Spam oder Mailart? Im Museum Folkwang befragen unverlangt eingesandte Briefe die fotografische Sammlung

Man guckt nach links und rechts, wenn man das UG des Museum Folkwang betritt. Immer wieder nach links und rechts. Links ist etwas an die Wand genagelt worden, was man als zum Brief gefaltete Fotokopien identifizieren kann, rechts dann Rahmen, Passepartouts, das schwerere Gerät der Fotografie. Links sieht man unverlangt eingesandte Briefe einer Gruppe(?), die nur durch die gestempelte Emailadresse 21.lettres.a.la.photographie@gmx.de eine Responsivität möglich machen.

Auf den kopierten Blättern, die an verschiedene Fotokurator*innen und -sammlungen im In- und Ausland geschickt wurden, erkennt man Reproduktionen von Text- und Bildfragmenten, die mal ein gebratenes Ei oder Toilettenpapier zeigen, mal verbale und mal visuelle Fragen. Es sind Sujets, die hinterfragen, wie durch die Fotografie Wert generiert wird und was für Werte überhaupt entstehen und sich verschränken, wenn etwas fotografiert wird: Wie verhält sich ein Bildwert zu einem Farb- oder Grauwert, ein Geldwert zu einem Flächenwert?

All das könnte es sein, all das und doch auch nichts davon, da die Ausstellung auch den Kurator als sinngebende Einheit in Frage stellt und eher von den wechselseitigen Projektionen erzählt, die an die ‚Kunst‘ und die Institution ‚Museum’ gestellt werden.

Die Bilder, die Thomas Seelig und sein Team aus der fotografischen Sammlung des Folkwang Museums als Korrespondenz den Briefen gegenüberstellen, antworten ähnlich idiosynkratrisch: André Gelpkes Christine mit Spiegel (1977) ist eine Frau vor dem Spiegel: Der Handspiegel verbirgt ihr Gesicht und ist damit seiner jahrhundertelangen Hilfsfunktion für das Selbstportrait entledigt worden. Man sieht, dass man nichts sieht oder zumindest nicht das, was man sehen wollte.

Jene Suche kann man auch in Gero und Olli (1989), den beiden auf den Boden blickenden Jugendlichen von Andreas Weinand formuliert finden, die ebenso selbstgenügsam wie obsessiv eine Wiese ablaufen oder auch auf der Fotografie Bei der Korrektur, Folkwangschule Essen, 1965 von Karl Peters, die Otto Steinert sowohl zeigt als auch nicht zeigt: Zwar ist sein Gesicht durch einen fotografischen Abzug, den er betrachtet, weitgehend verdeckt, dennoch ist die dramatische, stark kontrastierte Fotografie „à la Steinert“ gemacht worden, in einem seiner fotografischen Stile. Was heißt hier erkennen, scheint Peters ebenso Fragen zu wollen wie viele andere der hier versammelten Positionen, Lee Friedlander fragt sich das ja schon lange und Eiko Grimberg in der Architektur einer möglichen Zukunft.

Die im besten Sinne spielerische Ausstellung, die noch bis  8. November 2020 zu sehen ist, nimmt die anonym an sie gestellten Fragen auf, um sie weiterzuspinnen und widerzuspiegeln, sie um- und neu zu formulieren und damit dem Besucher die Möglichkeit zu geben, hier nicht nur mit Karl Valentin zu schmunzeln, sondern aktiv in den Dialog von links und rechts einzutreten, mitzusprechen oder genauer: mitzusehen.

Damit bietet die Ausstellung auch die Möglichkeit, disparatestes Material aus der fotografischen Sammlung neu zu präsentieren, Material, das es nie zusammen in eine im engeren Sinne thematisch zu nennende Ausstellung geschafft hätte. Man beugt sich über das Fotoform-Manifest von 1949 in der Annahme, dass auf der linken Wand ebenfalls ein Manifest hängt. Ein Manifest, das nicht in Worten, aber in Bildern fordert und von dem man nicht weiß, wie ernst es ihm ist.

Selbiges weiß man auch nicht von der Ausstellung, was sehr erfrischend angesichts der bedeutungsschwangeren Substantive ist, die sonst so schwer auf der Fotografie liegen. Diese Ausstellung will gar nicht viel. Sie versucht, unsere Projektionen auf das Medium und die Institution ein wenig transparenter zu machen, weil es geteilte Projektionen sind und regt uns an, ein bisschen häufiger nach links und rechts sehen.

Anja Schürmann

…ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Kulturwissenschaftlichen Institut Essen

 

BU: Lettre #6, Januar 2011. Museum Folkwang. Foto: Jens Nober

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