Kontaktsperre: Die Schwäche der Reproduzierbarkeit

Museen, Ausstellungshäuser und Galerien sind nicht systemrelevant, zählen aber, wie wir in den letzten Tagen lernen konnte, gleichzeitig nicht zu den Event-Institutionen, sondern eher – wie Bibliotheken – zu einem Bildungssektor, der zur individuellen (nicht: kollektiven) Versenkung in dingliches bzw. geistiges Gut dient.

Als wenn wir das, was die politischen Entscheidungen von Bund und Ländern nun ausdrücklich bestätigen, nicht schon lange gewusst hätten oder besser gesagt: uns gewünscht hätten. Denn die Zuschreibung zum Sektor der Unterhaltung hat in den vergangenen Jahrzehnten zugenommen – und wenn man realistisch bleibt: das wird auch nach dem „Sieg“ über das Virus wieder so sein. Ob wir wirklich Zeugen eines Zeitenwandels sind, mag man bezweifeln.

Was allerdings im Zustand der temporär verordneten gesamtgesellschaftlichen Kontaktsperre im Hinblick auf den Ausstellungssektor besonders bemerkenswert und vielleicht erinnerungswürdig bleiben wird, ist die eigentümliche Stillstellung der Wirkung von Kunstwerken. Man kann hier eine wirkliche Bremsung, nicht nur eine Entschleunigung bemerken. Zwar versuchen sich die Museen und (zumeist mit noch professionelleren Mitteln) die Galerien durch digitale Events im Gedächtnis der Interessieren wach zu halten, doch geschieht dies in der Regel ausschließlich durch Akteure, die Vermittlung leisten. Dabei ist es die technische Form der Vermittlung und der (mehr oder weniger schauspielerische) Auftritt der Vermittelnden, welche bisweilen fesseln, die ästhetische Eigenwirkung des jeweiligen Kunstwerks geht aber nahezu völlig unter. In diesen monologischen Events der Kontaktsperre besteht keine Möglichkeit des dialogischen Austauschs, keine Chance der Betrachtung von Details oder gar Textur bzw. der Materialität des Objekts. Und neben der spezifischen räumlichen Verortung lebt das Kunstwerk im Unterschied zu anderen Objekten oder Dingen just davon, das wird als ein positives Element der Kunst in der Erfahrung der Abwesenheit einer Form der ästhetischen Erfahrung nun wieder einmal überdeutlich.

Obwohl die großen Theoretiker der Fotografie – angefangen von Benjamin über Barthes etc. – immer wieder die Reproduzierbarkeit der Fotografie hervorgehoben und als ein positives Moment des Mediums gelobt haben, scheitert die digitale Folge einer Präsentation von künstlerischen Fotos, zu denen man via mail durch den Zugang zu einem „viewing room“ erhält, an der unzureichenden Präsenz dieser Reproduktionen. Die ausreichende dokumentarische Funktion des fotografischen Bildes im Rahmen der digitalen Tagespresse überzeugt im Kontext des künstlerischen Diskurses selbst im Kontext einer wie auch immer konzeptuell ausgerichteten Appropriation Art nicht.

Museen sind gut beraten – und bezeichnenderweise ist bislang keine Institution dieser Idee aufgesessen – auf digitaler Ebene keine Foto-Ausstellungen „einzurichten“. Das kann, wie wir spätestens gerade anhand von unzureichender Kunst-„Erlebnisse“ im Netz sehen konnten, nur misslingen. Denn die Ausdifferenzierung von Kunst und Nicht-Kunst, die zu Lebzeiten von Benjamin so noch nicht gegeben war und die heutzutage gern mit dem Hinweis auf diverse Grenzphänomene wieder modisch nivelliert wird, ist nicht zu leugnen. Und in diesem Zusammenhang ist es auch folgerichtig die Reproduzierbarkeit der künstlerischen Fotografie nicht als deren Stärke, sondern als ein theoretisches Miss- bzw. Unverständnis ihrer ästhetischen Dimension zu sehen.

Stefan Gronert

…ist Kurator für Fotografie am Sprengel Museum Hannover

BU: Unbekannte Fotograf*in: Walter Benjamin, 1928

5 Kommentare zu Kontaktsperre: Die Schwäche der Reproduzierbarkeit

  1. Wohl wahr geht es nicht um „Reproduzierbarkeit“ sondern um „Präsentation“. Und auch ich habe schon die eine oder andere „Museumsführung und Kunstpräsentation“ im Netz erlebt, die schon allein durch der technisch/qualitative Umsetzung mit mangelhaft zu beschreiben ist. Das Erlebnis Kunst wird hier schon im Ansatz verhindert. Auch rezipiere ich Bilder an meinem Monitor nicht genau gleich wie im Museum oder in einer Galerie, wie schon treffend hier kommentiert wurde.

    Ich bin aber der Überzeugung, dass eine digitale Foto-Ausstellung durchaus Sinn machen kann. Eine „Ausdifferenzierung von Kunst und Nicht-Kunst“ soll ja nicht nur im Museum statt finden. (Oder habe ich hier etwas missverstanden?)

    Für mich immer ein Erlebnis, schon seit meiner Jugend, war die Reihe „100 Meisterwerke“ und später „1000 Meisterwerke aus den großen Museen der Welt“. Solch eine Präsentation einzelner Werke würde sicher Lust machen, anschließend die zugehörige Ausstellung im Museum zu besuchen.

  2. Was bei digitalen Formaten auch deutlich wird, ist die Wirkung von Größenformaten! Gerade im musealen Kontext kann es sein, dass eine unscheinbare Fotografie in monumentalem Format von mehreren Metern überhaupt erst zur Kunst avanciert.
    Zudem ging es ja bei Benjamin und Co. nicht um eine digitale Reproduktion; schien zu der Zeit vielleicht eine analoge (reproduzierte oder reprodzuzierbare) Fotografie vor dem Hintergrund der unikalen Malerei schon als absoluter “Aura-Killer”, schätzen wir doch heute – mit Wissen um das Ephemere der Digitalität – eine materialisierte (papierne) Fotografie allein wegen ihrer Haptik und ihres “Seins” mehr. Und: Der museale Kontext ist eben auch ein “Aura-Bringer”. Handelt es sich nun um ein Original oder ein Massenprodukt, sobald es im Museum als Einzelobjekt ausgestellt wird, bekommt es einen unikalen Charakter (zurück).
    Ich bin persönlich zwar auch kein Fan von digitalen Ausstellungen, dennoch sind sie wohl wichtig, um gerade in Zeiten wie diesen ein Zeichen zu setzen und die Bedeutsamkeit der Sache trotz Schwierigkeiten hochzuhalten.

  3. Auch meine „unzureichende Kunst-`Erlebnisse´ im Netz“ machten mir wieder bewusst, wie sehr sowohl der Ort als auch die Materialität und die eigenen Bewegungsmöglichkeiten, mit denen ich die Perspektive permanent verändern kann, eine Kunst-Rezeption aufwertet. Schauen ist im Museum, in der Ausstellung eine Bewegungsform, das Betrachten im Raum ähnelt einer „fotografischen Geste“. Wir suchen nach dem besten Blickwinkel, wir untersuchen das Kunst-Objekt aus einer Bewegung heraus. (nicht grundlos war die Bewegung auch für viele Philosophen Voraussetzung für ihr Denken) Und eine intensive Ikonografie, die wir in diesen Momenten versuchen zu betreiben, ist eine Denkleistung die uns bildet (Bildungssektor), nicht nur unterhält.
    Kunstwerke am PC oder Tablet zu betrachten ist eher eine sitzende oder stehende Angelegenheit. In Ausstellungen sind Fotografien im Raum präsent, auch die Betrachter*innen sind wie die Fotobildträger dreidimensionale Körper, die (im besten Falle) irgendwann miteinander kommunizieren – Das digitale Bild ist ein körperloser Code, mir fehlt die Präsenz des Habtischen, auch wenn man Fotografien/Kunstwerke meist nicht anfassen sollte. Freue mich nun auf eine „Wiedereröffnung“ der Häuser, denn in der Krise ist eine Funktion der Kunst besonders wichtig. Sie kann auch Trost spenden. Dazu muss man sein „Herzensstück“ aber auch besuchen dürfen/können.

  4. “[…] scheitert die digitale Folge einer Präsentation von künstlerischen Fotos, zu denen man via mail durch den Zugang zu einem „viewing room“ erhält, an der unzureichenden Präsenz dieser Reproduktionen […]”

    Die Mona Lisa wirkt in ihrer reproduzierten Form auf die meisten Menschen eindrucksvoller als im Original.

    Und besser Kunst im digitalen Raum als gar keine Kunst… Ich halte die Versuche, Kunst und Kultur – auch Fotoausstellungen – insbesondere während der Corona-Pandemie für die Allgemeinheit digital zugänglich zu machen, in jeder Hinsicht für schätzenswert.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

71 − 65 =