Zwischen Licht und Zeit: Über fotografisches Erzählen

In manchen Momenten lohnt es sich von der Oberfläche in die Tiefe zu gehen. Zum Beispiel bei der Frage, welche Haltung sich denn eigentlich im Akt des Fotografierens verkörpert. Fotografieren heißt buchstäblich: mit einem gegenwärtig vorhandenen Licht in eine gegenwärtige Zeit hinein zu schreiben. Was dann als Augenblick in einer Fotografie endet, beginnt für die einzelnen Betrachter*innen als unvergleichliches Bild – und auf eine neue Art zu erscheinen.

Jedes Foto ist einzig. Es schneidet eine Zeit aus einem Raum, macht einen Moment zu dem Bild einer Erzählung. Fotografieren heißt also der Zeit eine bildliche Form zu geben – also über das Licht in der Schrift und die Spuren von Zeit nachzudenken.

Fotografien tun nicht so als ob sie etwas vortäuschen, sondern bezeugen etwas, was und wie sie gleichzeitig etwas zeigen. Nicht mehr und auch nicht weniger. Doch was eigentlich passiert genau im Moment des Fotografierens? Wie verändert sich eine Welt, die fotografiert wird? Und wie können wir davon angemessen sprechen?

Seit dem frühen 19. Jahrhundert macht das Fotografieren denkbar, was bislang als unvorstellbar galt. Wer fotografiert, der denkt auch an den Tod, das vergänglich gewordene Leben, das zum Bild geworden ist. Jede Fotograf*in wird im Laufe der jeweiligen Lebenszeit zur Autor*in einer Biographie aus Bildern. Wird wohl deswegen so intensiv fotografiert und endlos gespeichert? Wer nicht an den Tod denkt, denkt nicht an die Zeit, die einem noch verbleibt und an die das Fotografieren erinnert. Gleichzeitig zu fotografieren und dem Tod ins Auge zu sehen, ist normalerweise nicht möglich.

Erst ein späterer Text macht es, wie jetzt und hier, denkbar, das Licht in einem Bild mit den Möglichkeiten der Sprache einer Betrachter*in zu verknüpfen. Erst ein Text macht eine Fotografie zu einem Bild einer zweiten Welt. Die erzählte Zeit der Fotografie ist eine sichtbare, also wahre Fiktion; die auf diese Weise nacherzählte Geschichte einer Fotografie ist eine unsichtbar-erzählte Konstruktion. Auf diese Weise erscheint eine nach vorne, in eine Zukunft hin geöffnete Zeit des fotografischen Bildes. Fotografien sind bildlich gesprochen so etwas wie tiefer gelegte Geheimnisse – sie eröffnen auf einzigartige Weise ein Verhältnis von betrachtenden Menschen zu den Bildern (in) ihrer Welt. Geradezu so, als hätte es eine Welt ohne Fotografien nie gegeben.  Eine unmögliche Frage: Wie hätten wir Heutigen die Welt wohl ohne die Erfahrungen von Fotografien wahrgenommen? Vielleicht diese Erfahrung: eine sichtbare Nähe zu Etwas und eine unsichtbare Distanz zur Fotografie gewordenen Welt.

Michael Kröger

… ist freier Kurator und Autor

 

BU: Sascha Weidner, Implode II, 2011 (Nachlaß des Künstlers)

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