Kunst und Fotografie: Wie steht es mit der Zwei-Welten-Lehre?

Wenn man mit Studierenden (wohl gemerkt: an Kunsthochschulen!) der Fachrichtungen Kunst oder Design spricht, dann scheint die Frage nach dem Zusammenhang von Kunst und Fotografie antiquiert und wird – ob der vermeintlichen Irrelevanz der Problematisierung – zumeist mit erstauntem Blick schlicht beantwortet: Fotografie ist halt Kunst! Dass dies historisch eine junge Allianz ist, die in den meisten Museen gerade mal seit drei bis vier Dekaden verankert ist, darf man den Studierenden nicht vorwerfen: das Privileg der späten Geburt!

Das Thema des Zusammenhangs dieser so lang separierten Bereiche und die damit verbundenen unterschiedlichen Produzenten- und Rezipienten-Kreise wird auch angesprochen in einem neueren Interview mit Peter Galassi, der von 1991 bis 2011 Chief Curator des Department of Photography am MoMA war, also auf dem “Der Richterstuhl der Fotografie” saß, wie Christopher Phillips diese Position im Zuge eines legendären Aufsatzes benannt hat. Es sei nun dahingestellt, um nicht zu sagen: bezweifelt, ob diese Einschätzung heute noch die angemessene Beschreibung zur Bedeutung des MoMA darstellt. Nicht von ungefähr haben sowohl Galassi als auch sein Nachfolger Quentin Bajac ihre Posten vorzeitig verlassen. Aber zurück zum springenden Punkt, also einer bemerkenswerten Äußerung von Galassi, die dieser noch unlängst im Zusammenhang eines Interviews tätigte. Auf die Frage nach den größten Aufgaben seiner Kuratoren-Tätigkeit antwortete er:

„For photography critics, curators and historians of my generation, the biggest single challenge is to try to deal with the fact that there are still two photographic worlds: old photographic traditions and the newer traditions that result from the uses of photography developed in the art world. Even though there is more exchange and overlap between those two worlds than there was twenty-five years ago, there are still two different worlds. As part of my job, I need to be responsive to both of them and to encourage them to be aware of each other.“ (2016)

Hat sich da heute wirklich etwas geändert? Gibt es noch den Spalt zwischen der alten Fotografen-Welt und der neueren Kunst-Welt? Oder ist Fotografie einfach wirklich automatisch Kunst und die vermeintliche Trennung nur noch ein Problem von alten weißen Männern?

Wenn man sich nicht allein auf der im Kokon des Museums oder der Hochschule entwickelten eigenen Meinung ausruhen will, dann kann man feststellen, dass die „breite Bevölkerung“ dies nicht so klar sieht. Immerhin unterscheidet das digitale Volkslehrbuch “Wikipedia” zwischen 56 Genres der Fotografie, wovon die künstlerische Fotografie nur eine ist. Verlinkt man sich weiter, gerät man auf einen inhaltlich problematischen Eintrag zu dieser randständigen künstlerischen Fotografie, dessen Qualität selbst von den Wikipedia-Redakteuren angezweifelt wird.

Und tatsächlich gibt es unterschiedliche Studiengänge zur Fotografie unter dem Dach derselben Hochschule, die also keineswegs nur „künstlerisch“ ausgerichtet sind. Und es gibt auch Ausstellungs-Institutionen mit unterschiedlichen Programmatiken zur Fotografie. Dass dem Kunst-Museum dabei eine nobilitierende Rolle zugeschrieben wird, ist wohl lediglich der bürgerlichen Tradition zu verdanken, die nach wie vor ökonomisch stabilisiert wird: Jede Fotograf*in will ins Museum. Das Kunst-Museum ist dabei nicht per se das bessere. Zweifellos ist „Fotografie“ ein Sammelbegriff für ganz verschiedene Funktionen und Praktiken. Hilft es also die Zwei-Welten-Lehre zur pluralen Welt der Fotografie umzudefinieren oder ist das nicht mehr als nur modische Nomenklatur?

Eines dürfte sicher sein: Jenseits der (freilich entscheidenden) Fragen der Qualität sind die Grenzen zwischen den fotografischen Genres mitunter – nicht immer! –  fließend und ihre permanente Infragestellung kann sogar einen dezidierten Antrieb von Fotografierenden darstellen, die genau diese Grenzen auflösen wollen. Fotografie kann, aber muss nicht Kunst sein. Also was nun? Sollten wir uns der Definitionsmacht jener Institutionen beugen, die uns sagen, was welche Art von Fotografie ist? Oder ist es nicht eh egal, wer was ausstellt?

Stefan Gronert

…ist Kurator für Fotografie am Sprengel Museum Hannover

3 Kommentare zu Kunst und Fotografie: Wie steht es mit der Zwei-Welten-Lehre?

  1. Es ist der Gegensatz zwischen dokumentarischer und konzeptueller Fotografie. Die Kunsttheorie täte gut daran, diesen wirklichen Gegensatz nicht zuzukleistern.

  2. Ist nicht der Unterschied zwischen Fotografie und Kunstfotografie derjenige, dass die Kunstfotografie eine „künstlerische Höhe“ haben muss? (Also über eine reine Produkt-Ablichtung hinausgehen sollte) Eine sehr diskutierbare Definition, denn wo beginnt die „künstlerische Höhe“ und ab wann wird sie nicht mehr erreicht? Die Fotografie ist ein Medium, also ein Botschafts-Überbringer, diese Botschaft kann künstlerisch sein oder nicht, das reine „Schreiben mit Licht“ sagt nichts über den Kunststatus aus. Es sei denn, man fasst seine Kunstdefinition weiter und sagt alles, was nicht von der Natur hervorgebracht wurde und der Mensch schuf sei Kunst, im Sinne einer fortschreitenden Kultivierung usw.
    Wer definiert Kunst heute? Dies ist eine spannende Frage. Große internationale Galerien haben die Macht dies zu tun, ihre Aufnahme in den Verkaufskatalog bedeutet: „dies muss Kunst sein“ -da teuer und hier zu kaufen. Qualitative Kriterien spielen dabei nur subjektiv eine Rolle, da auch diese immer unterschiedlich definiert werden können. Auch Museen haben die Macht Kunst zu behaupten, etwas zur Kunst zu machen, allein aus der Tatsache, dass es dort hängt. Der Besucher wagt es nicht mehr dies zu hinterfragen, ein großes Problem! Die Kunstdefinition unterliegt auch Trends, Moden, Monetären, sozialen und politischen Einflüssen, sie ist wie alles fließend (panta rhei). Gerade in der Fotografie gibt es immer wieder Trends, die „zeitgenössisch“ sein wollen aber schnell eine Uniformierung der Foto-Ästhetik bedeuten, dies langweilt oft. Und überhaupt der akademische Grad ist ja heute für die Kunst-Definition ganz wichtig –Wer bei welchem Prof. studiert hat, ist ja heute der Schlüssel zu Museum, Kunstverein usw. Es soll das Qualitätsurteil des Hauses, des Kurators absichern. Spricht aber eher von Mutlosigkeit und einem fehlendem eigenen „Urteilsvermögen“. Autodidakten unerwünscht. Wer aber in die Geschichte zurückblick, weiß genau, dass es diese Form der Kunstausbildung -des Studiums- erst seit relativ kurzer Zeit gibt, die Jahrhunderte davor, deren Kunst wir alle so lieben, alles „Handwerker und Autodidakten“ die teilweise noch nicht mal ihre Werke signieren durften, da „nur“ Handwerker. Ob etwas Kunst ist oder nicht, liegt nicht am Medium, sondern an dem was es zeigt. Die Beurteilung darüber ist immer subjektiv – Ich für mich versuche immer nur „das Bild / die Arbeit“ in seinem Kontext zu sehen bzw. zu verstehen. Die Emotion die es in mir auslöst zu ergründen – oder eben keine? Das Bild muss mich ergreifen, anfassen, berühren. Tut es dies nicht, interessiert es mich nicht weiter, ob nun Kunst drauf steht oder nicht. Die Ausbildung oder der akademische Werdegang des Künstlers ist für mich absolut zweitrangig. Die Kraft des Bildes muss für mich immer an erster Stelle stehen. Jeder sollte sich eine Meinung bilden, nicht vorgefertigte übernehmen. Denn das ist ja das Schöne an der Kunst, sie fordert zum selber denken und urteilen auf.

  3. Nun was ist Kunst? Hier fängt doch die eigentliche Schwierigkeit an. Wenn wir Wikipedia zitieren wollen, dann klingt das so:

    „… Kunst ist ein menschliches Kultur­produkt, das Ergebnis eines kreativen Prozesses. Das Kunstwerk steht meist am Ende dieses Prozesses, kann aber seit der Moderne auch der Prozess selbst sein. …. Der Formationsprozess des Kunstbegriffs unterliegt permanent einem Wandel, der sich entlang von dynamischen Diskursen, Praktiken und institutionellen Instanzen entfaltet…. „

    Aha!!

    Und am 25.08.2017 konnten wir hier https://www.foto-kunst-theorie.de/die-fotografie-ein-bild-im-plural/ lesen:

    „… Die Entkontextualisierung der Fotografie, die im Rahmen der institutionellen Anerkennung der Fotografie zur gängigen Praxis wird, begründet damit wesentlich den Status der Fotografie als Kunst und ist zugleich ihre Folge. …“

    Dann wäre der Prozess: wenn eine Fotografie (gleich welcher der 56 Genres der Fotografie zugehörig) aus ihrem Kontext genommen wird – kann sie die institutionelle Anerkennung bekommen – und den Status Kunst erreichen.

    So weit so gut – und auch beliebig.

    Aber ist es wirklich allein genügend Fotografien aus ihrem Kontext zu nehmen um Kunst zu werden? Bei oberflächlicher Betrachtung: ja so kann es sein – und im Sinne des Readymade auch legitim.

    Ich denke damit wird jedoch außer Acht gelassen, das Fotografien auch bewußt in einen neuen Kontext gesetzt werden können (was ja ein kreativer Schaffensprozess ist) oder der neue Kontext entsteht beim Betrachten, also im Umgang mit dem Gesehenen.

    Für mich ist Fotografie definitiv nicht „… einfach wirklich automatisch Kunst …“ Die Art und Gestalt des „Kontextes“ ist von besonderer Bedeutung, um am konkreten Fall eine Verortung vorzunehmen. Die Kunst-Theorie ist noch lange nicht am Ende.

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