Was heißt: Foto-Theorie? (Teil 1)

Man redet, und wir tun es in diesem Blog ja auch, oftmals sehr schnell und leichtfertig von Foto-Theorie – was aber ist damit eigentlich gemeint? Welches Gebiet der Fotografie ist damit umrissen, welches wird damit ausgeschlossen? Kann man eine möglichst trennscharfe Definition finden, die eine inflationäre und damit beliebige Verwendung des Begriffes ausschließt?

Diese Fragen sollen in loser Folge an dieser Stelle diskutiert werden und der Eigenart des Blogs entsprechend eben auch unterschiedliche Stimmen zur Diskussion anregen. In diesem Sinne will diese erste Beitrag auch etwas provozieren.

Gleichzeitig wollen wir den Charakter dieses Blogs weiter schärfen, denn in unserem Editorial ist das Thema der „Theorie“ bereits grundlegend angesprochen worden. Zum einen, so heißt es dort, geht es hier darum die exklusive Funktion des Begriffes in dem Sinne zu überwinden, dass der „heilige“ wissenschaftliche Diskurs sich nicht von der musealen Diskussion der Fotografie abgrenzt. Umgekehrt aber, so formulierten wir zum Start des Blogs auch, zielen wir auf „eine allgemeine Beschäftigung mit künstlerischer Fotografie“ im Sinne einer Überwindung bloßer Sichtbarkeit vor dem Hintergrund der vielzitierten Bilderflut. – Nun sollte man noch etwas weiter differenzieren.

Zunächst einmal kann man wohl festhalten, dass sich die theoretische Erörterung der Fotografie im Unterschied zu der sozialwissenschaftlichen Verwendung des „Theorie“-Begriffs weniger auf eine Reflexion der Praxis konzentriert. Der Vorgang des Fotografierens selbst ist allenfalls ein Thema der Theorie, sofern dieser bildlich thematisch wird – ansonsten aber nicht. (Analog diskutiert man in der Literatur-Theorie auch weniger die alltägliche Technik des Schreibens o.ä., als vielmehr dessen Ergebnis: die zum Text geronnene Praxis.) In diesem Sinne steht das Ergebnis des fotografischen Prozesses, also das Bild im Mittelpunkt.

Die Theorie diskutiert seine Funktionen im ästhetischen Diskurs (diese Einschränkung verdankt sich natürlich nur der hier gesetzten Fokussierung auf künstlerische Fotografie), d.h. seine besondere Semantik, die es von anderen menschlichen Kommunikationsformen unterscheidet und diese bereichert. Nur wenn Letzteres nachweisbar ist, erscheint das fotografische Bild überhaupt relevant. (Der normative Impetus der Theorie muss an dieser Stelle nicht kaschiert werden. Ich komme später darauf zurück.) Im Hinblick auf das Motiv der „Kommunikation“ nähert sich die kunstwissenschaftliche Perspektive also derjenigen der Philosophie, die ebenfalls vor allem die Sprachlichkeit der Fotografie im Unterschied zu anderen Kommunikationsformen untersucht. „Zeichen“, „Index“, „Spur“ und verwandte Topoi werden in diesem Feld immer wieder bemüht. Manchmal kann man sich hier des Eindrucks nicht erwehren, als habe die Theorie 1995 den „Geist“ aufgegeben. (s. Abbildung)

Im Blick auf den künstlerischen Kontext – wie gesagt: diese Verengung ist eine Vorentscheidung, welche nicht die gesamte Breite der Theoretisierung des Fotografischen einschließt – geht es jedoch vielmehr um normative bzw. qualitative Fragen: Welche Bedeutung hat ein bestimmtes fotografisches Bild oder ein spezifischer Ansatz vor dem Hintergrund von Geschichte und Gegenwart? Mit dieser Perspektive nähern wir uns zugleich zumindest zwei verwandten Bereichen, deren jeweilige Eigenart oder Verwandtschaft abschließend noch kurz anzusprechen sind:

  1. Ist bereits Kunst-Kritik eine Form der Theorie? – Warum eigentlich nicht? Sofern die Kritik um eine inhaltliche Charakterisierung bemüht ist, spricht eigentlich nichts dagegen. Oder muss man sich die journalistische Diskussion um jeden Preis vom Halse halten?
  2. Ist Kunst-Theorie identisch mit Kunst-Geschichte? – Nicht in jedem Fall, aber beide Bereiche überlappen sich schon zu weiten Teilen. Die theoretische Perspektive sollte auf jeden Fall breiter ausgerichtet sein, also übergreifende, allgemeine Fragen (u.a. auch jenseits des Einzel-Bildes, einzelner Ansätze) diskutieren. Die in der Geschichte vielfach und selbst im 21. Jahrhundert noch stets bemühte rhetorische Figur des „Endes“ (z.B. wirkungsmächtig noch im Titel der beiden von Herta Wolf herausgegebenen Bände zum „Ende des fotografischen Zeitalters“) spielt dabei ebenso eine Rolle wie die stets bemühte Unterscheidung von „analog“ und „digital“ oder die Frage nach der institutionellen Verortung der Fotografie. All dies sind eher Themen der Theorie als der Kunst-Geschichte – aber das hängt natürlich vom disziplinären Selbstverständnis des jeweiligen Faches ab.

Ich breche an dieser Stelle ab, hoffe indes genügend Provokationen und auch Anregungen für andere Sichtweisen geliefert zu haben. Fortsetzung folgt!

Stefan Gronert

…ist Kurator für Fotografie am Sprengel Museum Hannover

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