Bei der kuratorischen Ausstellungs-Praxis lässt sich grundsätzlichen zwischen Gruppen- und Einzelausstellungen differenzieren. Hinzu kommt das Subjekt der künstlerischen Personen und ihre Integration in die praktische Arbeit des Kuratierens: handelt es sich um eine lebende oder um eine bereits verstorbene Position? Diese Unterscheidungen sind Banalitäten. Die Wirklichkeit ist dann doch oft komplexer.
Wie verhält es sich z.B. bei einer Präsentation von zwei Positionen, von denen eine bereits verstorben, die andere aber zeitgenössisch ist? Kommt es hier nicht zwangsläufig zu einem konkurrierenden Verhältnis – sowohl für die Kuratierenden als auch für die Betrachtenden? Wie lassen sich Vergangenheit und Gegenwart sinnvoll überbrücken? Und dann können auch noch Fragestellungen von Diversität können hinzukommen und die Komplexität verschärfen. Ein schwieriges Ding…
Zugegeben: ich beschreibe hier einen Sonderfall, aber einen solchen, der in der Praxis tatsächlich gar nicht so selten ist und der im Idealfall, selbst wenn die jeweiligen Einzelpositionen bereits bekannt sein mögen, einen äußerst bemerkenswerten Erkenntnisgewinn liefern kann. Bevor ich auf ein aktuelles Beispiel dafür zu sprechen komme, gehe ich noch einen Schritt zurück und führe auf der theoretischen Ebene eine weitere kategoriale Differenzierung ein: In der neueren Foto-Geschichte kann man grob zwischen serieller Fotografie und Einzelbildern unterscheiden. Gerade in den letzten Jahren hat sich – am populärsten vielleicht in Gestalt der Ausstellungen von Wolfgang Tillmans – das so genannte Hyperimage als eine installative Form hinzugesellt.
Nun zum konkreten Beispiel, denn ein wirklich sehr sehenswertes Beispiel für eine dialogische Form eines Hyperimages in Gestalt einer Ausstellung liefert die Präsentation „Das reisende Auge“ von Kathrin Sonntag (*1981) und Gabriele Münter (1877-1962), die noch bis zum 12.1.2025 im Marta Herford zu sehen ist. Es ist eine Ausstellung, in der die Berliner Künstlerin Kathrin Sonntag beauftragt wurde sich mit bislang unbekannten Fotografien einer als Malerin bekannten Künstlerin auseinanderzusetzen, die jedoch nicht als Kunst gedacht waren und die bis dahin auch nicht geprintet wurden. Die Vorlagen dafür stammen aus der Münchener Stiftung, welche den Nachlaß der Künstlerin verwahrt. In die momentan allgegenwärtige Tendenz einer Wiederentdeckung von Avantgarde-Fotografinnen (Berenice Abbot, Florence Henri, Gisèle Freund, Aenne Biermann, Germain Krull, Ilse Bing, Marianne Breslauer etc.) im Ausstellungs-Zirkus reiht sich Münter deshalb nicht ein und dennoch lohnt der Blick. Es handelt sich um eine Künstlerinnen-Ausstellung im doppelten Sinne des Wortes: zwei Künstlerinnen werden präsentiert, wobei eine Künstlerin aus ihrer Perspektive eine andere Kollegin in einem neuen Medium zeigt.
Um das Ergebnis summarisch vorwegzunehmen: In diesem Zusammenhang entdeckt die Foto-Geschichte keine neue Avantgardistin, sie muß nicht neu geschrieben werden. Aber sie entdeckt (erneut) den großartigen Ansatz einer Zeitgenossin, die souverän mit einem Bilder-Kosmos umgeht, der sich in bildlichen (und in Herford in einem Raum sogar: in skulpturalen) Installationen erfüllt. Kathrin Sonntag ist wirklich eine Meisterin der Beziehungsstiftung von Bildern, deren Herkunft mitunter sogar zweitrangig wird, die aber immer als kontextuelles Sehen bewusst erfahrbar wird. Ob diese abstrakte Beschreibung, ja Wertung, in einem Katalog transparent werden kann, ist noch offen, denn er ist erst für einen späteren Zeitpunkt angekündigt. Die zwite Station ist im Kunstmuseum Ravensburg zu sehen. Vermutlich wird der Katalog nicht dokumentierend daherkommen, sondern ein neues Beziehungsfeld im Kontext des anderen Mediums Buch eröffnen. Deshalb kann man nur zum Besuch der Ausstellung einladen, um visuell nachzuvollziehen, was hier gelungen ist: Hyperimages als link zwischen Gegenwart und Vergangenheit.
Stefan Gronert
….ist Kurator für Fotografie und Medienkunst am Sprengel Museum Hannover