Heute leben wir in einer global-öffentlichen Allmende der Bilder, die vor allem von Fotobildern dominiert und durch ikonische Kunstbilder zusätzlich getriggert wird.
Kunst unterscheidet sich – ausgelöst in bestimmten biographisch-affektiven Momenten – bekanntlich nicht (mehr) von Fotografie; sie verkörpern in ihrem permanenten Zusammenspiel immer Elemente von/in ideologisch geformten Darstellungen. Die Wirkungen und Kontexte in ihrer Zeit und weniger das einzelne Bild/Meisterwerk stehen heute im Mittelpunkt gegenwärtiger Diskurse; fotografisch angefertigte Kunstbilder steigern unsere Aufmerksamkeit, vermitteln Sichtbarkeit durch deren Relevanz. Sie formen und formulieren Zugänge zu einer uns näher gebrachten Wirklichkeit, die inzwischen als Allmende für alle und nicht bloß für wenige Auserwählte und Kenner existiert. Die Anmut und stille Würde der Kunst(-theorie) ist heute durch Kontexte digitaler „Bild-Kulturen“ ersetzt worden, die die „Zukunft der Gefühle“ (Eva Illouz) warenförmig verwandeln wird.
Die Wahrnehmung einer einzelnen Fotografie kann noch Jahrzehnte später wirksam sein. Kunst kann irgendwann einen einzigartigen Unterschied machen und die aktuelle innere Welt verändern. Die Frage ist nur wie und vor allem wie öffentlich dieses geschieht? Kunst als Malerei kann zum Beispiel besonders gut über Formen spekulieren. Fotografie als Darstellung ist eine Meisterin des Irritierens. Wie im Fotobild das Licht gleichsam Fleisch geworden ist, so ist im Kunstbild die Idee der Inkarnation einer nächst höheren Dimension angelegt.
Fotografie ist keine Bedingung für das Entstehen von Kunst aber auch kein Hindernis. Ihr wechselseitiger Dialog ist eine permanente Gratwanderung – visuell, reflektierend, sozial, zeitlich, performativ.
Kunst/Fotografie, die überzeugt und (sich) in Frage stellt, bestätigt nicht das gegenwärtig Sichtbare. Kunst/Fotografien, die sich selbst nicht bestätigen wollen, sondern stören, klären sich selbst auf. Kunst/Fotografie, die es sich mit ihren Wirklichkeiten nicht zu einfach macht, indem sie selbstgewiss Tradiertes zitiert oder an dieses anschließt, kneift nicht vor ihren unlösbaren Problemen. Sie passt sich an den eigenen Druck an, mit dem sie im öffentlichen Ausstellungsraum zu dem geworden ist, was sie am liebsten so gar nicht mehr sein will oder eben viel mehr ist als nur die platte Differenz von KUNST und FOTOGRAFIE. Ob raffiniert gereinigt oder als unrein inszeniert: Wären ihre Bilder ohne Kommentar, Prompt, Kontext, Geistesgegenwart noch jemals wieder lesbar? Rezeption von Bildern wird heute mehr und mehr zu einer Wette auf die jeweils gegenwärtigen Versprechen von Aufmerksamkeit. Nicht nur Bilder vor allem die diversen Öffentlichkeiten erzählen uns, was sie selbst nicht wissen und uns erst vermitteln könnten, wenn wir darüber in ein offenes Gespräch kämen …
Michael Kröger
… ist freier Kurator und Autor