Foto-Theorie NEU gelesen: Abigail Solomon-Godeau und das Feminismus-Problem

Wer die Beiträge unserer noch jungen Reihe aufmerksam verfolgt hat, wird eventuell schon eine Gender-Problematik erkannt haben: Die bislang diskutierten Texte stammen ausnahmslos von Foto-Theoretikern; wir haben  also weibliche Stimmen ausgeblendet. Ich will an dieser Stelle nicht darüber spekulieren, ob dies der Realität entspricht oder andere Gründe hat, sondern nun endlich einer etablierten amerikanischen Autorin die Aufmerksamkeit schenken, die sie verdient.

Gemeint ist die US-amerikanische Kunsthistorikerin und –Kritikerin Abigail Solomon-Godeau. Sie zählt im Kontext der Foto-Theorie zu den profiliertesten Personen, die sich schon früh mit Fragen des Feminismus u.a. auseinandergesetzt hat. 2014 hat sie sich in dem ursprünglich als Vortrag konzipierten Text „Das Alter“ mit dem Werk von Cindy Sherman, ihrer gewandelten feministischen Haltung und der Kunstgeschichte auseinandergesetzt. Dies scheint mir eine außerordentlich interessante Fragestellung, da man in der Tat davon ausgehen sollte, dass die Relevanz der feministischen Bewegung für die künstlerische Fotografie historischen Wandlungen unterlegen ist. Ist allein schon die fotografische Repräsentation einer Frau im Bild genau so wenig automatisch ein Indikator für Feminismus, so gilt dies auch für das Handeln von Fotografinnen. Was aber zeichnet „Feminismus“ überhaupt aus? Beginnt dieser, wie Solomon-Godeau behauptet, in der kunsthistorischen Forschung 1971 mit Linda Nochlin? Und am Rande, aber solche Fragen werden im angelsächsischen Kontext selten ernsthaft gestellt: wie verhält es sich in der europäischen Kunstwissenschaft?

Doch zurück zum Text: Vorbildlich wie überzeugend und schlicht zugleich analysiert Solomon-Godeau zu Beginn ein Pressefoto von der Sängerin Ellie Goulding als „erotisch“ und vergleicht es mit Cindy Shermans 21 Jahre früher entstandenes Bild „#250“. Wenig überraschend, dass das Pressefoto schlechter wegkommt als das inszenierte Foto der wohl bekanntesten lebenden Künstlerin. Der Kunst, das ist die stillschweigende Annahme, soll eine gesellschaftskritische Funktion eingeschrieben sein. Dem können wir doch wohl alle zustimmen…

Dann nimmt Solomon-Godeaus Text jedoch eine erstaunliche Wende: In den achtziger Jahren, so behauptet sie, wurde Shermans Kunst vorzugsweise als Auseinandersetzung mit „den Mutationen und Aporien von Ich und Identität“ gelesen, während eine feministische Lesart kaum in den Blick kam. Das kam leider erst später. – Nach ihrer Hochzeit in den 70er und 80er Jahren konstatiert sie generell ein „Altern des Feminismus“ sowohl der Kunsttheorie und -kritik als auch in der künstlerischen Produktion. Vor diesem Horizont befragt Solomon-Godeau auch das Werk von Sherman und findet dort seit 2000 tatsächlich auf einer motivischen (alternde Frauen) als auch auf einer inhaltlichen Ebene (nachlassendes kritisches Bewusstsein zugunsten von Empathie) Veränderungen der Bildsprache, die erneut eine feministische Lesart stark in den Hintergrund drängt. Und sie holt schließlich zu einer allgemeinen Unterscheidung aus, denn „wo frühere Arbeiten zeigen, dass Weiblichkeit eine leere Bezeichnung ist und impliziert, dass es keine »echte Frau« gibt und auch nicht geben kann, implizieren diese anderen Serien, dass sie tatsächlich auf eine gewisse Art »realistische« Darstellungen eines bestimmten Typus Frau sind.“ Sie sieht darin eine Auslöschung des Feminismus und wird in ihrer Kritik noch deutlicher: „Letzteres hat nachweislich Shermans Aufstieg zu der wichtigsten weiblichen Künstlerin ihrer Generation begleitet, da diese Erhöhung die Minimierung ihrer feministischen Implikationen erforderte.“

Ohne angesichts dieser beißenden Kritik in Schnappatmung zu verfallen und sich ablenkend in der grundlegenden Frage nach den Grenzen zwischen Kunsttheorie und Kunstkritik zu verlieren, scheint es mir überaus bemerkenswert, dass die nur wenige Jahre ältere Solomon-Godeau stets ihren eigenen historischen Standort und ihr Verhältnis zum Feminismus mitreflektiert. Das schmälert die Legitimität und Überzeugungskraft ihrer Argumente nicht, könnte aber in die aporetische Frage münden, ob zunehmende gesellschaftliche Akzeptanz von Kunst zwangsläufig zu abnehmender inhaltlicher Relevanz führt. Fatal, wenn dem so wäre. Oder ist die Erwartung an die gesellschaftliche Funktion von Kunst vielleicht eine falsche?

Abigail Solomon-Godeau, Das Alter: Cindy Sherman, Feminismus und Kunstgeschichte, wiederabegedruckt in: Peter Geimer (Hrsg.), Theorie der Fotografie V: 1995 – 2022, München 2023

Stefan Gronert

…ist Kurator für Fotografie am Sprengel Museum Hannover

BU: Cindy Sherman, Untitled (#250), 1992

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