Alles Gut? Neue Aussichten in den Deichtorhallen

Die Deichtorhallen in Hamburg präsentieren noch bis zum 21.5. zwei Ausstellungen des seit 2004 jährlich gezeigten Formates „Gute Aussichten – Junge deutsche Fotografie“, bei dem talentierte Fotografie-Absolventen der deutschen Hochschulen ausgezeichnet werden. Im Haus der Photographie sind nun die acht PreisträgerInnen von 2017/2018 mit ihren Werken sowie parallel eine Auswahl aktueller Arbeiten der PreisträgerInnen aus den vergangenen 14 Jahren unter dem Titel „Gute Aussichten Deluxe“ zu sehen.

Die Foto- und Videoarbeiten reflektieren dabei gleichsam zeitlose wie aktuelle Fragestellungen. Ein markanter Schwerpunkt der diesjährigen Werkschau ist die Befragung der Identität und Identitätsbildung durch Identifikation mit bestimmten Orten, mit Familie und Objekten und fotografischen Medien als Möglichkeit der Erinnerung und Selbstinszenierung. Der Fetisch nach dem eigenen Bild ist zwar kein neues Thema und keinesfalls ein exklusives Problem der jüngsten Generation – doch angesichts der wachsenden Präsenz sozialer Medien und dem raschen technologischen Fortschritt im Bereich der Handykameras ein Thema, das den Fotokünstlern anscheinend aktuell unter den Nägeln brennt.

Laura Giesdorf (*1994), diesjährige Preisträgerin, zeigt in ihrer Video-Installation „Full Coverage Makeup Tutorial – Concealing Myself with Flawless Monotony“ (2017; s. Abb.) einen ironischen Kommentar zum weit verbreiteten Youtube-Format des Schminktutorials, das vor allem von jungen Mädchen und Frauen gerne zurate gezogen wird. Sie übernimmt die in den Youtube-Videos gängige Mimik und Kameraperspektive, wobei sie jedoch absichtlich übertreibt, sich unzählige Male mit dem Applikator über die Lippen fährt und ihr inneres Augenlid ungelenk mit schwarzer Farbe malträtiert. Giesdorf entlarvt durch diese Zuspitzung das Auftragen von Make-up als Komponente weiblicher Performanz, die dazu dient, sich einer bestimmten Geschlechterrolle unterzuordnen. Die beinahe autoaggressive Performanz in ihrem Video ist zwar belustigend, erhält jedoch durch die Tatsache, dass eine makellose Oberfläche von vielen Frauen (wie auch Männern) als Grundbestandteil der eigenen Identität angesehen wird, einen bitteren Beigeschmack. Über die Tonspur sind verzerrte Audiomitschnitte aus den Schminkvideos zu hören – immer wieder sticht dabei ein unheilvoll verlangsamtes „make-up everyday“ hervor – als Lebensphilosophie und Fluch zugleich.

Sarah Strassmann (*1980), 2008/09 ausgezeichnet, beschäftigt sich in ihrer seit 2014 fortlaufenden Werkreihe „Expanded Pictures“ mit dem fotografischen Selbstportrait als Fetisch im Zeitalter des Smartphone und diverser Social Media Plattformen. Strassmann zeigt in ihrer Arbeit, dass das Selfie, obwohl es gerade die eigene Individualität hervorheben soll, dennoch dem technologischen Fortschritt, den Medien ihrer Verbreitung und vor allem einer durch Trends definierten Bildgestaltung unterliegt. Aus der Perspektive einer Forscherin trägt sie die Fundstücke der zeitgenössischen Selbstinszenierung – nüchterne Fotografien von Smartphone Stativen, Selfie-Sticks und Helmkameras zusammen und kombiniert sie mit einer über den Boden des Ausstellungsraumes ausgebreiteten Installation von Selfies. Aus der schieren Masse der verwendeten Selfies, auf denen ausschließlich junge Frauen zu sehen sind, die ihr Gesicht zu einem „Duckface“ verziehen, wird vor allem eines deutlich: Dass die behauptete Individualität in der kollektiven, sich mit der Mode wandelnden Bildsprache untergeht.

Neben den beiden vorgestellten Arbeiten sind im Haus der Photographie viele weitere interessante Positionen zum Thema Identität und Oberflächlichkeit zu sehen, die als Auseinandersetzung mit dem zunehmenden Narzissmus und Exhibitionismus in unserer Gesellschaft gesehen werden können. Sind das gute Aussichten?

Patricia Hartmann

…ist Kunsthistorikerin und freie Kunstvermittlerin in Hamburg

 

Abb.: Copyright: Laura Giesdorf

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