Das Ende vor dem Anfang? Kassandra-Rufe zum Bundesinstitut für Fotografie

War da nicht noch was? In der Tat scheinen wir momentan von Problemen so überwältigt, dass es schwer fällt an die Zukunft zu denken: Nach der Pandemie, die selbstredend noch lange nicht vorbei ist, kam der Krieg vor der Haustür unserer östlichen Nachbarländer. Niemanden lässt das kalt. Und doch war da vor ein paar Tagen noch ein Weckruf von Olaf Zimmermann, dem politisch einflussreichen Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, der die Foto-Szene daran erinnerte, dass wir ja eigentlich alle jüngst noch etwas Bestimmtes wollten: ein Bundesinstitut für Fotografie.

In der von ihm herausgegebenen Zeitschrift „Politik & Kultur“ provoziert Zimmermann mit einem Kommentar zu dieser ersehnten Institution unter der Überschrift „Einigt Euch oder begrabt die Idee“. In seiner Darstellung skizziert er relativ präzise, worum es eigentlich geht, geht allerdings auf die konzeptionellen Unterschiede, die zwischen der ursprünglichen Idee aus Düsseldorf und dem präzisierteren und wohl auch inhaltlich versierten Konzept, das sich für den Standort Essen ausgesprochen hat, nicht weiter ein.  Gerade vor dem Hintergrund eines Déja-vu-Erlebnisses, das fatal an die zerredeten Überlegungen zu einem Deutschen Centrum für Photographie in Berlin im Jahre 2000 erinnert, das ebenfalls krachend scheiterte und die Hauptstadt ohne eine wirklich ernstzunehmende institutionelle Foto-Sammlung zurückließ, kann man die abschließende Beschreibung der gegenwärtigen politischen Lage von Zimmermann aber wirklich nur ernst nehmen:

„An diesem Punkt stehen wir nun und ein wichtiges Detail fehlt: Im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung ist kein Wort zum Bundesinstitut für Fotografie zu finden. Kulturstaatsministerin Claudia Roth macht bisher nicht den Eindruck, dass der Bau von Institutionen oder Museen zu ihren Schwerpunkten zählt. Es besteht die Gefahr, dass beim unversöhnlichen Streit der beiden Nachbarstädte Düsseldorf und Essen sich am Ende eine freuen wird, Kulturstaatsministerin Claudia Roth, die die für das Bundesinstitut für Fotografie reservierten Mittel sicherlich sehr gut für im Koalitionsvertrag festgelegte Vorhaben gebrauchen kann.“

Das Ende seines Beitrags mündet dann in die in seiner Überschrift schon formulierte Forderung – nach dem Motto: Vogel friss oder stirb! Ist das aber realistisch? Zimmermann verkennt, dass es mehr als um einen Kampf kommunalpolitischer Egos geht, bei dem die veritablen Düsseldorf-Unterstützer Kahrs und Laschet bereits ausgeschieden sind. Das gilt natürlich auch für die einst vehemente Förderin Monika Grütters, deren Positionierung im Städtekampf bis zur Bundestagswahl nicht eindeutig sein konnte. Es geht letztendlich vielmehr um unterschiedliche Konzepte. Und hier liegt vermutlich die besondere Problematik, die eine versöhnliche Einigung zwischen den beiden Städten unmöglich machen muss. Ein solches Institut kann nur Unzufriedenheit stiften in einem Interessensgebiet, das im gesellschaftlichen Diskurs kaum heterogener sein kann als im Bereich der Fotografie. Unzufriedene Wähler*innen aber will keine Politiker*in…

Ist also Indifferenz die realistische Alternative? Ich erinnere nur daran, dass potentielle Vorlässe wie die von Timm Rautert, Jürgen Klauke, Katharina Sieverding, Astrid Klein, Gottfried Jäger oder Ulrich Wüst – um aus meiner west-zentrierten Sicht nur einige wenige zu nennen (zum Glück sind die Nachlässe Evelyn Richter, Helga Paris und Christian Borchert nicht mehr bedroht) –  sich einmal zu Nachlässen wandeln, welche die Erb*innen genauso überfordern werden wie existierende museale Institutionen, die ihnen ebenfalls nicht gewachsen sein werden. Und vielleicht stehen ja auch noch die Nachlässe von Bernd & Hilla Becher, Anna und Bernhard Johannes Blume oder Michael Schmidt zur Debatte…

Klar ist: wir brauchen eine zeitnahe Entscheidung, welches Konzept realisiert wird! Andernfalls – da hat Olaf Zimmermann zweifellos recht – erledigt sich das Thema von selbst. Eine solche Entscheidung wird nicht auf einem Wege erzielt werden können, der alle Beteiligten „mitnimmt“. Und insofern der gesamte Prozess nicht von vorn wieder aufgerollt werden kann, ist es ein Thema nur eines Bundeslandes – und zwar das von Nordrhein-Westfalen. Was liegt also näher, dass die zuständige Ministerin für Ministerin für Kultur und Wissenschaft die Entscheidung trifft und sodann auf die bislang strategisch klug abwartende Claudia Roth zugeht? Gegen diesen Wunsch spricht gleichwohl eine fatale Duplizität der Ereignisse: So wie Frau Grütters im vergangenen Jahr die Entscheidung nicht mehr treffen konnte, so steht im Mai die Landtagswahl in NRW an – und ob dann die wohl gemerkt parteilose Frau Pfeiffer-Poensgen noch einmal als Ministerin antritt, steht in den Sternen…War’s das?

Stefan Gronert

…ist Kurator für Fotografie am Sprengel Museum Hannover