4 Fragen an…Franziska Kunze

Du bist erst seit kurzem in München und musstest unglücklicherweise unter den Bedingungen der Pandemie dort starten. Vermutlich konntest Du deshalb erst in beschränktem Ausmaße Kontakte zur lokalen Foto-Community knüpfen. Welche Vorstellungen und Erwartungen hast Du an die „Foto-Szene München“ – falls es sie denn als solche gibt?

Das ist richtig, der Einstieg in meine Tätigkeit an der Pinakothek der Moderne gestaltete sich etwas anders, als unter „normalen“ Bedingungen zu erwarten gewesen wäre. Tatsächlich hatte es aber den charmanten Nebeneffekt, dass ich mich vorerst relativ ungestört auf das Haus, die Sammlung und die ersten Projekte konzentrieren konnte. 

Im Rahmen des Krupp-Stipendiums bin ich bereits 2017 in München am Münchner Stadtmuseum gewesen, sodass ich bereits tolle Einblicke in die Foto-Szene Münchens, die es durchaus gibt, hatte. Gleichzeitig gewinne ich zunehmend den Eindruck, dass München als Standort für die Fotografie noch substanzieller ist, als bisher wahrgenommen. Die Vielfalt und Qualität, mit der sich in dieser Stadt dem Medium Fotografie gewidmet wird, ist beeindruckend und bietet Raum für weitere Entdeckungen. Neben den fotografischen Sammlungen, die die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen und das Münchner Stadtmuseum beherbergen, gibt es auch bedeutende Privatsammlungen wie etwa die von Lothar Schirmer oder Dietmar Siegert. Ein wichtiger Teil der Sammlung Goetz umfasst Fotografie und auch die Alexander Tutsek-Stiftung sammelt und fördert diesen Bereich schwerpunktmäßig. Einige Galerien und auch Auktionshäuser haben sich auf die Fotografie spezialisiert. Die Universität, Akademien und Hochschule setzen ebenfalls wichtige Akzente. Und nicht zuletzt Plattformen wie Der Greif oder das alle zwei Jahre stattfindende FOTODOKS Festival sind wesentliche Sprachrohre für zeitgenössische Positionen im Fotografischen. Ich habe sicher eine ganze Menge vergessen. Was ich jedoch sagen will, ist, dass München ein hohes Maß an Diversität in diesem Bereich zu bieten hat und ich freue mich auf den gemeinsamen Austausch, das Schmieden von Plänen und daraus resultierende Kooperationen, die es zum Teil bereits im vergangenen Jahr gegeben hat. 

Kulturelle Diversitäten, Digitalisierung, Bundesinstitut für Fotografie – momentan gibt es in der Foto-Szene eine Reihe heiß diskutierter großer Themen. Inwiefern betreffen sie Deinen Arbeits-Alltag oder welche Fragen sind aktuell im Fokus Deiner Arbeit an der Pinakothek der Moderne? 

Ich denke, Fragen der Diversität und Digitalisierung stehen ebenso wie Inklusion, Transparenz und zunehmend auch Nachhaltigkeit ganz oben auf der Agenda von Museen weltweit. Es sind mittlerweile Grundsatzfragen geworden, was mich freut, denn die Auseinandersetzung mit den hinter ihnen stehenden Themen sind essenziell für das Museum als analoger und digitaler Raum der Begegnung und Debatte. Gerade die unterschiedlichen Ereignisse des vergangenen Jahres wie die #BlackLivesMatter-Bewegung, die Klimaschutzdemos, die öffentliche Diskussion um gendergerechte Sprache u.v.m. haben auf diversen Ebenen eine Menge angestoßen und einen Dominoeffekt ausgelöst. Das ist gut. Nun heißt es, dranbleiben, sich Zeit für die zum Teil sehr unterschiedlichen Themen nehmen und anerkennen, das viele Themen unmittelbar zusammenhängen. Das heißt, wenn wir von Digitalisierung sprechen und hier beispielsweise über ein erweitertes Angebot für Besucher:innen auch außerhalb des physisch erlebbaren Museumsraumes nachdenken, dann setzen wir uns einerseits mit Aspekten der Barrierefreiheit, dem Gendering und weiterer antidiskriminierender Strategien auseinander, andererseits müssen auch die Inhalte der Website etc. einer kritischen Revision unterzogen werden – und das dauert. Ja, und nicht zuletzt wird auch das Profil der jeweiligen Sammlungen unter die Lupe genommen und geguckt, wo die Reise künftig hingehen soll.

Du hast in Deinem Buch zur „opaken“ Fotografie eine bildnerische Tendenz jenseits des Dokumentarischen verfolgt, die im deutschsprachigen Raum in zunehmendem Maße eine alternative Lesart der Fotogeschichte verfolgt. Siehst Du eine besondere Betonung der Materialität des Fotos auch in der jungen Kunst oder ist das für Dich eher in einer historischen Perspektive von Interesse?  

Auch wenn es sich hier nur um einen Buchstaben handelt, aber mir war und ist es wichtig, von opaken Fotografien zu sprechen, so auch der Titel meiner Arbeit. Mir ging es in dem Buch nicht darum, eine neue – neu wäre sie ohnehin nicht – Kategorie des Fotografischen aufzumachen. Es ging mir vielmehr darum, eine Sensibilisierung für ein Thema zu eröffnen, das aus meiner Sicht lange Zeit zu wenig behandelt wurde: Und das ist die grundsätzliche Gemachtheit jeder Fotografie bzw. die Formbarkeit – um nicht zu sagen Manipulierbarkeit (der Begriff ist ja eher negativ besetzt) – des Mediums in jedem Stadium des Bildentstehungsprozesses. Das habe ich an einer bestimmten Gruppe von Bildern durchgespielt, die jene Prozesse explizit thematisieren und teilweise gut erkennbar im Bildkörper tragen. 

Wenn ich nun auf die aktuelle Bildproduktion blicke, wird deutlich, dass das Analoge und damit auch die Affinität für Materialfragen bekanntermaßen nicht an Reiz und Zuspruch verloren haben. Analoge und digitale Ausformungen existieren gleichberechtigt nebeneinander und auch als gemeinsames Hybrid. Aber es stimmt schon. Es scheint, als würde sich wieder mehr mit den Bedingungen des Fotografischen auch im Bild auseinandergesetzt. Diese Wahrnehmung kann aber auch durch mein Interesse an dem Thema verstellt sein. Fakt ist jedoch, dass ich ein zunehmendes Bewusstsein über die Bedeutung von Trägermaterial/Ausgabemedium und Ausstellungssituation beobachte. Es wird unter Studierenden viel darüber nachgedacht, was es für die Rezeption der Werke bedeutet, wenn sie auf Papier, Folie, Metall oder einem Screen, gerahmt oder ungerahmt, groß oder klein, an farbiger Wand oder im White Cube etc. präsentiert werden. Es sind wesentliche Entscheidungen, die die Wahrnehmung und das Verständnis der Werke nachhaltig beeinflussen und diese Debatten empfinde ich als ausgesprochen wertvoll.

Meine abschließende Frage stelle ich allen Interviewpartner*innen: Welche fotografische Position hat Dich zuletzt fasziniert?

Oha, es ist ja immer schwierig, eine Position unter vielen zu benennen, also nenne ich zwei. Erst kürzlich konnte ich mich für Dannielle Bowmans Serie WHAT HAD HAPPENED begeistern. Ich wurde gebeten, mich ihrer Arbeit für den aktuellen FOTODOKS-Katalog rein assoziativ zu nähern. Auf diese Weise habe ich eine sehr persönliche Beziehung zu den Bildern entwickeln können und finde es toll, sie nun auch auf dem Festival hautnah zu erleben. Ebenfalls im Rahmen von FOTODOKS werde ich noch ein Interview mit Drew Nikonowicz führen. Seine Herangehensweise an das Thema Landschaft in der Serie THIS WORLD AND OTHERS LIKE IT – sowohl auf motivischer als auch auf fototechnischer Ebene – hat mich schon jetzt überzeugt.

Mit bestem Dank an

Franziska Kunze

…ist Sammlungsleiterin für Fotografie und Medienkunst an der Pinakothek der Moderne, München

BU: Meike Reiners