„Ist das noch Fotografie?“ Oder: wo sind die Gattungsgrenzen?

Die Zweifel, ob „solche Bilder“ überhaupt noch als „Fotografie“ zu bezeichnen sind, stellt sich aktuell im Zusammenhang der allgegenwärtigen KI-Debatte wiederholt. Ich wage zu prognostizieren, dass es sich hierbei um eine unfreiwillige Mode handeln wird, die in ein paar Jahren an den Rand des Interesses gerückt sein wird.

Meine Erwartung gründet sich auf die Erinnerung in den neunziger Jahren unter dem Eindruck der aufkommenden Digitalfotografie dieselbe Frage oder besser: den Zweifel schon einmal in jedem Gespräch gehört zu haben. Hinzu kommen die Beobachtungen, dass diese Infragestellungen auch aus anderen Bereichen der Kunst her bekannt sind: Abgesehen von der nie aus der Mode kommenden Frage nach dem grundsätzlichen Verständnis von „Kunst“ war dies in der Malerei genauso – man frage mal Katharina Grosse nach – wie in der Minimal Art, in der etwa Donald Judds Objekte als „Industrieprodukte“ disqualifiziert worden sind.

Aber die Fotografie beruht „eigentlich“ doch auf dem Schreiben von Licht auf sensitiven Grund, oder? Aber muss das immer so bleiben? Klammert man sich da nicht viel stärker an einen idealistischen Begriff der Autorschaft, der durch das Medium ohnehin schon von Anfang korrumpiert wurde? Nun ist es der böse Computer, der Bilder hervorbringt…Wie er das tut, das er zuvor mit „prompts“ gefüttert wurde und ja selbst auch auf Bilder zurückgreift, die vielleicht sogar traditionell „fotografisch“ entstanden sind und dass sich die zugrundeliegende Bilddatenbank ja auch nicht von selbst generiert hat, das wird gern vergessen. Das völlige Verschwinden des Menschen ist eine unbegründete Angst. Doch Tradition ist stärker als das flexible Denken!

Aber nun gut: was ist denn dann überhaupt noch Fotografie?, fragt mich der unter seinem schwarzen Vorhang hervorlugende Lichtbildmeister, dessen Stativ durch den Wind ins Wackeln geraten ist. Da wird doch gar nichts mehr entwickelt, sondern nur noch gedruckt. Gern antworte ich darauf, dass mir das Vorhandensein von Fotopapier als Bildgrund ausreicht für die Zuordnung von Bildern zur Abteilung Fotografie im Unterschied zur Abteilung Grafik.- Tatsächlich aber muss ich ehrlich sein und zugeben, dass es auch dafür ausreichend Gegenbeispiele gibt, die belegen, dass hiermit kein ausreichender Grund für eine hinreichende Definition gegeben ist.

Warum aber überhaupt diese (typisch deutsche?) Frage nach der vermeintlich „klaren“ Zuordnung? Wird ein Bild per se besser oder schlechter, ob man es nun als Grafik oder als Foto ausweist? Vielleicht ist in Zeiten des technischen Übergangs die zwanghafte Bemühung um eine Definition schlicht eine falsch gestellte Frage, die uns nicht wirklich weiterbringt und die Fragen, die uns die jeweiligen Bilder wirklich inhaltlich stellen, mit dieser „Wesens“-Frage gar nicht mehr zu bewältigen. Ich behaupte einfach: Die Debatte über die Grenzen der Gattung Fotografie interessiert mich ehrlich gesagt genauso wenig wie Fragen à la „Was ist der Mensch?“, „Was ist die Welt?“, „Was ist Wirklichkeit?“ oder ähnliche Grundsatzfragen. Man kann sie stellen, sollte aber keine finalen Antworten erwarten.

Stefan Gronert

…ist Kurator für Fotografie am Sprengel Museum Hannover

ABB: Sebastian Pütz: A Peony Leaf Above Leaves of a Species of Chestnut (2015/2016), aus der Serie: Negativ