Nachgefragt: Artificial intelligence und ihre Folgen für die Theorie der künstlerischen Fotografie

Am 6.9.2024 habe ich ChatGPT folgende Frage gestellt: “Es heißt, dass artificial intelligence die Fotografie verändern wird. Was bedeutet das für die Theorie der künstlerischen Fotografie?” – Ich habe folgende Antwort erhalten:

“Die Auswirkungen von Künstlicher Intelligenz (KI) auf die Theorie der künstlerischen Fotografie sind besonders tiefgreifend, da es in diesem Bereich nicht nur um technische Abbildung geht, sondern um kreative Prozesse, Ausdruck und Interpretation. Hier sind einige wesentliche Aspekte, wie KI die Theorie der künstlerischen Fotografie beeinflussen könnte:

1. Autorschaft und Kreativität

In der künstlerischen Fotografie wird der Fotograf oft als Urheber eines Werkes betrachtet, der durch seine künstlerischen Entscheidungen – wie Komposition, Lichtführung und Bildbearbeitung – ein persönliches Statement schafft. KI kann jedoch viele dieser kreativen Prozesse übernehmen, von der Bildkomposition bis zur Erstellung vollständig neuer Bilder. Dies wirft Fragen zur Autorschaft auf: Wer ist der Schöpfer des Werkes, wenn eine KI maßgeblich an seiner Entstehung beteiligt ist? Ist der Fotograf oder der Künstler nur noch ein „Kurator“ oder „Regisseur“ der KI?

2. Das Verhältnis von Handwerk und Konzept

Die künstlerische Fotografie betont oft das handwerkliche Können des Fotografen und die bewusste Entscheidung über technische und gestalterische Elemente. KI könnte viele dieser Fähigkeiten übernehmen oder automatisieren. Dadurch könnte das Verhältnis zwischen handwerklichem Können und konzeptueller Kunst neu bewertet werden. Die Idee, dass künstlerische Fotografie eine technische Beherrschung der Kamera erfordert, könnte in den Hintergrund treten, während der Fokus auf die Konzepte und Ideen hinter den Bildern stärker hervorgehoben wird. Die künstlerische Fotografie könnte sich noch mehr zu einer „Ideenkunst“ entwickeln.

3. Neue künstlerische Ausdrucksmöglichkeiten

KI bietet Künstlern neue Werkzeuge, um ihre Visionen zu realisieren. So könnten Fotografen durch KI-generierte Bilder völlig neue ästhetische Wege beschreiten, die jenseits der physischen Grenzen der Kamera liegen. Sie können Fotorealismus mit surrealen, abstrakten oder algorithmischen Elementen kombinieren, die in der klassischen Fotografie schwer oder gar nicht erreichbar wären. Das könnte neue Stile und Bewegungen in der künstlerischen Fotografie hervorbringen, in denen der kreative Einsatz von KI zentral ist.

4. Die Frage der Originalität

In der Kunsttheorie wird oft die Originalität des Werkes betont. KI kann jedoch Werke produzieren, die auf einer Vielzahl existierender Bilder basieren. Die Frage nach der Originalität wird damit zunehmend komplexer: Ist ein Bild, das auf Tausenden von analysierten Fotos basiert, noch originell? Oder stellt KI die Idee von Originalität als notwendigem Kriterium künstlerischen Schaffens infrage? Diese Fragen könnten in der Kunsttheorie intensiver diskutiert werden und zu einer Neudefinition des Konzepts führen.

5. Ethische Fragen und die Wahrhaftigkeit künstlerischer Fotografie

In der künstlerischen Fotografie spielt oft die Beziehung zur Realität eine Rolle, sei es durch Dokumentation, Inszenierung oder Verfremdung. Mit KI, die in der Lage ist, völlig realistische, aber fiktive Szenen zu erzeugen, wird die Frage nach der „Wahrhaftigkeit“ des künstlerischen Bildes neu verhandelt. Fotografien können mit KI tiefgreifend manipuliert oder komplett neu geschaffen werden, ohne dass ein realer Ursprung existiert. Dies führt zu ethischen Fragen: Wo ist die Grenze zwischen künstlerischer Freiheit und Täuschung? Wie sollte das Publikum diese Werke interpretieren, insbesondere wenn sie fotorealistisch, aber vollständig künstlich sind?

6. Das Verhältnis zu den traditionellen Kunstformen

Künstlerische Fotografie hat sich historisch oft als Erweiterung oder Abgrenzung zu traditionellen Kunstformen wie Malerei oder Skulptur verstanden. KI-gestützte Fotografie bringt die Möglichkeit, Bilder zu erschaffen, die sich stärker an digitaler Kunst, 3D-Rendering oder algorithmischer Kunst orientieren. Dies könnte dazu führen, dass sich die Grenzen zwischen diesen Disziplinen weiter verwischen. In der Theorie der künstlerischen Fotografie könnte die Frage aufkommen, wie weit sich die Fotografie als Kunstform von ihrer historischen Verankerung als abbildende Kunst lösen kann, ohne ihre Identität zu verlieren.

7. Der Wert des Fotografischen Moments

Ein weiterer zentraler Punkt der künstlerischen Fotografie ist der „entscheidende Moment“, der festgehalten wird – eine Idee, die besonders durch Henri Cartier-Bresson geprägt wurde. KI-basierte Bildgenerierung könnte den Wert dieses Moments relativieren, da Bilder nicht mehr unbedingt an einen bestimmten Zeit- oder Ortpunkt gebunden sind. Der Gedanke des „authentischen Augenblicks“ verliert an Bedeutung, da Bilder auch retrospektiv oder vollständig synthetisch entstehen können. Die Theorie der künstlerischen Fotografie müsste sich damit auseinandersetzen, ob und wie der fotografische Moment neu definiert wird oder ob er gar obsolet wird.

8. Technologische Reflexion als Teil des künstlerischen Prozesses

Einige Künstler könnten sich auch dazu entschließen, die Technik der KI selbst zu hinterfragen oder zu thematisieren. Wie Künstler in der Vergangenheit oft neue Technologien reflektierten und ihre ästhetischen und gesellschaftlichen Implikationen thematisierten, könnte KI selbst zum Thema künstlerischer Auseinandersetzung in der Fotografie werden. Das Hinterfragen von Algorithmus-Entscheidungen, die Manipulation von KI-Fehlern oder das bewusste Spiel mit den Limitationen der Technologie könnten neue künstlerische Strategien sein.

Fazit

Die Theorie der künstlerischen Fotografie wird durch KI grundlegend erweitert und herausgefordert. Die traditionellen Vorstellungen von Autorschaft, Originalität, Handwerk und Wahrhaftigkeit geraten ins Wanken. Gleichzeitig eröffnen sich neue Möglichkeiten für künstlerischen Ausdruck und neue ästhetische Felder. Die künstlerische Fotografie könnte sich von der klassischen Definition der Fotografie entfernen und sich stärker in Richtung algorithmischer Kunst, digitaler Kunst und konzeptueller Fotografie bewegen. Theoretiker werden diese Verschiebungen untersuchen müssen, um die neuen künstlerischen und ethischen Herausforderungen zu verstehen, die KI mit sich bringt.”

Zweifellos: die theoretische Reflexion der Relevanz von KI für die künstlerische Fotografie hat gerade erst begonnen. Der reproduktive Modus von ChatGPT offenbart in Form von Wiederholungen und der weitgehenden Orientierung an Denkmuster  des vor-digitalen Zeitalters, das die “Selbst-Reflexion” der KI durchaus eloquent ist, aber selbstredend (!) nicht up-to-date ist.

Stefan Gronert

…ist Kurator für Fotografie am Sprengel Museum Hannover

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