Das Verschwinden der Stars

Der Titel meine Beitrags ist im Zusammenhang von Fotografie zumindest mißverständlich: welche Stars verschwinden gerade oder haben es bereits getan? Handelt es sich hier um ein Thema der Fotografie, sind es also Stars, die qua Fotografie zu solchen wurden. Und wenn ja: stehen sie vor oder hinter der Kamera – um einmal in klassischen Rollenbildern der analogen Fotografie zu verbleiben?

Gemeint sind hier jene Künstler*innen, die durch das Medium und ihren in den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts erlebten Boom zu Stars des Ausstellungswesen emporstiegen. Die Rede ist von Namen, die „man“ in der Szene der Kunstbegeisterten, aber auch darüber hinaus kennt und für die man mitunter auch einmal bei großen Ausstellungen Schlange steht, deren Kataloge für den Café-Tisch gern erworben werden und deren bekannteste Werke man lediglich qua Reproduktion bewundert – da man sie selbst, anders als andere Fotografien, aufgrund ihres hohen Preises vielleicht schon nicht für das eigene Heim erwerben kann.

Zu diesen Stars zählten vor gut 25 Jahren sicherlich Cindy Sherman, Jeff Wall, Andreas Gursky, Thomas Struth und Nan Goldin und kurzzeitig wohl auch noch Thomas Demand, Shirin Neshat und Rineke Dijkstra. Mittlerweile aber sieht man von diesen Positionen kaum mehr größere Ausstellungen, welche die (stets konservativen) Medien zur Berichterstattung animieren. Der Balsam der Etablierung scheint sie erreicht zu haben, der Aufmerksamkeitswert zu gering. Das bildet sich selbst im Ausstellungsprogramm des einst für sein Zeitgenossenschaft so adorierte Museum of Modern Art ab, das kaum mehr Einzelausstellungen aktueller künsterlerischer Fotografie zeigt und sich statt dessen (opportunen) gesellschaftspolitisch grundierten Themen widmet. 

Ist das Zeitalter der Stars also vorbei? Nicht ganz, wird da sicher sogleich eingewandt und mit dem Hinweis auf die aktuell Aufsehen erregenden Präsentationen von Wolfgang Tillmans in Paris und Dresden, ja sogar Remscheid unterfüttert. Ausnahmen bestätigen zweifellos die Regel, möchte ich reflexhaft erwidern und auf das durchaus vorangeschrittene Alter eines Fotografen hinweisen, der bereits seit den neunziger Jahren schon die Szene bespielt, nach seiner Integration der abstrakten Fotografie aber auch keine entscheidenden Entwicklungen seines Werkes mehr vorweist, obgleich er – zweifellos – nach wie vor stets beeindruckende, ja faszinierende Varianten seines Blicks vorführt. 

Aber jenseits von Tillmans? Das langsame Verschwinden der Foto-Stars dürfte nicht unabhängig von der Ermüdung des Kunstmarktes für Fotografie zu sehen sein, denn beide Phänomene beruhen auf der Heroisierung von Individuen. Ist also der „Star-Kult“ überhaupt eine wünschenswerte oder unvermeidbare Begleiterscheinung einer künstlerischen Bild-Form, deren Akzeptanz dem breiten (!) Publikum ansonsten schwer fällt? Oder ist die Explosion der viel beschworene Bilderflut der so genannten „sozialen“ Medien, in denen sich scheinbar der Warhol’sche Traum erfüllt, dass jeder kurzzeitig ein Star sein kann, so dass die Kunst der Fotografie erneut zur Disposition steht, für das Verschwinden der Stars verantwortlich?

Vielleicht ist die Suche nach Ursachen aber auch müssig und man muss sich einfach nur nach der großen Party auf das konzentrieren, was jenseits der Star-Kults noch passiert: Übersehenes recherchieren statt Blendedes heroisieren?

Stefan Gronert

…ist Kurator für Fotografie am Sprengel Museum Hannover

BU: Günther Netzer (?) in Mitten von Kunst-Fans

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