Die Emphase der Fotografie

1967, jenes Jahr, in dem Roland Barthes im amerikanischen „Aspen Magazine“ seinen vielzitierten, rätselhaften Satz „Die Geburt des Lesers ist zu bezahlen mit dem Tod des Autors“ schreiben wird, veröffentlicht Roland Barthes auch einen sehr kurzen Text „Die Modephotographie“, in dem er die methodischen (d.h. genauer: die linguistischen) Probleme benennt, die dann auftauchen, wenn das Medium Fotografie die Signifikanten einer Mode zur Sprache bringt. 

Barthes zeigt wie das „Theater der Modephotographie“ grundsätzlich poetische Verkettungen von unterschiedlichen Signifikaten assoziiert:  Beispielsweise könne zu Strickjacke Herbst, Schafherde oder Weekend auf dem Lande assoziiert werden. Die Mode, so Barthes,  erzeuge eine Art Gleichklang  zwischen Objekten und den durch sie angeregten Vorstellungen. Die Modefotografie spiele, so argumentiert er weiter, mit bestimmten Anzeichen der Transitivität von Stilebenen, die jeweils auf einander verweisen. Angetrieben werden diese Verkettungen von Stilebenen in einer Modefotografie durch etwas, das wir heute als „Trigger“ bezeichnen würden: eine gewisse Form der Emphase. Die Emphase verkörpere dabei eine paradoxe Operation: Sie distanziert sich von ihrer eigenen Bewegung, indem sie vorführt, wie die ihre Leserinnen in eine aktive Bewegung hineingenommen werden: „Die Emphase ist eine Distanzierung, fast schon so viel wie eine Verneinung; sie bringt dem Leser der Zeichen plötzlich wie ein Schock zu Bewußtsein, daß er ein Rätsel entziffert. Sie löst den Mythos der unschuldigen Signifikate  im selben Moment auf, in dem sie ihn erzeugt und versucht ihre Künstlichkeit , das heißt ihre Kultur an die Stelle  der falschen Natur der Dinge zu setzen.“ (R. B., Auge in Auge, Frankfurt 2015, S. 115) 

Barthes behauptet nun nicht, dass die Emphase notwendig die Lektüre von fotografischen Oberflächen bestimmt; er kann sie aber auch nicht als spezifisch fotografisches Element isolieren    obwohl sie gerade im Moment der Begegnung mit Fotografien zum Tragen kommt. Das Rätsel, das die Fotografie mit der Emphase assoziiert ist, hängt mit dem Zeitpunkt zusammen, in dem der Leser einer Fotografie zum Produzenten (s)einer Erfahrung wird. Über zwanzig Jahren später wird Barthes dafür in seinem letzten Buch „Die Helle Kammer“ (1980) einen bis heute einzigartig gebliebenen Ausdruck gefunden haben: das „Punctum“.  Barthes argumentiert damit in der ähnlichen Weise wie Walter Benjamin, der bekanntlich in seiner “Kleinen Geschichte der Photographie“, angesichts immer kleiner werdenden Kameras, von dem „Schock im Betrachter“ sprach, der “den Assoziationsmechanismus zum Stehen bringt“.

Anders als andere Fototheoretiker hat sich Barthes nur sehr selten  mit der Frage abgemüht, ob und wie man Fotografie in die Kunstwelt hinüberretten könne. „Ich würde sagen, dass jede Fotografie der Kunst angehört    ausgenommen die Kunstphotographie“, so Barthes in einem Interview im Jahre 1980 (a.a.O, S. 228). 

Im Zentrum der Fotografie stehe der strukturelle Übergang „vom Sinn zu den Sinnen“, zitiert Wolfgang Kemp in seiner „Geschichte der Fotografie“ (München 2011, S.13) eine Äußerung des Literaturwissenschaftlers Jochen Hörisch. Nach Hö“risch sensibilisiere das neue Medium Fotografie die Wahrnehmung ihrer Nutzer für die Spezifika von jenen indifferenten Daten, die sie hervorbringt ohne sie hinreichend bestimmbar machen können. Die Herausforderung die Natur des fotografischen Bildes bestimmen zu wollen ist also abhängig vom „Schock“ (Walter Benjamin), vom „Punctum“ (Roland Barthes), von der „ephemeren Wahrheit“ seiner „zufälligen Zeitlichkeit“ (Wolfgang Kemp) und hängt mit dem surreale-rätselhaften Zeitmoment zusammen, in dem die Begegnung zwischen der Diskontinuität des Moments einer Zeit mit der Kontinuität auf der Fläche des Bildes synchronisiert wird.

Fotografie ist als welthaltiges Medium auf eine maximale Fremdbestimmung ihrer Rezeptionsmöglichkeiten in einem gegenwärtigen sozialen Aussen angewiesen – was aber nicht heißt, dass es permanent weiter an seiner genuinen rätselhaften Medienspezifik arbeitet, so kunstvoll verschachtelt sie einem auch erscheinen mag. Seit den Anfängen des Neuen Mediums ab 1839 galt und gilt bis heute jene zeitlose Wahrheit, die dazu führt, dass die Fotografie als ein höchst ambivalenter „Realitätsverstärker“ (Jochen Hörisch) funktioniert: „Das Sprechen über Photographie ist zugleich eines über den eigene Blick.“ (Bernd Stiegler, Philologie des Auges, München 2001, S.30).    

Michael Kröger

… ist freier Kurator und Autor (www.mikroeger.de)

 

BU: Ellsworth Kelly, Kleid-Entwurf, 2013

1 Kommentar zu Die Emphase der Fotografie

  1. Das Sprechen über Photographie ist zugleich eines über den eigenen Blick.“ Und der eigene Blick ist immer subjektiv, da es keine objektive Betrachtung eines subjektiven Betrachtenden geben kann. „Ein jeder Akt der Entschlüsselung bedient sich eines mehr oder weniger komplexen und mehr oder weniger vollständig verfügbaren Codes.“(Bourdieu) D.h. verfügt der Betrachtende nicht über diesen zur Entschlüsselung des Kunstwerkes benötigtem Codes, bleibt ihm zumindest teilweise das Kunstwerk verschlossen. Unser Habitus bestimmt über unsere Fähigkeit, die Formel oder den Code zu entschlüsseln. So ist die Kunstrezeption immer Milieu einbindend und abgrenzend zugleich. Einbindend da sie den „Anderen“ signalisiert, ich gehöre dazu, ich verfüge über die gleichen Informationen – abgrenzend, weil ich mich von denen ohne Informationen abhebe. Ohne die erlernten Informationen können wir keine Formel, kein Bild und keine Fotografie vollends entschlüsseln, wissen nicht was sie bedeutet im kunsthistorischen, kunstsoziologischen und kunstwissenschaftlichen Sinne. Aber wir können zu jedem Kunstwerk eine ästhetische und emotionale Einschätzung abgeben, ohne es vollkommen entschlüsselt zu haben. Wobei aber vieles dann im Verborgenen bleibt. Hier kommen „Schock“ und „Punktum“ ins Spiel, sie brauchen erst einmal keine weiteren Informationen, ihr Ziel ist etwas anderes, sie zielen auf eine schnelle, tiefe emotionale Reaktion ab. Sie vereinigen die unterschiedlichsten Betrachter, denn unabhängig vom kulturellen Kapital treffen sie uns, berühren uns, schockieren uns, als Menschen.

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