Autonomes Einzelbild oder Serie: Anna Gaskells originelle Erzählweisen

Den Namen hat man vor längerer Zeit schon einmal gehört, aber lange nichts mehr gesehen: Nun zeigt die Kunsthalle Gießen bis 8. April die erste institutionelle Einzelausstellung der amerikanischen Fotografin Anna Gaskell. Die 1969 in Iowa geborene, seit langem in New York lebende Künstlerin hat bei Gregory Crewdson, einem Meister der theatralischen Erzählkunst studiert. Doch Gaskell hat einen eigenen, sehr ungewöhnlichen Erzählstil entwickelt, der nach ihrem Debüt um 2000 in den vergangenen Jahren merkwürdigerweise etwas in Vergessenheit geraten ist.

Schon allein deshalb lohnt die Reise in die hessische Studentenstadt, wo die neue Kunsthallen-Kuratorin Nadia Ismail in überraschend schönen Räumen aus ihrem Dissertationsthema eine sehenswerte Ausstellung auf die Beine gestellt hat. Neben zwei großformatigen Videos sind dort vor allem zwei mehrteilige fotografische Reihe zu sehen, aus denen die 1998 entstandene 17-teilige Arbeit „Hide“ herausragt. Dass es dabei um eine Reihe geht verrät auf den ersten Blick nur die gleichartige Rahmung und die benachbarte Hängung auf einer langen Wand. Die Motive, die Blickwinkel und vor allem die Größe der Bilder ist dabei sehr unterschiedlich: zwei kleine Fotos messen nur 20 x 25cm, während die größten, überdies unregelmäßig und das heißt auch in variierenden Abständen platzierten Fotos 172 x 142 cm groß sind. Auch die Größenverhältnisse der fragmentarisch gezeigten Figuren variiert. Man rätselt: handelt es sich hier wirklich um eine Bildgruppe oder funktionieren die Bilder eher als Einzelbilder? Oder ist vielleicht die Frage falsch gestellt, handelt es sich gar nicht um eine Alternative?

Erkennbar wird recht schnell der motivische Zusammenhang: Immer handelt es sich um junge Mädchen, die dramatisch beleuchtet in rätselhaften Räumen agieren – wobei „agieren“ schon das falsche Wort ist, denn zumeist sind sie inaktiv und der Betrachter blickt auf fragmentarische Ansichten von Liegenden (seltener: Stehenden), denen in klassischer Stillleben-Manier ein Gegenstand oder ein vermeintliches Attribut zugeordnet ist. Gothic, Horror, latente Erotik, bildgeschichtliche Referenzen oder Erinnerungen an Grimm‘sche Märchen stellen sich hier ein und unwillkürlich fragt man sich nach kurzer Zeit nach einem narrativen Zusammenhang der Fotos, der aber verweigert wird. Der Betrachter muss die Uneindeutigkeit aushalten und ist selbst gefordert sich durch und über die bildlichen Leerstellen hinaus eine Erzählung zu imaginieren, für die er am Ende aber keineswegs mit einer „Lösung“ belohnt wird. Viel stärker als in den gängigen Einzelbildern, die derartige Rätsel mystisch feiern (wie z.B. Crewdson), ist der Betrachter in Gaskells mehrteiliger Erzählstruktur als aktives Individuum gefordert. Das muss man im Unterhaltungszeitalter aushalten können und auch wenn die dramatisch aufgeladenen Bildmotive bisweilen affektiert anmuten mögen, kann wohl niemand in Abrede stellen, dass Gaskell einen wirklich originellen Erzählstil gefunden hat, der die herkömmliche Alternative von Serie und Einzelbild geschickt unterläuft.

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