Vor vier Jahren bist Du von Leipzig nach Düsseldorf gewechselt und dort nun Professor für “Freie Kunst”. Provokativ gefragt: Inwieweit ist denn Fotografie überhaupt eine freie Kunst?
das sind zwei unterschiedliche fragen, die du stellst.
die persönliche entscheidung von der hgb leipzig an die kunstakademie düsseldorf zu wechseln, beides orte, an denen ich dankbar war und bin, arbeiten zu dürfen, diese entscheidung hat damit zu tun, dass es mich gereizt hat, nicht das ganze berufsleben an nur einer hochschule zu lehren, mich in einer neuen umgebung zu erleben und natürlich auch die öffnung zur freien kunst. aber das ist nicht nur der name der klasse, sondern das sind auch die neuen kolleg//innen, die anderen schwerpunkte des neuen hauses, das rheinland mit seiner dichte an instututionen und menschen, die ein echtes interesse an kunst haben.
aber du willst ja was zur fotografie hören: freie kunst lässt sich ganz unfrei praktizieren, freiheit ist nicht unbedingt der regelfall und fotografie, egal ob analog oder digital, kann eine absolut freie angelegenheit sein. es gibt eben die fotografie so wenig wie die kunst. die fotografie ist längst angekommen in der kunst und muss sich nicht kleiner machen als sie ist.
dieser freie, unkonventionelle, hybride, spielerische umgang mit verschiedensten fotografischen medien, das pendeln zwischen high und low, der spielerische, reflektierte und undogmatische umgang mit präsentationsformen und auch der abbau der absoluten autoritäten, die sagen, wie´s gemacht wird, das sind alles positive entwicklungen, die ich in den letzten 15 jahren direkt in leipzig und düsseldorf beobachten konnte (und begleitet habe) und wir können meiner meinung nach aufhören zu fragen, ob dies oder jenes noch, schon, gerade eben noch fotografie ist und uns mal allmählich der frage zuwenden, was wir von der kunst und mit der kunst eigentlich wollten.
Wie würdest Du die Zusammensetzung Deiner Klasse vor diesem Hintergrund charakterisieren – vielleicht auch im Unterschied zur Klasse von Christopher Williams?
die klassen setzen sich durch die wahl der professor//innen zusammen, aber natürlich wird auch niemand gegen den freien willen zu einer bestimmten klasse verpflichtet und die studierenden bestimmen auch mit, wer da neu aufgenommen wird. einzelne studierende einer bestimmten generation mit ihren unterschiedlichen charakteren und interessen lassen gebilde entstehen, die zb klasse piller heissen, sich aber signifikant von früheren oder zukünftigen klassen piller unterscheiden können und das ist gut so. die sache ist in bewegung, soll in bewegung sein.
an der akademie sind die klassen autonom, das hat aus meiner sicht viele vorteile.
der anteil überwiegend oder ausschließlich mit fotografie arbeitender studierender ist beim kollegen williams deutlich höher als in meiner klasse, soweit ich das aus der entfernung beurteilen kann.
ich freue mich über jede (auch) fotografiebasierte arbeit, aber ob eine person überhaupt mit fotografie arbeitet ist für mich sekundär. in erster linie interessiert es mich, ob ich mit dem jeweiligen menschen gut kommunizieren kann, ob die person mutig und eigenständig ist und neben dem interesse für die eigene person eines für den rest der welt zeigt.
Du arbeitest ja nicht als puristischer Fotograf, sondern bist auch für Zeichnungen, Videos und Bücher bekannt. Ich würde Dich auch als Bilder-Sammler und -Deuter bezeichnen. Wie beschreibst Du Dein Selbstverständnis im Kontext der zeitgenössischen Kunst-Szene?
sorry, lieber stefan, aber ich habe kein selbstverständnis im kontext der zeitgenössischen kunst-szene. ich mache was ich will, verfolge keine strategie und das habe ich als student versucht, heute ist es genauso. das ist ein privileg, für das ich dankbar bin. ich frage mich ernsthaft und wiederholt, was mein untersuchungsgegenstand ist, warum so und nicht anders, versuche mich möglichst wenig zu wiederholen und erlaube mir, mich in frage zu stellen, mit dem preis mir auch fehler zu erlauben. natürlich interessiert mich sehr, was rings um mich die anderen machen, aber für die entscheidungen zu meiner arbeit spielt das keine rolle. ich gehören keiner gruppe an.
Welche künstlerischen Positionen hast Du zuletzt für Dich (wieder-) entdeckt und warum?
in einem teil meiner theoretischen studienabschlussarbeit ende der 1990er ging es um steinzeitliche kunst. ich hatte damals einige höhlen besucht und ein paar bücher dazu gelesen. diese leidenschaft ist bei mir wieder aufgeflammt vor ein paar jahren und ich habe inzwischen sehr viele solcher orte besucht und sehr viele bücher zu dieser art kunst gelesen. diese kunst ist wahrscheinlich mit unseren begriffen für kunst nur sehr unscharf benannt. es gibt auch jede menge fragen, auf die wir keine antworten haben und auch nicht haben werden, weil wir es mit einer kunstpraxis vor erfindung der schrift (plusminus 30 000 jahre zuvor übrigens) zu tun haben, spekulationen also, unsicherheiten, meinungen, die nebeneinander stehen bleiben. viele aspekte dieser kunst erscheinen mir sehr gegenwartsrelevant. weil ich dauernd darüber forsche, das ansehe, darüber nachdenke, bilder dazu sammle (fotos aus büchern überwiegend), zeichne, fachbibliotheken aufsuche, verändert es auch, wie ich meine umgebung wahrnehme, was und wie ich fotografiere. alles normale auswirkungen einer leidenschaft. mit begeisterung lebe ich gern und (die natürlich nicht alltäglichen) momente der begeisterung sind es, die begegnungen mit studierenden oder kolleg//innen zu den geglücktesten machen.
Mit bestem Dank an
Peter Piller
…ist Künstler in Hamburg und Professor in Düsseldorf
BU: Peter Piller