Foto-Bücher haben innerhalb der Szene eine Konjunktur: die Definitionen dieses Genre werden durchaus kontrovers diskutiert, aber Konsens dürfte wohl darüber bestehen, dass man sie nicht mit Büchern über Fotografie verwechseln sollte – selbst wenn auch da die Grenzen bisweilen fließend sind.
Wenn ich mich als Historiker und Theoretiker zu meinem künstlerischen Medium verhalte, suche ich bei meiner Recherche unter Neuerscheinungen oder Backlist natürlich zunächst bei den bedeutendsten zeitgenössischen Buch-Verlagen für Fotografie. Sofern ich dabei streng eingrenze, zählen zu den Schwergewichten dieser Spezies seit einigen Jahren zweifellos Spector books aus Leipzig und Steidl aus Göttingen. Zwischen ihnen läßt sich sodann einfach zwischen dem vergleichsweise jungen Programm von Jan Wenzel und seinen Kolleg*innen einerseits und dem vergleichsweise Altmeister Gerhard Steidl mit seinen etablierten Stars andererseits differenzieren. Dass diese unterschiedliche Ausrichtung selbstredend auch mit der jeweiligen Geschichte der Verlage zu tun hat, versteht sich von selbst. Immerhin erschien Gerhard Steidls erste Publikation in einem literarisch und gesellschaftspolitisch ausgerichteten Programm bereits im Jahr 1972 und wurde konzeptionell 1994 schließlich um Bücher zu ergänzt ergänzt.
Nicht von ungefähr – kleine Randbemerkung – kommt es übrigens auch, dass sich nach 15-jähriger Zusammenarbeit (Lehrzeit) mit Steidl der Brite Michael Mack von diesem geschäftlich trennte und 2010 seinen eigenen, heute für Fotografie kaum minder renommierten Verlag in London gründete.
Erst im Anschluß an diese beiden schon heute legendären Verlagsprogramme schlage ich weiter nach bei den Verlagen Kerber, Kehrer, HatjeCantz oder schaue gleich im Sortiment der Buchhandlung Walther König nach Neuerscheinungen. Der Historiker in mir vergißt aber auch einen, nein: den Begründer dieses Genres nicht: den Münchener Schirmer Mosel Verlag. Er wurde – und genau deshalb ist jetzt dieser post fällig – am 1.4.1974 von Lothar Schirmer, einem frischgebackenen Verlagskaufmann, und Erik Mosel, einem erfolgreichen Münchner Werbetexter, gegründet. Programmatisch begann er nicht mit Belletristik oder anderen gesellschaftlichen oder gar geisteswissenschaftlichen Exerzitien, sondern sofort mit dem damaligen Nischenprodukt Fotografie.
1975 erschienen zuerst zwei Bücher über August Sander und Heinrich Zille – und bitteschön: diese beiden Positionen waren damals, was heute fast unglaubwürdig klingt, nahezu komplett vergessen. Es ist hier nicht der Ort den weiteren, überaus erfolgreichen Werdegang des Verlages zu skizzieren, sondern lediglich zu sagen, dass Lothar Schirmer spätestens in den neunziger Jahren DER international renommierteste Foto-Verlag Deutschlands war. Dazu trugen nicht allein die Unterstützung des Werkes von Hilla und Bernd Becher sowie später deren „Schüler*innen“ bei; auch internationale Größen wie Jeff Wall oder Rieke Dijkstra feierten mit den Publikationen dieses Verlages erste Meriten.
Der Schirmer Mosel Verlag also feiert nun gerade sein halbes Jahrhundert! Und dieses Jubiläum war selbst der hehren Wochenzeitschrift „Die Zeit“ eine vom allseits gelobten Florian Illies eine Würdigung wert.
Ich stimme ihm zu in seiner Quintessenz, dass wir uns noch lange nicht satt gesehen haben und möchte mich hier auch nicht lumpen lassen mich mit einem „Chapeau“ tief zu verbeugen. Denn zweifellos: Lothar Schirmer gebührt mit seinem Verlag ein sehr großer Anteil an der allgemeinen Wiederentdeckung der Fotografie als Kunst in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts!
Gratulant:
Stefan Gronert
…ist Kurator für Fotografie am Sprengel Museum Hannover
BU: Jim Rakete: Lothar Schirmer