contemporary german photography – Taschen Verlag 1997

Neulich kam mir der Bildband mit dem verheißungsvollen Titel wieder in die Hände und ich habe ihn eine Weile auf mich wirken lassen. Ich erinnere mich, dass er zum Erscheinungszeitpunkt als bedeutsame Bestandsaufnahme angesehen wurde, wiewohl kontrovers gesehen von denen, die nicht darin vertreten sind. Insofern passt das Werk zu gerade aufflammenden Debatten über west-östliche Verteilungskämpfe.

Das äußere Maß entspricht etwa dem Postleitzahlenbuch, historisch gesehen. Informationen über das Wieso und Warum sind spärlich. Den Inhalt des Bandes muss man sich buchstäblich erarbeiten: Tabellarische Hilfen wie ein Inhaltsverzeichnis, Seitenzahlen oder eine Autorenliste sind ebensowenig zu finden wie ein auf den ersten Blick nachvollziehbares Sortierprinzip und Hinweise auf damit verbundene Ausstellungen. Als Herausgeber ist Markus Rasp aus München genannt, das Vorwort kommt vom Berliner Ulf Erdmann Ziegler und gibt einen knappen foto- und zeitgeschichtlichen Abriss der frühen 90er Jahre aus Essener und Westberliner Sicht. 

Das Line Up des Buches besteht aus damals noch wenig bekannten Namen. Jeder Fotografin, jedem Fotografen stehen meist sechs Doppelseiten zur Verfügung, davon eine für ein Statement und einen kurzen Lebenslauf. Die Texte sind dreisprachig parallel lesbar. Mit einem der Protagonisten, Andre Zelck aus Essen, war ich 1997 zur Eröffnung der dazu gehörigen Ausstellung in einer Charlottenburger Galerie unterwegs. 

Dazu muss ich etwas ausholen: Die 90er Jahre sind an mir merkwürdig vorbei gerauscht. Die Gewissheiten des westdeutschen flachen Landes waren mir ebenso fremd wie die ostdeutschen Versuche, entweder daran anzuschließen oder sich davon abzugrenzen. Interessante künstlerische Vermischungen mit Ausblick sah ich an bestimmten regelarmen Orten in einem Teil von Berlins Mitte und in einigen Außenposten wie der Brotfabrik in Berlin-Weißensee, wo damals gerade Andre Zelck seine Fotografien ausgestellt hatte. Eine spezielle Spielwiese war auch die Art Cologne mit ihrer Halle 5, wo in den Förderkojen allerlei Interessantes zu entdecken war. In diesem Gefüge erschien das Buch mit dem titelgebenden Anspruch. Liest man die Biographien der Beteiligten, so wurden diese zwischen 1963 und 1971 geboren und haben normalerweise in München oder Essen studiert, Bielefeld kommt auch vor, einmal Leipzig. 

Der heutige Eindruck auf mich ist ziemlich homogen. Es sind Bilder, wie wir sie aktuell noch aus den Zeitungsmagazinen kennen. Der Fotograf, die Fotografin begegnet einer Situation, geht darauf mehr oder weniger gründlich ein, macht eine Geschichte daraus. Das ist kein Tagesjournalismus und nicht die hehre Kunst, es liegt irgendwo dazwischen. 

Man merkt die Prämissen der vorangegangenen Ausbildung: Fast ausnahmslos wird auf Farbnegativfilm fotografiert, wodurch über allen Bildern ein inzwischen ungewohnter Grundton liegt. Die in den 90ern sich gerade etablierende Computertechnik kommt höchstens im Hintergrund zum Einsatz. Insgesamt spielt die Oberfläche des Objektes in Schärfe und Unschärfe eine große Rolle. Sehr gern werden frontal angeblitzte Hautpartien mit allen Einzelheiten leicht überbelichtet wiedergegeben wie bei Werner Amann, was vielen Aufnahmen eine seltsame Sterilität verleiht. Eine erfrischende Exotik haben die knalligen Porträts von Katharina Bosse. Andre Zelck hatte sich in eine Proletarierfamilie im Ruhrgebiet begeben und ist damit dem Reportagestil am nächsten. Formale Experimente – Negativprint, Falschfarben und Schwarzweiß – kommen von Bert Henzlmeier. Ich sehe Fotos von verinnerlichter westdeutscher Provinz, auf denen ich die Klinkersteine in den Reihenhäusern zählen kann und distanzierte Annäherungen an den Jugoslawienkrieg. Städte- und Landschaftsfotografien wie die von Ulrike Myrzik und Manfred Jarisch erscheinen streng durchgeplant, Straßenfotografie wirkt inszeniert, selten lebendig. Die Darstellung von Raum und Zeit hat fast immer eine konzeptionelle Filterung durchgemacht, deren Bestimmtheit neue Erkenntnisse weitgehend ausschließt. 

Versuche, das Nichtabbildbare einer Situation abzubilden, führen zu Detailaufnahmen von stellvertretenden Räumen und Gegenständen. Ähnliches habe ich auch von der Leipziger Schule der frühen 90er in Erinnerung, aber aus dem Stall kommt in dieser Auswahl nur Göran Gnaudschun, der mit seiner Vitalität deutlich auffällt.

Viele Beteiligte des Buches begegnen uns gegenwärtig noch in Bildunterschriften, Ausstellungs- und Lehrstuhllisten. Etwas nachdenklich macht mich die Gewissheit, dass die dargestellten Menschen, wenn sie noch leben, inzwischen mindestens 25 Jahre älter sind und dass das Umfeld, aus dem heraus sie gesehen und verstanden wurden, so nicht mehr existiert. Ich sehe wie ein Personenkreis mit einer bestimmten Konditionierung auf die Welt blickte. Das Buch erzählt deshalb heute mehr etwas über die damalige Zeit und die Akzeptanz spezifischer Denkstrukturen als von dieser Zeit. Aber da geht es schon wieder um die Infragestellung der leidigen fotografischen Wahrheit, jetzt wird es langweilig. 

Florian Merkel

…ist Fotograf, Musiker, Autor aus Berlin

BU: Cover des Bandes mit dem Foto von Wolfgang Bellwinkel,  Father and son near Mostar 

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