Verführerische Bilder, persönlich erzählt

Fotos von AirBnBs, Dating-Apps und der Tötung von Osama bin Laden könnten unterschiedlicher nicht sein, und alle ziehen sie uns in ihren Bann. Ein neuer Podcast des Fotomuseum Winterthur sammelt ganz persönliche Eindrücke von Menschen, die von Bildern in die Irre geführt wurden.

Das Fotomuseum Winterthur ist bekannt für seine experimentellen Formate des Ausstellens von und Denkens über Fotografie. Die langjährige Situations-Reihe war sowohl vor Ort in Winterthur als auch online ein Spielfeld für die Kurator*innen und Künstler*innen, einzelne Themen zu erproben und durch Cluster nach und nach in neue Verbindungen zu setzen. Im Blog des Museums stellen führende Theoretiker*innen ihre aktuellen Thesen vor, und in den mittwöchlichen Screenwalks wurde aus der Zoom-Not eine künstlerische Tugend. Letzten Sommer lancierte das Museum eine neue Plattform namens PERMANENT BETA, welche die mäandernde und assoziative Arbeitsweise der Kurator*innen im Feld der netzwerkbasierten Bilder weiterführt. In Kategorien wie Unfinished Thoughts, Accidental Discoveries, oder Marginalia sammeln sie Gedanken und Fundstücke aus ihrer laufenden Arbeit.

Das Leitthema der Plattform ist die Anziehungskraft von Bildern. Am deutlichsten wird es erprobt in der Podcast-Reihe Cheated by an Image, in der Künstler*innen, Kurator*innen, Forscher*innen der Fotografie und digitalen Bildkultur kurze Statements abgeben, wann und warum sie sich zuletzt von Bildern angezogen und getäuscht gefühlt haben. Beispielsweise erzählt Anne-Christin, wie sie sich durch Bilder eines AirBnBs in Schweden in ihre kindliche Vorstellung über das Land zurückversetzt fühlt und herbe von der Realität enttäuscht wird. Ähnlich geht es Marco, der ein Vogelhaus kauft, weil ihn das Bild davon eine idyllische Zukunftsvision in den Kopf setzt, aber letztendlich keine Vögel auf seinem Balkon anzieht und seinen Tagtraum zerplatzen lässt. Die Expert*innen wissen eigentlich, wie manipulativ Bilder sind, und doch erliegen sie der Verführung.

Die Audio-Reihe ist absichtlich untheoretisch und bisweilen intim, weil sie Gefühle und spontane Assoziationen thematisiert, die viel über die Wünsche und Vorstellungen der Erzähler*innen verraten. Aber genau auf diese persönlichen Situationen zielen die Bilder ab. Um ihre Wirkweise zu verstehen, braucht es das Rohmaterial der ungefilterten Erfahrung. Folglich wundern sich die Sprecher*innen beim Erzählen bisweilen auch über sich selbst, weil sie in dem Moment erst nachvollziehen, wie sie in die Falle getappt sind.

Meist werden diese Einzelheiten aus theoretischen und kuratorischen Texten herauseditiert, um einem einheitlichen, neutralen Stil gerecht zu werden. Selbst bei den unlängst hier diskutierten Podcasts, die auf ungezwungenem Austausch basieren, fallen solche persönlichen Details heraus, weil man manches vermutlich nicht so offen zugeben will.

Cheated by an Image geht daher einen anderen Weg, auch formal: Begleitet werden die Audiospuren von eigens darauf abgestimmten musikalischen Kompositionen, die die Geschichten dem üblichen Foto-Sprech entrücken. Das gibt unseren oft naiven Begegnungen mit Bildern einen eigenen Raum, der viel mehr Aufmerksamkeit verdient.

Matthias Pfaller

…ist Fotohistoriker und aktuell Stipendiat der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung im Programm “Museumskurator*innen für Fotografie”