahren assistiere ich Thomas Walther bei seiner Sammlung von Fotografien des 19. Jahrhunderts und arbeite derzeit für die Deutsche Fotothek an einem Werkverzeichnis von August Kotzsch mit. Darüberhinaus waren diverse Einladungen, Texte für Publikationen oder Zeitschriften zu schreiben, für mich eine Gelegenheit, einen Schritt zurück zu treten und etwa in Katalogkonzepte von Kolleg*innen mit Texten hineinzuwirken oder bei Rezensionen über die Vermittlung von Themen in Ausstellungen mit einem Außenblick nachzudenken. Ab und zu bin ich ausserdem Lehrbeauftragte an Hochschulen. Gerade mache ich zum Beispiel eine Übung an der Universität Leipzig zum Thema Kunstvermittlung und Öffentlichkeitsarbeit, bei der ich mit den Studierenden unter anderem eine Intervention für das Leipziger Fotofestival f/stop plane. Meine Arbeit würde ich also eher als mit und über Fotografie und um sie herum beschreiben. Die damit verbundenen diversen Perspektiven sind für mich sehr bereichernd.

Ein großes Thema der letzten Jahre innerhalb der Foto-Szene ist der innerdeutsche Ost-West-Konflikt. Du lebst in Leipzig und bist mit diesem Themenfeld zweifellos auch vertraut. Trotz der Komplexität des Bereiches wage ich die allgemeine Frage: Wo siehst Du Kern-Probleme und Lösungs-Ansätze?

Interessant ist, dass das Interesse an Fotografie aus der DDR und die Dringlichkeit, sich damit zu beschäftigen in den letzten Jahren einen starken Aufwind bekommen hat. Es gibt eine ganze Reihe an Fotograf*innen, die ihr Werk in Sammlungen oder Archiven unterbringen wollen und ein verstärktes Forschungsinteresse von jungen Wissenschaftler*innen und Künstler*innen. Das ist eine große Chance für einen produktive Forschung. Gleichzeitig ist leider die Debattenkultur hitzig und die Deutungsfrage, wer, mit welchem biografischen Hintergrund über was sprechen darf, wird regelmäßig explizit oder implizit problematisiert. Die Gruppe 89plus von der DGPh engagiert sich mit Symposien sowie einer Machbarkeitsstudie aktuell für die Beschäftigung mit Fotografie der DDR und sammelt Bedürfnisse und Arbeitsansätze von Archiven sowie Vor- und Nachlässen. Wichtig wäre eine langfristige finanzielle Förderung und auch Offenheit der verschiedenen Akteur*innen. Erfreulicherweise stellen inzwischen einige Ausstellungen Fotograf*innen aus der DDR vor. Wünschenswert wäre, dass Werke, die in der DDR entstanden sind, selbstverständlich in den Kanon der Fotogeschichte Deutschlands eingehen, an Hochschulen besprochen werden und auch nicht immer zwingend das Label “DDR” brauchen, sondern auch mal einfach für sich stehen können.

Ein weiteres heißes Eisen unserer Zunft ist die Debatte um ein Bundesinstitut für Fotografie. Wie auch immer es heißen mag: Welche inhaltlichen Erwartungen hättest Du an eine solche Institution?

Ich fände es wichtig, dass das Bundesinstitut kein geschlossenes und statisches Archiv wird. Spannender wäre eine dynamische, vernetzte Forschungsstätte für Fotografie. Neben dauerhaft dort arbeitenden Personal, könnten Wissenschaftler*innen und Künstler*innen im Rahmen von Stipendienprogrammen wichtige, auch inhaltlich randständige und interdisziplinäre Impulse für die Forschung an der Fotografie geben. Zugleich ist die digitale Zugänglichkeit der aufgenommen Vor- und Nachlässe entscheidend. Die gesammelten Bilder sollten über die digitale Verfügbarkeit nicht nur für kunst- und fotohistorischer Forschung genutzt werden, sondern auch in öffentliche Debatten eingehen können oder auch für Privatinteressen Einzelner zugänglich sein. Spannend wäre neben künstlerischer auch angewandte Fotografie zu sammeln, wobei in einigen Werkbiografien sowieso beides steckt und hoffentlich so Eingang in die Sammlung findet. Meine Erwartungen an dieses Institut sind also erstmal weniger inhaltlich, als vielmehr methodisch.

Wiederholt schon ist mir aufgefallen, dass Du junge Positionen durch Deine Arbeit unterstützt, die mir allenfalls gerade erst in den Blick gekommen sind – will sagen: Du bist mir oft einen Schritt voraus. Gestatte deswegen meine neugierige Frage, welche Position Du zuletzt neu für Dich entdeckt hast?

Danke, einige der jungen Positionen kommen tatsächlich durch Anfragen zu mir oder zuletzt über die Einladung der Hochschule für Grafik und Buchkunst letztes und dieses Jahr als externe Prüferin für die Fotodiplome mitwirken zu dürfen. Beides schätze ich sehr. Bei den Diplomen war unter anderem  Clarita Maria Phiri-Beierdörfers Projekt “ichibukisho (Akt des Erinnerns)” beachtenswert, in dem sich sich mit ihrer Familie aus ihrem Geburtsland Sambia beschäftigt und Themen wie Herkunft, Tradition und gegenwärtiges Selbstverständnis umkreist. Zu der Arbeit gehören Videointerviews und eine filmische Auseinandersetzung mit dem klassischen Studioporträt, die sie sinnstiftend in eine Installation überführt hat.

Eine andere spannende Arbeit, die ich kürzlich gesehen habe und die ein Spiegel für Clarita Maria Phiri-Beierdörfers Arbeit sein könnte, ist Falk Messerschmidts Projekt “From Culture to Cotton (Album / Dedication Piece)”. Er hat sich darin mit den Aktivitäten der Leipziger Baumwollspinnerei in Deutsch-Ostafrika Anfang des 20. Jahrhunderts auseinandersetzt. In einer Doppelprojektion zeigt er Auszüge aus zwei Alben von Baumwollplantagen aus dem Archiv der Spinnerei. Auf einer Textebene reflektiert Falk Messerschmidt über das Zeigen und Anschauen dieser Bilder, darüber was wir sehen, was wir nicht erfahren und was das heute emotional auslöst. Zu der Arbeit gehört noch eine Fotografie einer Gedenktafel für die Opfer des Widerstandes gegen die Kolonialherren. Eine Künstlerin hatte die Tafel 1995 angebracht, inzwischen ist sie unter ungeklärten Umständen verschwunden. Mit der Fotografie und einem Gespräch werden die Ereignisse, auf die die Künstlerin verweisen wollte und die damit verbundene sich verändernde Erinnerungskultur, zur Diskussion gestellt.

Mit bestem Dank an…

Christin Müller

…ist Kulturwissenschaftlerin und arbeitet als freie Kuratorin und Autorin in Leipzig

BU: Porträt Christin Müller (privat)

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