Jan Groover ist der mehr oder weniger bekannte Name eines weitgehend unbekannten Gesamtwerks – wenn man es in Abwandlung einer bekannten Sentenz eines noch bekannteren deutschen Philosophen sagen darf. Tatsächlich hat Jan Groover (geb. 1943 in Plainfield, NJ) in der männlichen dominierten Geschichte der Fotografie (speziell in den USA) eine eher marginalisierte Rolle gespielt und ist mit dem 1991 erfolgten Umzug nach Frankreich umso mehr aus dem Fokus des Interesses getreten.
Nach einigen Ausstellungen in ihrer Heimat (u.a. Baltimore 1984, MoMA 1987), wo sie kurzzeitig auch von der legendären New Yorker Sonnabend Gallery vertreten wurde, verschwand sie in Europa nahezu vom Radar der Aufmerksamkeit. Erst nach ihrem Tod im Jahre 2012 setzte eine Art Wiederentdeckung ein. Sie führte u.a. 2017 zu einer kleinen Ausstellung in der Gesellschaft für aktuelle Kunst in Bremenk. Aktuell widmet ihr das auf Fotografie spezialisierte Musée de l’Elysée im schweizerischen Lausanne folgerichtig eine wahrlich umfassende Ausstellung, zumal dort auch seit 2017 der Nachlaß der Künstlerin seinen Platz gefunden hat. Das begleitende Buch ist der bislang wohl beste Überblick über Jan Groovers Kunst.
Wer also ist Jan Groover? Worauf gründet ihr Rang in der neueren Fotogeschichte? Nachdem sie zunächst als abstrakte Malerin arbeitete, wandte sich erst in den 1970er Jahren der Fotografie zu. In Europa weitgehend unbemerkt, avancierte sie in kurzer Zeit zu einer der wichtigsten Vertreterin für neuere Stillleben-Fotografie. Neben den einigermaßen bekannten, so genannten „Kitchen Still Lifes“ hat sie sich auch mit anderen Themen und Motiven (Highways, Industrie-Architektur, Porträts, Körper-Fragmente) auseinandergesetzt. Das sechs Essays umfassende Buch erläutert diese Phasen ihres Werkes in chronologischer Abfolge und mündet schließlich in eine ausführliche Biografie sowie in ein vermutlich vollständiges, jedoch bescheiden „selective“ benanntes Literatur-Verzeichnis. Leider fehlt eine Ausstellungsliste, die zumindest Hinweise auf die Rezeptionsgeschichte der Künstlerin gegeben hätte. Immerhin, so erfährt man kursorisch, war sie mit so wichtigen Kuratoren wie John Szarkowski und Jean-Francois Chevrier befreundet.
Die sechs, relativ kurzen Essays des Buches sind dabei von unterschiedlicher Qualität. Am interessantesten ist vielleicht derjenige von Tatyana Franck und Paul Frèches (66-71), der sich auf die Stillleben, das kunsthistorische Herzstück von Groovers Werk konzentriert. In einem guten Überblick wird hier erstmals klar zwischen verschiedenen Typen der Darstellungsformen unterschieden, wobei man sich gern noch etwas mehr Ausführlichkeit und Tiefe in dem Sinne gewünscht hätte, sodass die drei Typen – „Kitchen Still Lifes“, „die vergleichsweise klassischen, schwarzweißen „Tabletop Still Lifes“ und die ähnlich konventionellen „Color Still Lifes“ – eingehender auch im Hinblick auf ihren Beitrag zur Bildgeschichte verortet worden wären. Überhaupt vermisst man die ein oder andere Werk-Analyse, doch offenbar folgen die Autor*innen hier stillschweigend dem Credo der Künstlerin, dass Bedeutung („meaning“) irrelevant sei. In diesem Sinne meint auch der Mann der 2012 Verstorbenen, Bruce Boice, ein Maler und Kunstkritiker: „Jan’s photos were never about meaning, just the excitement of seeing something. (…) It’s easy to talk or write about meaning, but not about the thrilling experience.“ (177) Ein solches anti-hermeneutisches Verdikt, das einer vergangenen geistesgeschichtlichen Epoche anzugehören scheint, unterbietet die koloristische und strukturell komplexe Bildsprache der „Kitchen Still Lifes“ von Jan Groover leider erheblich – lässt aber viel Raum für zukünftige Forschungen zu einer Künstlerin, über die man noch einige Monografien erwarten darf. Die vorliegende 192 Seiten umfassende Monografie ist dafür immerhin eine unverzichtbare Grundlage.
Tatyana Franck (Hrsg.), Jan Groover, Photographer: Laboratory of Forms, Zürich: Scheidegger & Spiess 2019