Der jenseits von Konzepten geführte Kampf um den vermeintlich „richtigen“ Standort eines allseits gewünschten, in Foto-Kreisen gar als längst überfällig angesehenen Bundesinstituts für Fotografie führt nicht allein zu Ränkespiel hinter den politischen Kulissen. Er hat darüber hinaus auch für eine publizistische Offensive beider Bewerber-Städte geführt, von der alle Foto-Fans profitieren können.
Welches nordrhein-westfälische Städtchen ist denn nun der wirklich einzig angemessene Ort für dieses lang ersehnte Institut? Im inner-circle sind die Argumente längst durchgekaut. Doch der gesellschaftliche Konsens ist, wie auch kaum anders zu erwarten, keineswegs da und erfordert ein politisch kontroverse Entscheidung jenseits des indifferenten Aussitzens (, was freilich auch eine Option wäre sich des Themas zu entledigen).
Der demokratisch legitimierte Akt erfordert, so lehrt uns Staatsphilosoph Jürgen H., eine finale Entscheidung, die idealtypisch dem „zwanglosen Zwang des besseren Arguments“ folgt. Will in diesem Fall sagen: Ran an die Pressearbeit! Denn selbst wenn sie ganz zentral zu dieser beiträgt, so folgt auch die Fotografie, wie schon Nadar wußte, den Gesetzen der Aufmerksamkeitsökonomie!
Den ersten, öffentlichkeitswirksamen Schritt in dieser Hinsicht hat die Stadt Essen kurz vor der letzten Bundestagswahl im September 2021 unternommen. Es handelte sich um ein 76-seitiges Magazin unter dem Titel „Fotostadt Essen“, das als gedruckte Beilage zur „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ erschien und damit eine Reichweite von angeblich 740.000 Leser*innen erzielt haben soll.
Diesem Heft folgte November dann ein weiteres, ähnlich aufgemachtes Magazin als Beilage zur Süddeutschen Zeitung, diesmal beschränkt auf die Ausgaben in NRW und Berlin – dort, wo die Entscheider*innen sitzen. Die Publikationsform und Machart diesen beiden Hefte folgt den bekannten Magazin-Beilagen der beiden überregionalen Tageszeitungen: bunt, aber in dezenter Grafik, auf ein breites (gleichwohl: akademisches) Publikum abgestimmt, mit hohem Bild-Anteil, aber auch kurzweiligen Interviews, Fragebögen, Kurz-Statements wie auch anspruchsvollen Essays zu größeren Themen. Beide Hefte sind nach wie vor im Internet frei abrufbar: https://www.essen.de/essenaktuell/fotostadt_essen.de.jsp
Der scheinbar anachronistische Modus der gedruckten Ausgabe bediente sich des Forums der Tagespresse, was zugleich aber auch mit einer nachlassenden Erinnerungsfunktion einhergehen und daher nach einer Fortsetzung ruft. Wo bleibt das nächste Magazin? Zweifellos jedoch dürfte das Budget des Presseamtes der Ruhr-Metropole begrenzt sein – zumal die erhoffte “Wirkung” der Publikation bis heute auf sich warten lässt.
Wie aber reagierte man nun in der Landeshauptstadt auf diese Offensive? Mit reichlich Verspätung, aber durchaus auch in Nähe zu einer politischen Aktion – diesmal: der Regierungsbildung der Nordrhein-Westfälischen Landesregierung im Anschluß an die jüngste Landtagswahl – legte das Kulturamt der Stadt Düsseldorf mit einem pdf am 24.6.2022 nach. Allerdings nahezu unbemerkt, da nur im Internet und ohne weiteres begleitendes mediales Trompetenspiel: die Insider werden’s schon merken. Düsseldorf hat, so erfährt man, still und heimlich „im Mai 2021 die deutschlandweit erste Koordinierungsstelle für Fotografie im Kulturamt eingerichtet und stellt nun den im Juni 2022 fertiggestellten Bericht “Düsseldorf und Fotografie” vor.“
Die Landeshauptstadt folgt in ihrer publizistischen Offensive auch inhaltlich einem anderen Modell: Weniger breitenwirksam ausgerichtet ermöglicht die Autorin Christina Irrgang auf immerhin 100 umfangreich bebilderten Seiten und relativ knappen Textpassagen einen wirklich systematisch angelegten Überblick zum selbst gewählten Thema, das nicht nur im Blick auf das Thema eines Bundesinstituts von Relevanz ist und schlichtweg Imponierendes auflistet.
Will man jetzt nicht im Detail Äpfel und Birnen mit einander vergleichen, so wird auf jeden Fall nach der Lektüre deutlich, dass beide Standorte im Vergleich Stärken und auch einige wenige Schwächen aufweisen, wobei Letzteres ein Klagen auf sehr hohem Niveau bedeutet.
Über die tatsächlichen Effekte dieser beiden publizistischen Offensiven kann man gegenwärtig nur spekulieren: Nachdem, wie man hört, auf politischer Ebene der Ball (der Entscheidung) zunächst von Berlin nach Düsseldorf gespielt scheint, zumal sich im Berliner Koalitionsvertrag keine Aussage zur Einrichtung des gewünschten Institutes findet, muss man Gleichartiges auch bei der Lektüre des Düsseldorfer Koalitionsvertrages feststellen. Verblüffenderweise nimmt dort die Kultur einen ganz geringen Stellenwert ein, was man seit 2017 durch die beeindruckend tatkräftige Ministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen eigentlich ganz anderes gewohnt war.
Was auch immer aber nun geschehen wird: Die Foto-Interessierten sind durch verschiedenartige, aber in beiden Fällen jeweils gute Pressearbeit übersichtlich informiert über zwei wichtige Standorte in Deutschland. Das dies nicht die beiden einzigen wichtigen Foto-Orte in Deutschland sind, muss man nicht eigens erwähnen, würde sich aber Ähnliches sicher ebenso von Hamburg, Berlin oder Leipzig wünschen – selbst wenn es dort nicht um ein Bundesinstitut, sondern nur um Selbstdarstellung im Sinne von Stadtmarketing gehen würde. Aber so etwas schadet ja auch nicht.
Stefan Gronert
…ist Kurator für Fotografie am Sprengel Museum Hannover
BU: Honoré Daumier, Nadar Elevating Photography to the Level of Art, 1862