Déformation professionelle?

Als nahezu täglich mit dem Erhalt von Kunst beschäftigte Person ist faktisch eines nicht mehr möglich: in einer Galerie, einem Museum oder einem Privathaushalt einfach mal „nur“ die Kunst und damit das Gezeigte zu sehen, das Abgebildete selbst zu betrachten. Besuche in Kulturinstitutionen oder das Anschauen von Kunst kann für materialitätsverfechtende Restauratorinnen geradezu quälende Ausmaße annehmen. Aber warum eigentlich?

Bei einem Museumsbesuch steht mindestens genauso wie das Werk an sich, dessen Materialität und Herstellungsprozess im Fokus. Damit rücken die bei der Präsentation vorherrschenden und im Berufsalltag so oft optimierten Umgebungsbedingungen ins Blickfeld. Dies kann von der Rahmung und Montierung der Werke, deren Hängetechnik an der Wand bis hin zu Sicherungsmechanismen reichen. Nichts bleibt dem geschulten Auge verborgen. Zudem die Gretchenfrage der Beleuchtung! Deren Art und Intensität wird unmittelbar wahrgenommen, mögliche Schädigungspotentiale durch z.B. eintreffendes Tageslicht bewertet und auf den langfristigen Erhalt der präsentierten Werke abstrahiert. Gleichermaßen gilt dies für klimatische Aspekte. Kann im Raum überhaupt ein konstantes Klima erreicht werden und wenn ja, wie? Wird ein Schädlingsmonitoring umgesetzt und wenn ja, mit welchen Mitteln?

Mit stetig zunehmender Berufserfahrung wächst das Bewusstsein, dass es andernorts mannigfaltige Gründe gibt, warum Umgebungsbedingungen trotz diverser Optimierungsversuche manchmal so sind wie sie sind. Dies kann einerseits in der baulichen Struktur eines Hauses begründet liegen oder andererseits in spärlichen finanziellen Mitteln. Doch macht es Sinn die konservatorischen Leitsätze in jeder Lebenslage anzuwenden? Was im beruflichen Kontext mit geschultem Blick durchaus hilfreich sein kann zum Schutze der sammlungseigenen Werke, kann im Privaten eine unvoreingenommene Perspektive auf die Kunst geradezu verunmöglichen, vor lauter Faktoren der präventiven Konservierung.

Wann ist für Restaurator*innen demnach überhaupt ein konservatorisch-wertfreier Blick auf das Werk an sich möglich? Die Antwort ist ganz einfach, wenn das Kunstwerk selbst den Betrachter so fasziniert, so in den Bann zieht, dass man alle diese Faktoren kurzzeitig vergisst und nur noch das Werk selbst sieht, wie im Falle der hinterleuchteten Großbilddias von Hermann Pitz oder den farbigen Photogravuren von Michael Elmgreen & Ingar Dragset, die repräsentative Räume deutscher Museen zeigen, beides zuletzt gesehen im Hamburger Bahnhof, Berlin.

 

Kristina Blaschke-Walther

…ist Fotorestauratorin und Leitung Restaurierung am Sprengel Museum Hannover.

 

BU:  Claus Goedicke, Hammer, aus der Serie „Dinge“, 2009, Tintenstrahldruck, aus der Sammlung Niedersächsische Sparkassenstiftung im Sprengel Museum Hannover