4 Fragen an…Sven Johne

Du praktizierst auf mindestens zwei unterschiedlichen künstlerischen Ebenen: der Fotografie und des Videos. Welche Vorteile siehst Du in der Wahl des jeweiligen Mediums?

Filmisch zu arbeiten hatte zunächst rein pragmatische Gründe: Immer wieder Fotografien mit Texten zu kombinieren – da erreichte ich irgendwann bei bestimmten Themen einfach eine Grenze: Wie bringe ich meine Recherchen, wie meine Narrationen unter? Ich möchte keine Bleiwüsten produzieren und ich will mich und andere nicht langweilen. Im Film habe ich hingegen mehr Erzählzeit, kann Figuren entwickeln, ein paar Pirouetten drehen. Zudem ist es für den Betrachtenden ein viel zugänglicheres Medium: Selbst meine Kinder schauen sich manchmal meine Filme an, und das will was heißen. Außerdem verursachen Filme keine Lager- und Transportkosten, es sind ja nur Daten. Kurzum: ich mache es im Wesentlichen davon abhängig, was und in welchem Umfang erzählt werden soll. Aber der Aufwand ist bei einem Film natürlich immer größer, organisatorisch, finanziell, nervlich. Es gibt da ein Team und also habe ich eine gewisse Verantwortung. Foto-Text-Arbeiten kann ich hingegen allein und viel unmittelbarer umsetzen. Heute eine Idee, Morgen anfangen. Das hebt gewaltig die Stimmung.

In Deiner bildmächtigen Arbeit spielt auch die Schrift oder alternativ: das gesprochene Wort eine wichtige Rolle. Wie würdest Du das Verhältnis von Bild und Sprache für Deinen Ansatz allgemein beschreiben?

Ich würde sogar sagen, dass der Text neben dem Bild – egal ob nun als Fotografie oder im Film – eine absolut gleichberechtigte Zutat ist. Ohne Text ist die Arbeit nichts und andersherum funktioniert es ebenso wenig. Ich komme eigentlich vorm Text. Mit Anfang 20 wollte ich Schriftsteller werden. Ich war ein verklemmter Germanistikstudent, der heimlich schrieb. Ich denke, es war nicht besonders gut. Die Fotografie lief parallel als Hobby, schrecklich ambitioniert, von Kunst hatte ich keine Ahnung. Dann bekam ich zufällig „Waffenruhe“ von Michael Schmidt in die Hände. Das war der Auslöser. Ich bewarb mich in Leipzig und studierte fortan Fotografie. Das ist ganz gewiss nicht kokett, aber so richtig der Bringer waren meine Bilder auch nicht. Erst zum Ende des Studiums habe ich die beiden Stränge, also Text und Bild, miteinander verknüpft. Wenn es gut läuft, heben sich jetzt die jeweiligen Unzulänglichkeiten gegenseitig auf. Raffinesse oder Perfektion sind nicht so wichtig. Aber eine kluge Idee, wenn sie vom Herzen kommt.

Du bist auf Rügen geboren und auch in der ehemaligen DDR aufgewachsen. Vor diesem Hintergrund ist es vielleicht nicht überraschend, dass Du als politisch denkender Mensch neben der unmittelbaren künstlerischen Tätigkeit immer wieder auch mit Überlegungen zum Verhältnis von Ost- und Westdeutschland an die Öffentlichkeit getreten bist. Ein großes Thema, das die meisten von uns betrifft, sofern man es nicht ignoriert. Mittlerweile hat sich in der DGPh auch ein Arbeitskreis zu diesem Themenhorizont gebildet. Da das Thema für eine kurze Frage in diesem Kontext zu groß ist –  gerne in einem eigenen Beitrag hier einmal im Blog -, frage ich dich lediglich, wie zufrieden Du mit der Form dieser Diskussionen bist?

Viel wichtiger als das Aufwachsen in der DDR war vielleicht die Zeit unmittelbar nach der Währungsunion. Da lebte ich dann schon in Hettstedt, im Mansfelder Land, einer Region, die seit dem 12. Jahrhundert vom Bergbau und der Metallverarbeitung geprägt ist. Das Revier war Luthers Heimat und wenn man so will: die Wiege des protestantischen Arbeitsethos. 1990 hörten da aber die Schlote plötzlich auf zu rauchen. Das Mansfeld-Kombinat mit seinen 40.000 Arbeiter*innen wurde, man kann es nicht anders sagen, zerschlagen. Sicherlich gab es dafür auch gute Gründe. Und natürlich war ich als junger, links-grüner Aktivist froh, dass der Schnee nun weiß blieb, aber ich erlebte auch den dramatisch-schnellen Zerfall einer ehemals arbeiterlichen Gesellschaft. Das war etwas ganz Anderes als der über Jahrzehnte sozialdemokratisch begleitete Strukturwandel des Ruhrgebiets. Im Osten der frühen 90er Jahre hatte man eine ganz klar neoliberale Agenda. Im Mansfelder Land gab es keinen Strukturwandel, da gab es nur eine Deindustrialisierung. Es sprengt den Rahmen dieses Blogs, das hier zu vertiefen. Diese Nachwendejahre sitzen mir noch immer tief in den Knochen.

Bezogen auf die Frage nach dem Arbeitskreis der DGPh: Es spiegelt sich auch in der Kunst eine große Unwucht wieder. Es ist die Frage, wer wie im gesamtdeutschen Kanon auftaucht und wer nicht. Ich selbst bin aber eine andere Generation, meine ersten Arbeiten entstanden ab 2003. Sie wurden vielleicht anfangs als humorige, ostdeutsche Randnotiz wahrgenommen. Das hat sich längst geändert. Einerseits liegt das an alarmierenden Wahlergebnissen, anderseits auch daran, dass wir sehen, dass auch anderswo auf der Welt der Rechtspopulismus immer einen neoliberalen Vorlauf hatte. Der „Osten“ ist auch im US-amerikanischen Rust Belt oder im Norden Englands zu finden. Ich bin froh, dass wir darüber jetzt in der Breite sprechen. Ich würde mir wünschen, wenn wir nun eine europäische Dimension in die Diskussion aufnehmen könnten.

Gibt es für Dich persönlich Lieblingsbücher zur Fotografie, die bei Dir nachhaltigen Eindruck hinterlassen haben?

Das war, wie schon erwähnt, „Waffenruhe“. Natürlich gab es danach auch noch andere Bücher, aber keines hat mich so erwischt, wie dieses. Es war ja auch überhaupt das erste „Kunstbuch“, was ich in meinen Händen hielt. Ich hatte damals keine Ahnung von Fotografie, überhaupt: keinerlei musische Bildung. Aber als ich „Waffenruhe“ durchblätterte, gab es plötzlich das Gegenstück zu einem Buch meiner Kindheit: „Grenzsoldaten“ vom Militärverlag der DDR. Dieser propagandistische Foto-Band – mit jeder Menge Soldatenromantik – wurde einst meinem Vater für treue Dienste an der innerdeutschen Grenze überreicht. Ich war das Kind eines Militärs, sehr diszipliniert, nicht auszudenken, was aus mir geworden wäre, hätte es die Wende nicht gegeben. „Waffenruhe“ hat mich dann als junger Nachwende-Erwachsener tief berührt. Ich habe diese Bilder angestarrt, nichts verstanden, alles verstanden. Ich hatte kein Vokabular, aber ich wollte mich fortan mit Fotografie beschäftigen. 2008 habe ich dann Michael Schmidt in New York getroffen, auf einer Eröffnung in einer schicken Chelsea-Galerie. Ich nahm all meinen Mut zusammen und beichtete ihm meine Liebe. Er hatte wohl ohnehin keinen Bock mehr auf die Eröffnung. Also waren wir Pizza essen. Es war ein wunderbarer Abend.

Mit bestem Dank an….

Sven Johne

…ist Künstler in Berlin

BU: KLEMM’s Berlin, 2021