Ist das Kunst oder kann das weg?

Ein Problem der Präsentation von Fotografie in Kunstmuseen aus Anlass einer Ausstellung von Robert Lebeck

Das Jahr 1968 liegt nun schon ein halbes Jahrhundert hinter uns, so dass dies für die mittlerweile stark veränderte Republik ein gelungener Anlass sein darf auf ein umwälzendes Jahr seiner Geschichte selbstzufrieden zurückzuschauen. Das Kunstmuseum Wolfsburg reflektiert dieses Thema in Kooperation mit dem Institut für Zeitgeschichte und hat daher unlängst eine Ausstellung des „deutschen Fotografen, Bildjournalisten und Sammler Robert Lebeck (1929–2014)“ (Pressetext) eröffnet, die noch bis 22.7. in großem Stile dort zu sehen ist. Das ist hilfreich und historisch wertvoll, denn nicht nur die Generation der heutigen Rentner kann hier auf ihre eigene Geschichte zurückschauen, sondern gerade auch jüngeren Menschen wird Geschichte bildlich und mit Textmaterial sowie einem üppig ausgestatteten Katalog des Steidl-Verlags eindrucksvoll vor Augen geführt.

Dazu sind viele Bilder überaus aufwändig gerahmt worden, ein Film ist zu sehen und schon beim Ausstellungsauftakt wird man mit extrem vergrößerten Bildern des ehemaligen „Stern“-Reporters in jene Zeit der Schwarzweiß-Fotografie hineingezogen. Auch die Mediengeschichte wird so noch einmal deutlich. Und durch die enge Zusammenarbeit mit dem Lebeck-Archiv kann man – ein weiteres Bonbon – die Mehrzahl der Bilder erstmals in dieser Ausstellung sehen, da sie einst nicht veröffentlicht wurden.

„Ob ‚Geschiedene Frauen‘, Rudi Dutschke in Prag, Robert F. Kennedys Beerdigung oder Joseph Beuys auf der documenta“, heißt es in den Verlautbarungen des Kunstmuseums: „Stets trifft in Robert Lebecks Arbeiten verdichtete Zeitgeschichte auf starke Bildreportage sowie Fotokunst.“ – Aber Moment mal: „Foto-Kunst“? Geht es hier nicht vielmehr um journalistische Dokumente, die in einem Kunstmuseum gezeigt werden? Wurde eingangs von einem „deutschen Fotografen“ gesprochen, so wird Robert Lebeck wenige Zeilen später zum „Künstler“ befördert. Hatte er je diesen Anspruch? Wurde er zu Lebzeiten so verstanden? Davon weiß noch nicht einmal Wikipedia etwas. Aber wie legitimiert sich hier die Aufgabenstellung und Selbstdefinition eines Kunst-Museums?

Der Umgang mit Robert Lebeck ist nur die Spitze eines Eisbergs, der in den letzten Jahren entgegen der Klimakatastrophe nicht geschmolzen, sondern gewachsen ist. Offenbar hat die enthusiastische Resonanz des Publikums auf die Fotografie in den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts dazu geführt, dass Fotografie umstandslos generell als Kunst vereinnahmt ist. Aber ist das richtig? Stimmt die simple Gleichung Fotografie = Kunst, so dass jetzt retrospektiv alles eingemeindet werden kann? Und warum stellt dann nicht ein Kunstmuseum meine Urlaubsbilder oder meine Röntgenbilder, die ja immerhin durch einen großen Abstraktionseffekt verblüffen, aus?

Um nicht missverstanden zu werden: es geht hier nicht um eine Diffamierung einzelner Fotografen, sondern darum der Aufgabe einer Differenzierung verschiedener Arten der Fotografie gerecht zu werden: Mode-Fotografie ist nicht journalistische Dokumentarfotografie ist nicht wissenschaftliche Fotografie ist nicht Urlaubsfotografie ist nicht künstlerische Fotografie ist nicht Selfie-Fotografie für soziale Medien etc. pp.

Zum Bildungsauftrag eines Kunstmuseums zählt eben auch die vorbildliche Differenzierung und nicht die Nivellierung. Wenn etwas zur Kunst erklärt wird, muss man auch sagen können, warum dies legitim ist, d.h. inwiefern es sich zur Bildgeschichte verhält. Dass man letztlich an jedem gelungenen Foto gleich welcher Funktion auch „ästhetische“ Elemente ausmachen kann, dürfte wohl kaum ausreichen. Vielmehr muss es um die Frage gehen, mit welcher Aufgabe und welchem Anspruch die Fotografie antritt und ob sie sodann in dem jeweiligen Bild-Diskurs bestehen kann.

Lebeck kann dies im Kunst-Diskurs nicht – und das ist ihm auch nicht vorzuwerfen, denn er ist einer den zentralen Fotojournalisten jener Zeit. Die Kritik an seiner Zuordnung zur Kunst trifft also nicht die Qualität seiner Fotografie generell. Aber warum zeigt man ihn dann in einem Kunst-Museum, dass sich dadurch gleichzeitig selbst desavouiert?

 

Stefan Gronert

…ist Kurator für Fotografie am Sprengel Museum Hannover

 

BU: Robert Lebeck: Richard Nixon während des Vorwahlkampfs zur 46. Wahl zum Präsidenten der USA, Manchester, New Hampshire, 16. Februar 1968 © Archiv Robert Lebeck

1 Kommentar zu Ist das Kunst oder kann das weg?

  1. Sehr geehrter Herr Gronert, für mich stellt sich das Dilemma von Reportagefotografie und Kunst mit Robert Kappa und Adorno dar.
    Robert Capa: “Die Wahrheit ist das beste Bild”.
    Adorno: “Kunst ist Magie, befreit von der Lüge, Wahrheit zu sein.”

    “…Aber warum zeigt man ihn dann in einem Kunst-Museum, dass sich dadurch gleichzeitig selbst desavouiert vor?”
    Nun die Frage wird wohl selbst das Kunstmuseum Wolfsburg selbst nicht vollständig beantworten können, denn laut Wikipedia heist es: “… Die Erklärung für Zufall ist also gerade der Verzicht auf eine (kausale) Erklärung.”

    Verraten hat sich da Alexander Kraus, Historiker IZS Wolfsburg. (Quelle: https://youtu.be/SlDHIr9VPnc 2:42 – 2:48). Zitat: “… es ist ein Zufallstreffer gewesen …. (2:58) …. mit dem Moment war Klar, dass Robert Lebeck irgendwann in den späten 60er Jahren in Wolfsburg gewesen sein musste. … (3:08).” Sogar 3!!! Mal. So hat dann wohl das Institut für Zeitgeschichte und Stadtpräsentation (IZS) kurzerhand das Kunstmuseum Wolfsburg gekapert und poliert jetzt das Image der Stadt mit dem markigen Titel “Robert Lebeck 1968” auf. (3:34).

    Gut für Wolfsburg, gut für Robert Lebeck und … gut für Cordula Lebeck, die gleich mal den Ausstellungskatalog gestalten durfte und … im “Gegenzug bekommt das Museum 110 fineart prints für seine Sammlung (7:43).”

    Spannend wäre auch die Frage, ob denn die Fotografien “… Viele von ihnen sind – das macht den besonderen Reiz der Ausstellung aus – nie gedruckt worden und der Öffentlichkeit bislang komplett unbekannt. …” vielleicht schon 2016 in Berlin zu sehen waren. http://www.willy-brandt-haus.de/kunst-kultur/ausstellulngen/robert-lebeck/ “… hat seine Ehefrau und engste Mitarbeiterin Cordula Lebeck nun eine breitgefächerte Auswahl aus weitgehend unveröffentlichtem Material zusammengestellt. …” Ok, aber das wäre jetzt wirklich ein Zufall. 🙂

    Museum und Fotoreportage das kann auch gut funktionieren –
    z.B. so: http://www.dpmu.de/ausstellungen/kiosk/
    Oder auch so: http://www.dhm.de/ausstellungen/archiv/2017/die-erfindung-der-pressefotografie.html
    so: https://www.smb.museum/museen-und-einrichtungen/museum-fuer-fotografie/ausstellungen/detail/abisag-tuellmann-1935-1996.html
    und so: http://www.musee-orsay.fr/de/veranstaltungen/ausstellungen/in-museen/ausstellungen-im-musee-dorsay-mehr-informationen/page/0/article/die-fotoreportage-7870.html?tx_ttnews%5BbackPid%5D=649&cHash=45e95d6f3b

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

+ 26 = 29