Was in Zürich los war und ist: Fotografie im Kunsthaus

Die Metropole für Fotografie in der Schweiz ist seit 1993 das kleine Städtchen Winterthur – nicht die 25 km entfernte Weltstadt Zürich. Im dortigen Kunsthaus, das für eine Sammlung dieses Mediums vielleicht sogar prädestiniert wäre, hat man sich mit dieser, einst noch nicht als Kunst angesehenen Bildform nur sehr verhalten anfreunden können und so in föderalistischer Manier der kleinen Nachbarstadt die Hoheit überlassen.

Was das für die Sammlung des großen Kunsthaus Zürich bedeutet, kann man nun in einer Ausstellung sowie der begleitenden 80-seitigen Publikation nachvollziehen. Beides lag in den Händen von Joachim Sieber, der als Mitarbeiter an Graphischen Sammlung des Hauses zudem über die Zürcher Fotoszene der 70er und 80er Jahre promoviert hat und gerade deshalb für das Thema der ideale Experte ist. Ausstellung und Katalog widmen sich nämlich dem Aufbruch und dem Umbruch zur künstlerischen Fotografie von 1970 bis 1990. Dieser Zeitraum ist gut gewählt, denn er fokussiert just jene Zeit, in der die wesentlichen Weichenstellungen einer breit angelegten künstlerischen Emanzipation des Mediums von statten gingen. Freilich schränkt er den Horizont eines Überblicks über die gesamten Bestände des Museums, die zuletzt vor 23 Jahren publiziert wurden, doch auch erheblich ein. Im Unterschied zum Kunstmuseum Basel, das im Vergleich mit seiner zumindest online publizierten Sammlung von 925 Fotografien in dieser Gattung auch kein museales Schwergewicht verkörpert, schafft leider die Homepage des Kunsthauses auch keine Abhilfe und so muss man sich mit dem Hinweis von Sieber begnügen, der en passant erwähnt, dass sich „nahezu 1300 Werke […] künstlerischer Fotografie und Fotokunst im Kunsthaus Zürich“ (13) befinden.

Die vorliegende Publikation stellt daraus ganze 32 Katalog-Nummern vor (inkl. drei Videos), von denen zwei noch externe Leihgaben sind. Kurz gesagt: Bereits die genannten Zahlen zeigen, wie dünn das Kunsthaus in diesem Bereich aufgestellt ist. Das ist nicht per se verwerflich, zumal mit der kulturpolitischen Entscheidung für Winterthur ja auch einfach andere Prämissen gesetzt sind, aber vielleicht hätte man den Anspruch dieses Ausstellungs- und Publikations-Projektes auch etwas bescheidener formulieren können – eigentlich ja eine schweizerische Tugend. Ein differenzierterer Untertitel wäre dafür eine geeignete Stelle.

Sieber fasst die ausgewählten Nummern unter der Überschrift „Neue Wege postmoderner Diversität“ und schafft mit den Kategorien von konzeptueller Fotografie zur Medienkunst, Selbstporträts und gesellschaftlichen Ort eine nachvollziehbare inhaltliche Differenzierung, innerhalb derer die einzelnen künstlerischen Positionen auch wirklich überzeugend von ihm beschrieben werden. Der Schwerpunkt dieser Auswahl liegt bei schweizerischen und angelsächsischen Positionen, woraus sich selbstredend kein repräsentativer Überblick international relevanter Fotografie jener Zeit ergibt. Und auch wenn das Unternehmen demgemäß nur eine regionale Bedeutung besitzt, was der breit aufgemachte Titel nicht unbedingt erwarten ließ, muss man immerhin festhalten, dass Siebers Einführungskapitel (8-15) einen schönen Überblick über die Fotografie dieser Zeit in Zürich liefert. Ansonsten kann man leider nur zu dem Schluss kommen, dass im Hinblick auf Fotografie im Kunsthaus Zürich nicht viel los ist. Das ist nicht schlimm, man sollte aber nicht so tun als ob…

Neue Fotografie. Umbruch und Aufbruch 1970 -1990, (Ausst.-Kat.) Kunsthaus Zürich, Zürich: Scheidegger & Spiess 2019