„Das Vordringen digitaler Technologien in den Lebensalltag des Menschen führt auch zu weitreichenden Verschiebungen im Koordinatensystem der bildenden Künste. Es ist unmöglich, diese Verschiebungen mit herkömmlichen fotografischen Denkmodellen in Übereinstimmung zu bringen.“ (149) – So lautet der Befund von Markus Kramer, der vor diesem Hintergrund eine zeitgenössische Theorie der Fotografie formuliert.
Ein reichlich anspruchsvolles Unterfangen, dass der Autor uns in seinem soeben erschienenen Buch „The Technological Hand“ anbietet. Zum stolzen Preis von 39,80 € umfasst es auf 164 Seiten vier kurze, inhaltlich sehr dichte Essays, die von ca. 100 Seiten Abbildungen vorzugsweise von Alice Channer, Christopher Wool, Seth Price, Spiros Hadjidjanos, Kelley Walker, Wade Guyton und Thomas Ruff begleitet werden: Nicht unbedingt die üblichen Verdächtigen der Foto-Szene, aber immerhin fungiert Letzterer als Ausgangspunkt und Antriebsfeder für das Denken eines Autors, der sich bereits in zwei ähnlich konzipierten Monografien (Thomas Ruff: Modernism, 2011; Photographic Objects, 2013) im gleichen Verlag zu Wort gemeldet hat und dabei bereits einen fotografischen Paradigmenwechsel diagnostiziert hat.
Nun vollzieht er den nächsten Schritt. Kramer geht es in seinem neuen Buch zunächst u.a. um den Grenzbereich zwischen Malerei und Fotografie, was er am Beispiel Christopher Wools einsichtig darlegt (139-141). Spannender wird es dann, wenn er die Frage nach der Aktualität des Conceptual Art aufwirft. In der Untersuchung der Relevanz von Sol LeWitts mittlerweile klassischen Thesen kommt er in seiner technologischen Betrachtung und Sprache zu erstaunlichen Übereinstimmungen mit Phänomenen der Gegenwartskunst. Entsprechend der konzeptualistischen Autorkritik ist etwa auch Ruff „nicht länger als Urheber einer Form, sondern als Urheber einer technologischen Transformationsidee“ (144) zu sehen – eine ebenso überraschend eloquent wie nachvollziehbare Beobachtung. Kramers Ausführungen münden schließlich in eine allgemeine Behauptung, die freilich jeden romantischen Fan des Mediums erschrecken werden: „Die neuen Objekte unserer Zeit sind fotografische Abbilder des gesellschaftlichen Umfelds zu Beginn des 21. Jahrhunderts.“ – Kann man so weit gehen und dabei den geliebten Fine art-print letztlich (indirekt) opfern?
Kramer tut dies und geht so weit, dass er im Grunde nur solche Ansätze als interessant und zeitgemäß erachtet, bei denen der „Künstler algorithmische Strukturen auswählen und innerhalb dieser Strukturen Output transformierend aus existierendem Input“ (159) ableitet. – Das muss man erst einmal verdauen. Das Gemeinte wird aber klarer, wenn man die Differenzierung verfolgt, die der Autor und Sammler verfolgt, indem er zwei Extrempositionen definiert: „ (i) die weitestgehend ohne Einwirkung der künstlerischen Hand, durch eine Abfolge vom Künstler definierter indexikalisch-technologischer Transformationsschritte erzeugte Arbeit (Thomas Ruff) und (ii) die durch Beimischung von Spuren der künstlerischen Hand im Handlungsprozess stärker beeinflusste Arbeit (Wade Guyton, Seth Price, Kelley Walker)“ (151).
Wie aus diesen Zitaten deutlich wird, spricht Markus Kramer mit einer beeindruckenden Klarheit Phänomene der Kunst im digitalen Zeitalter an und leitet aus ihnen für die Theorie auch unvermeidlich normative Folgen ab. Können jedoch unter diesem Horizont auch wohl nicht minder zeitgemäße Positionen wie die von Walead Beshty, Viktoria Binschtok, Louisa Clement, Liz Deschenes, Adrian Sauer oder gar von Wolfgang Tillmans und Christopher Williams noch Berücksichtigung finden? Oder zählen sie bereits zur „old school“?
Grundsätzlich wäre zu bedenken, ob eine vorurteilsfreie Theorie der zeitgenössischen Fotografie überhaupt möglich wäre. Selbst wenn man dies verneinen müsste, spräche vermutlich nichts gegen eine pointierte Stellungnahme. In jedem Fall handelt es sich bei Markus Kramers um eine wirklich wichtige Stimme, der im oft metaphysisch überfrachteten und zugleich Technologie-feindlichen Diskurs der Gegenwart mehr Gewicht zu wünschen ist.
Markus Kramer, The Technological Hand, Heidelberg/Berlin: Kehrer Verlag 2018
Stefan Gronert
…ist Kurator für Fotografie am Sprengel Museum Hannover
BU: Spiros Hadjidjanos, Displacement Map, 2012, 3D-Print, Courtesy the artist
„Die neuen Objekte unserer Zeit sind fotografische Abbilder des gesellschaftlichen Umfelds zu Beginn des 21. Jahrhunderts.“
Markus Kramer hat im Grunde recht, herkömmliche Fotografische Denkmodelle und digitale Technologien in der Bildentstehung sind zwei verschiedene Welten. Ironischerweise führt seine Schlussfolgerung die Fotografie zurück in das 19. Jahrhundert. Der Fotograf als Bediener einer technologischen Maschine. Fotografie dokumentiert. Autorenschaft ade oder allerhöchstens „… Spuren der künstlerischen Hand im Handlungsprozess…“
Klingt erst mal hart, ist aber konsequent. Und auf den zweiten Blick erscheint mir die Behauptung möglicherweise sogar logisch. Ist sie nicht gar getrieben durch das, für den einen oder anderen bedrohlich wirkende, „die Digitalisierung hat alles möglich gemacht“? Und wenn alles möglich gemacht ist, dann ist auch alles Wahrheit geworden. Und wenn alles Wahrheit geworden ist, gibt es keine Autorenschaft mehr.
Was nur noch bleibt ist „der Urheber einer technologischen Transformationsidee zu sein“. Doch selbst wenn der „Künstler algorithmische Strukturen auswählt und innerhalb dieser Strukturen Output transformiert (aus existierendem Input) kommt doch in dem Prozess in normalerweise ein Bild/Abbild hinten raus. Im Sinne der Conceptual Art vollkommen ausreichend. Langweilig vielleicht – aber ausreichend. Und wenn die Transformationsidee gut war, haben wir vielleicht Kunst.
Spannend bleibt auch, was nach dieser zeitgenössischen Theorie kommt. 🙂
Sorry, ich meinte nicht Wahrheit sondern Wirklichkeit.