Kunstgeschichte unter dem Diktat der Ökonomie? “Performative” Perspektiven

Wie vital ist eigentlich unser Fach? Sicherlich einer der originellsten Kunst- und Architekturhistoriker der Gegenwart, der auch spätestens seit seinem Bändchen Die Kunst der Gegenwart. 1960 bis heute (München 2008) einem breiteren Publikum bekannt ist, dürfte der ETH-Professor Philip Ursprung sein.

Die ungewöhnliche Optik, die sich schon dort andeutete, wird in seiner jüngsten Aufsatzsammlung ausgeführt und anhand von Fallstudien vertieft. In dem Band Der Wert der Oberfläche (Zürich 2017) geht es in 14 Essays um die Frage nach dem Verhältnis von Kunst, Architektur und Ökonomie, die in der Fokussierung auf das Motiv der Oberfläche verfolgt wird. „Ich will keine kausalen Beziehungen zwischen Ökonomie und Kultur definieren“, meint der Autor in vorauseilender Abwehr des Vorwurfs von Naivität. „Aber ich möchte die Verschränkungen zwischen den beiden Bereichen aufzeigen“ (8).

Den Hinweis auf dieses Buch im Kontext eines auf Foto-Theorie fokussierten Blogs zu platzieren, begründet sich sowohl durch die vorbildliche Methodik, die überaus inspirierend für alle Felder der Kunstwissenschaft wirken kann, als auch durch den Umstand, dass hier Fallstudien zu Paul Strand, T. Lux Feininger, Reinhard Mende, Hans Danuser und am Rande auch zu Jeff Wall enthalten sind. Die darüber hinaus vor allem auf zeitgenössische Architektur konzentrierten Essays sind durchweg angenehm zu lesen, was sich vor allem Ursprungs Ansatz einer „performativen“ Kunstgeschichtsschreibung verdankt. Dieses geschickt modisch gewählte Label, das der Zürcher Kunsthistoriker 2008 bereits vorgestellt hat, entfaltet sich in einem betont subjektiven Stil, der das „Ich“ verwendet, „um in meinen Argumenten lokalisierbar, nachvollziehbar und auch angreifbar zu sein, damit die Diskussion weitergeführt werden kann“ (194). Die Inkohärenz der Themen in dem vorliegenden Band verstärkt dieses Motiv zusätzlich.

Nicht immer – z.B. in der etwas bemüht strapazierten Analogie des Crystal Palace und Melvilles Roman Moby Dick (13-30) oder der nicht minder gesuchten Parallele der Wiederveröffentlichung von Adolf Loos‘ Aufsatz Ornament und Verbrechen und des Börsencrashs von 1929 – überzeugen Ursprungs Relationierungen von Wirtschaft und Kultur. Vielfach aber verblüffen sie, so etwa in den Ausführungen zu Strands Wall Street-Bild von 1915 oder zu Peter Eisenmans Columbus Convention Center, Ohio (1990-93). An solchen Stellen mag man das Buch kaum mehr aus der Hand legen und sehnt sich allenfalls nach mehr Abbildungen in dem überdies präzise gestalteten Paperback des gta-Verlags.

Fazit dieses Hinweises? Die Kunstgeschichte ist nach den vergangenen Moden der „Bilderwissenschaft“ und des „iconic turns“ doch nicht flächendeckend in einen lethargischen Schlaf der Selbstzufriedenheit verfallen. Sie kann, wie Philip Ursprung vorführt, den „Primat der Ökonomie“ (208) kritisch reflektieren ohne in den alternativen Modus bloßer Agonie zu verfallen oder oberflächlich zu werden. Letztere, die Oberfläche, hat ihren Wert.

 

Philip Ursprung: Der Wert der Oberfläche. Essays zu Architektur, Kunst und Ökonomie, Zürich: gta-Verlag 2017

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