Toiletpaper (ein paradoxes Magazin)

Es ist den Arbeiten im Heft anzusehen, dass der Fotograf ein Werbefotograf ist. Licht-Einsatz, Farben und Formen / Figuren sind werbewirksam platziert. Pierpaolo Ferrari, Werbefotograf, und Maurizio Cattelan, Künstler, sind die Ideengeber und Produzenten der Zeitschrift Toiletpaper.

Seit 2010 erscheint das Heft, das nur aus Fotografien besteht und keinen Text beinhaltet, in regelmäßigen Abständen – zwei Mal im Jahr. Die Bilder werden von Cattelan und Ferrari selbst erdacht und inszeniert. Sie sind meist surreal und absurd, aber auch humorvoll, ironisch und politisch. Sie sind spannungsvolle unverständliche Paradoxien in einer poppigen, sauberen und glatten Webeästhetik. Beeinflusst sind ihre aufwendig inszenierten Fotografien auch von den Manieristen und Surrealisten. In einem Interview sagt Cattelan: „TOILET-PAPER will continue to investigate that grey zone between advertising, fashion, and art, (…). Oliviero Toscani was such a huge innovator in advertising in the ’90s that he probably influenced the visual art of that period”.

Toscani ist in seinem künstlerischen Werdegang ebenfalls paradox. Er ist ein Werbefotograf, der die Grundzüge der Werbung, den Konsum, das Begehren nach noch mehr Konsum ablehnt: „In ihrem Bemühen, uns das Glück zu verkaufen, erzeugt die Werbung letztendlich Heerscharen von frustrierten. Indem sie vermehrt Wünsche weckt, die unerfüllt bleiben müssen, verfehlt sie ihr Ziel und schafft Deprimierte und Kriminelle (…). Die Werbung verkauft kein Glück, sie schafft vielmehr Depression und Ängste, Wut und Frustration“. Mit seiner Benetton-Werbekampagne beschritt er neue Wege in der Werbung, die diesen von ihm beschriebenen Teufelskreis durchbrechen sollten. Cattelan geht in seinen Toiletpaper Magazinen in eine andere Richtung und doch noch einen Schritt weiter. In diesen Heften ohne Texte wirbt er nur noch um Aufmerksamkeit für seine absurden Bildideen, die viel Platz für Interpretation lassen. Eine Art Anti-Werbung, mit werberischen Mitteln, da es kein Produkt gibt, für das die Bilder werben, außer vielleicht für die menschliche Phantasie, die sie anregen sollen und die Künstler. Wie Toscani ist auch Cattelan ein Suchender, der in den Abgründen und Absurditäten des Lebens fündig wird: „Die Kreativität bleibt die Domäne des Zweifels, der Suche, der Krise und der Fragilität.“ Dies würden auch die Künstler des Manierismus bejahen, ihre Kreativität schöpften sie auch, aus dem Zweifel, der Verunsicherung und aus der Fragilität ihres neuen (kopernikanische Wende) Weltbildes. Die Dualität, das Nebeneinander von Möglichkeiten schaffte neue künstlerische Spannungsfelder.

Dies ist auch bei Cattelan zu beobachten: Positives und Negatives, Gutes und Böses, Verbote und Tabus, Wahrheit und Täuschung – in Cattelans Phantasie ist alles enthalten. Cattelan lässt sich nicht festlegen, auch auf die Fragen zum Verhältnis von Leben und Kunst gibt er keine Antwort. Er hält sich an keine Ordnung, stellt sich selbst in Frage, untergräbt das System von innen, fordert unsere Wahrnehmung und Sehgewohnheiten heraus. Seine Arbeiten sind eingebettet in Versagensangst und ein tiefes Bewusstsein von Tragik, Verlust und Tod und werden, angerichtet mit humorvollen Wendungen, in eindrucksvollen Bildern präsentiert.

Hier eine weitere Paradoxie: Toiletpaper ist benannt nach einem Wegwerf-Artikel, nach Zeitschriften, die man schnell entsorgt, dies widerspricht aber Cattelans betriebenem Aufwand, um die Fotografien zu produzieren. Cattelans Szenen und Fotos für Toiletpaper, die aufwendigen Filmsets gleichen, erinnern an Gregory Crewdsons minutiös inszenierte filmische Bilderwelt. Aufschlussreicher ist hier jedoch der Unterschied. Crewdsons Fotografien werden gerahmt, ausgestellt in Editionen aufgelegt, gekauft und verkauft und ohne Frage als Kunstwerke angesehen, Die Toiletpaper-Fotos existieren nur in Magazinform. Für Cattelan sind die Toiletpaper-Fotos „beinahe Kunst“. Einige, so glaubt er, könnten irgendwann den Status von Kunstwerken erlangen, aber erst, wenn sie sich bewährt haben in der Welt, erst wenn sie ikonisch geworden sind.

Cattelan schickt seine Bilder in eine Welt voller Bilder, in einen Überfluss an Bildern, er setzt sie einer ätherischen Evolution aus und hofft, dass einige überleben werden. „Wie die Barockmenschen sind wir emsige Bilderzeuger, aber insgeheim sind wir Ikonoklasten. Nicht solche, die Bilder zerstören, sondern eher solche, die Bilder im Überfluss herstellen, auf denen es nichts mehr zu sehen gibt. (…) Diese Bilder verbergen nichts, sie enthüllen nichts, sie haben in gewisser Weise eine negative Intension“ (Jean Baudrillard 1992). Hier gegen versuchen sich die Fotografien des Toiletpapers zu wehren, sie sind manchmal hässlich und brutal, eklig und abstoßend, aber sie haben keine negative Intension, gerade weil sie nicht dem Klischee entsprechen, Werbung zu sein für ein Produkt, ob Subjekt oder Objekt.

Das Titelblatt der Ausgabe Nr. 12 (Frühjahr 2016): Im Vordergrund des Bildes steht ein roter runder Tisch, auf dem ein Globus liegt. Ein Mann steht zwischen dem schrillen Rot des Tisches und dem gelben Hintergrund in seinem blauen Anzug. Seine eine Hand hält den Globus, die andere hält einen Pinsel mit hellblauer Farbe. Auf dem Globus sehen wir nur noch die Landkarte der USA, alle anderen Länder wurden mit der hellblauen Farbe, die auch die Ozeane auf dem Globus hat, übermalt. Die Interpretationen zu dieser Fotografie können vielseitig sein. Halten sich die USA im Sinne von Trump für das einzig wichtige Land auf der Erde?

Und genau dies mag ich (ein Fan) an den Toiletpaper Magazinen, die Arbeiten sind nicht abstrakt aber dennoch lassen sie viel Platz zu Interpretation. Ganz im Sinne Flussers, der einmal sagte: “Ein Foto wird umso informativer sein, je überraschender und `origineller´ es ist”.

http://www.toiletpapermagazine.org/

Helge H. Paulsen

…ist frei schaffender Kunstsoziologe und Fotograf