Erweitert die „Brigitte“ – nach dem erfolgreichen Launch ihres Ü40-Magazins mit dem Addendum „woman“ – ihr Portfolio nun um die numerisch attraktive Kategorie der über Sechzigjährigen oder welches Magazin kündigt sich hier unter dem Namen „Ursula“ an? Schließlich zählte der Name zwischen 1920 und 1950 zu den häufigsten Vornamen im deutschsprachigen Raum.
Das Rätsel ist einfach gelöst, aber mit einem so ungewöhnlichen Produkt verbunden, dass der „normale“ Kunst- und Foto-Enthusiast nicht einfach kommentarlos darüber hinweggehen kann. Es handelt sich bei dem im Winter 2018 erstmals erschienen Magazin um das hauseigene Druckerzeugnis von Hauser & Wirth, sicherlich einer der international wichtigsten Galerien überhaupt. Der Name ist eine Referenz auf Ursula Hauser, die Mutter der Galeriebesitzerin Manuela, welche im Editorial des Executive Editors Randy Kennedy als „patron, collector, mentor, and art world mater familias“ gewürdigt wird.
Wie bitte? Wie unkte nicht noch unlängst die ihrerseits vor kurzem noch als finanziell „verlustreich“ charakterisierte Kunstzeitschrift „monopol“: „Gerüchte, nach denen die Galerie Hauser & Wirth 2019 ein eigenes Auktionshaus aufmacht, die Stiftung Preußischer Kulturbesitz übernimmt und die kommende Venedig-Biennale in ‘Iwans Wohnzimmer’ umbenennen lässt, wurden nicht bestätigt”. (https://www.monopol-magazin.de/galerie-hauser-wirth-gruendet-eigenes-institut) Nun aber doch immerhin ein neues Kunstmagazin eines der Global Players des Kunstmarktes?
Wozu kann das nur führen: zu einem aufgehübschten Werbeblättchen, zu einem Coffee-table-Heft? Ganz so einfach macht es sich die Galerie auch nicht, denn sie hat erkannt, dass Konsumenten im Zeitalter der sterbenden Druckerzeugnisse und der gleichzeitigen digitalen Informationsflut der Markt nur noch etwas Exzeptionelles vertragen können. „Diversifikation“ heißt das Zauberwort, das sich mit dem der „Entschleunigung“ so meisterhaft verbindet! Das hat im übrigen der Berliner Galerist Johann König früher erkannt als seine Schweizer Kolleg*innen, denn seit 2017 publiziert er doch – mit Unterstützung der familieneigenen Buchhandlung seines Onkels Walther – das halbjährlich erscheinende “König Issue” mit Sinn für Pop Kultur: https://www.koenig-souvenir.com/products/konig-issue-1
Hauser & Wirth hat dieses Modell zweifellos beobachtet und für eine andere Klientel nach einer Alternative gesucht. Herausgekommen ist ein aufwändig gestaltetes Lifestyle-Magazin im Umfang von 128 Seiten in englischer Sprache und beachtlichen Beiträgen zur modernen und zeitgenössischen Kunst. Vermeintlich gegen den Trend rückt „Ursula“ dabei nicht so populäre Namen wie Eva Hesse, Eduardo Chillida, Dieter Roth oder Mike Kelly in den Vordergrund – obgleich diese zum Angebot der aktuell immerhin 78 Namen umfassenden Liste der Künstler*innen der Galerie zählen. Nein, in diesem Heft geht es u.a. um die Fotografie des belgischen Surrealismus (übrigens ein sehr lehrreicher Essay von Luc Sante!) sowie um eher unbekanntere Positionen wie Jack Whitten, Takesada Matsutadi und Amy Sherald.
Natürlich kann der wenig geneigte Leser vermuten, dass die Galerie seinem erlauchten Publikum, das sein Magazin nicht am Kiosk kauft, sondern persönlich zugesandt bekommt und dabei noch gönnerhaft den Preis von 18 $ einspart, eben jene neuen Namen in nett verpackter Form schmackhaft machen möchte. Und das ist sicher auch so, aber „mildernd“ sollte man berücksichtigen, dass diese legitime Form der Werbung nicht nur schön designt ist, sondern auch inhaltlich wirklich anspruchsvoll daherkommt. Deshalb wäre es zu einfach die nicht selten selbstzufriedene Kapitalismuskritik in Anschlag zu bringen und das Erscheinen des neuen Galerie-Magazins mit dem gleichzeitigen Lamento über den quantitative wie auch qualitativen Verfall der Kunstmagazine zu vermengen. Atmen wir also tief durch, bleiben erstaunt und warten, was das in vierteljährlichem Rhythmus noch so produziert wird.
https://www.hauserwirth.com/publications/22996-ursula-issue-1