Schlaue Maschinen

Beim Besuch der Berliner Jon Rafman-Ausstellungen im Oktober 2022 sagte meine in der Werbebranche tätige Begleiterin mit Blick auf die schrägen Monster: Die sehen aus wie mit „DALL-E“ gemacht!

Die Diskussionen um aus sogenannter künstlicher Intelligenz erzeugte Kunstwerke hatte ich bis dahin nur beiläufig wahrgenommen. Alsbald setzte ich mich an den Rechner und fand die inzwischen „CRAIYON“ genannte Volksversion von „DALL-E“: Man formuliert verbal, was man immer schon mal sehen wollte und nach ein bis zwei Minuten spuckt das Online-Programm mehrere Bildangebote aus, die als Screenshot gesichert werden können. „CRAIYON“ kam ziemlich punkig daher, subtilere Erfahrungen machte ich mit „STABLE DIFFUSION“, dessen Figuren weniger wie mit der Axt geschnitzt und doppelbödiger wirkten. „MIDJOURNEY“ habe ich noch nicht probiert, was man in dem Umfeld sieht erinnert an volkstümliche Dalí-Ausstellungen.

Nach ein paar Tagen Entzücken über den Wunderlampen Effekt – was bringt der Dschinn als nächstes? – kamen ernüchternde Einsichten. Wenn man das Prinzip als modifizierte Suchmaschine versteht, wird klar, dass über die Wunschbegriffe Stereotypen knallhart bestätigt werden: „East german“ kommt einfältig in Uniform daher, „west german“ etwas smarter. „Munich“ bringt Eleganz in die Bilder, „Hanover“ wirkt dröge und „Chemnitz“ ist ruppig. Die Attribute „sexy“ und „enthusiastic“ geben Schwung. So kann es nach Belieben weitergehen, durch Kombinationen der Stichworte lassen sich die Ergebnisse steuern. Am Ende stehen Erkenntnisse über gesellschaftliche Wahrnehmungsmuster. Wenn es nicht anders verlangt wird, ist die Anmutung meistens fotografischer Natur (woran macht die sich verdammich nochmal fest, wenn es doch verquirlte Frankensteinfiguren in Wackelkulissen sind?). Vor ein paar Wochen zeigte ich einen Bildblock aus dieser Küche in einer Ausstellung in Chemnitz und musste ständig erklären, dass ich die Bilder NICHT mit Photoshop gebaut habe.

Die Verblüffung über die KI-Erzeugnisse rührt zum Gutteil von der Unbedarftheit her, mit der die Kompositionen fabriziert werden – ein von seinem Konzept befangener Künstler wäre für solcherart Tun unter Umständen zu verschämt. Eine strukturelle Parallele der KI-Programme besteht zur Werbeästhetik, die das Publikum mit einem Mix von bewährten Standards anspricht und tatsächliche Neuschöpfungen weitgehend vermeidet. Ähnlich, aber mit ganz anderen Ansätzen, gehen die Rapper und Remixer vor, die seit den 80ern die Plattenschränke ihrer Eltern plündern. Die Montagen der Dadaisten vor 100 Jahren waren zuerst als Antikunst gedacht, bevor John Heartfield die Methode emanzipierte.

Die Befürchtungen zum „Ende der Kunst“ durch die KI-Geschichten halte ich für unbegründet. Die meisten so entstandenen Arbeiten werden auf den winzigen Displays angeschaut, für die sie generiert wurden. Was sich derzeit auf diesem Wege ersetzen ließe, wäre ohnehin entbehrlich und Ideenklau ist gar nicht neu. Ebenso sind „Symbolbilder“ aus dem Archiv als Ersatz für neue Bildproduktionen in den Redaktionen längst üblich.

Meine anfängliche Faszination an den skurrilen Collagen ist verflogen, wie bei einem Witz den man zu oft hört. Auch ist die Rechtefrage lange nicht so klar, wie häufig kolportiert wird. Im Kleingedruckten der Websites stehen genügend juristische Fallstricke, um lieber die Finger davon zu lassen. Was letztlich nervt ist das ständige Wiederholen und Umsortieren dessen, was eben schon mal da war.

Florian Merkel

…ist Fotograf, Musiker, Autor aus Berlin

BU: Florian Merkel, sexy east german scientist – CRAIYON / hedonist munich barricade fighters – STABLE DIFFUSION