4 Fragen an… Karen Fromm

Du bist Professorin für Fotojournalismus und Dokumentarfotografie. Meint dieses „und“ eigentlich eine „natürliche“ Verbindung oder eher ein zweites, numerisch ergänzendes Element?

Tatsächlich denken wir gerade über eine stärkere Internationalisierung und zukünftige bilinguale Ausrichtung des Studiengangs und damit auch über eine Umbenennung in „Visual Journalism and Documentary Photography“ nach. Mit dem neuen Namen reagieren wir auf aktuelle Entwicklungen in den Feldern des bildbasierten Journalismus und dokumentarischen Erzählens, für die die Integration verschiedener visueller Medien und ihre cross-, multi- und transmediale Publikation zunehmend an Bedeutung gewinnen. Ausgehend von der Fotografie richten wir unseren Fokus damit auf ein weiter gefasstes Verständnis visueller Ausdrucksformen.

Doch die Verbindung des Journalistischen und des Dokumentarischen, auf die Deine Frage abzielt, findet sich selbstverständlich auch in dem neuen Namen. Eine gleichsam „natürliche“ Verbindung meinen für mich aber weder „Fotojournalismus und Dokumentarfotografie“ noch „Visual Journalism and Documentary Photography“, nicht zuletzt, weil ich die jeweiligen Begriffe als kontingent, historisch relativ und damit immer innerhalb spezifischer Verwendungskontexte etabliert begreife. Auch gegen die Idee einer vor allem stilistischen oder ästhetischen Opposition, die oftmals zwischen Fotojournalismus und Dokumentarfotografie festgemacht wird, würde ich argumentieren. Für mich ist das Dokumentarische tatsächlich die verbale Klammer, unter der sich auch der Fotojournalismus, als eine spezifische fotografische Gebrauchsweise, verorten lässt. Der Begriff des Dokumentarischen impliziert ein Verhältnis zum Realen, aber ich würde mich hier bewusst auf Lacans Verständnis des Realen beziehen, der etwas letztendlich Uneinholbares beschreibt. Für mich zeichnet sich das Dokumentarische gerade dadurch aus, dass es permanent infrage gestellt und wieder bestätigt werden muss, ich sehe es daher vor allem als ein kontextbedingtes, mobiles Konzept, weniger als Resultat, als eine Handlung, bei der Konstruktion und Dekonstruktion permanent ineinandergreifen. Genau diese Überlegungen halte ich für zielführend, um ein zeitgenössisches Verständnis bildjournalistischer Praktiken zu entwickeln, die sich davon verabschieden, dass eine „dokumentarische“ Kamera visuelle Fakten liefert.

Du musst grundsätzlich mit einer doppelten Perspektive umgehen, wenn Du als Theoretikerin, als Lehrerin mit Fotograf*innen konfrontiert bist, die nach einer praktischen Umsetzung streben. Wie siehst Du in diesem Zusammenhang Deine Rolle: Lieferst Du normative, historisch präformierte Grenzen (qua Bildgeschichte), “moralische Erziehung“ (wie weit darf eine Jounalist*in gehen?) oder philosophische Bildung (was ist Journalismus, was Kunst?). Wie würdest Du Deine Aufgabe gegenüber den Studierenden beschreiben?

Für mich geht es in der Lehre mehr und mehr um das Reflektieren der Möglichkeiten einer zeitgenössischen erzählerischen Fotografie und zukünftiger Ausdrucksformen im bildbasierten Journalismus. Dafür spielen das Vermitteln von Bildgeschichte und -theorie, Repräsentationskritik und auch Fragen der Medienethik eine Rolle. Eine zentrale Aufgabe ist für mich, Anreize zu geben, die eigene visuelle Praxis in den weiteren Kontext kultureller, sozialer und politischer Diskurse einzubetten. Genau dafür scheint mir die Schnittstelle zwischen Praxis und Theorie, für die ich stehe, extrem produktiv. Denn heute benötigen wir mehr denn je Bildproduzent*innen, die die Milliarden an Bildern, die über unsere vernetzten digitalen Kulturen zur Verfügung stehen, zu reflektieren wissen, um ihnen ihre eigenen Konzepte entgegenzusetzen. Fotograf*innen, die verstehen, dass jedes Bild Ergebnis eines komplexen Zusammenspiels nicht nur fotografischer und ikonografischer Gegebenheiten ist, sondern auch politischer und medialer Zusammenhänge. 

Wie siehst Du das Digitale und das Fotografische? Kann man Fotografie ohne die digitale Technik heute noch sinnvoll praktizieren – und: ist die Fotografie nicht sogar die Grundlage des digitalen Zeitalters? 

Zentral für das Verhältnis des Fotografischen und Digitalen scheint mir nicht die jeweilige Technik, die bei der Entstehung von im weitesten Sinne fotografischen Bildern zur Anwendung kommt. Ich denke aber, dass heute auch eine rein analoge Fotografie nicht unabhängig von digitalen Entwicklungen gedacht werden kann. Gegenwärtig betrachten wir fotografische Bilder vorrangig auf Displays, wir interagieren mit ihnen eingebettet in digitale Infrastrukturen und deren visuelle Regime. Fotografien sind Massengut und -kommunikationsform, sie sind integraler Bestandteil unseres Alltags, viele Leseprozesse laufen mittlerweile ohne menschliche Beteiligung, von Maschine zu Maschine, ab. In diesem Zuge werden unsere Vorstellungen von Repräsentation, Dokumentation und fotografischer Zeugenschaft in Frage gestellt. Das Medium ist geprägt von massiven Veränderungsprozessen, die seine Instabilität vorantreiben und das fotografische Handeln nachhaltig beeinflussen, egal ob sich dieses Handeln analoger oder digitaler Techniken der Bildentstehung bedient. Insofern würde ich sagen, Fotografie kann man heute sehr wohl ohne Zuhilfenahme digitaler Techniken sinnvoll praktizieren, sie lässt sich allerdings nur im Zusammen- und Wechselspiel mit unserer digitalen Kultur lesen.

Möglicherweise werden wir ja ein Bundesinstitut für Fotografie erhalten. Was erwartest Du von einer solchen, konzeptionell bislang noch nicht vollkommen definierten Einrichtung?

Ein Bundesinstitut für Fotografie sollte die Brücke schlagen zwischen den historischen Gebrauchsweisen und den aktuellen Kontexten und Praktiken des Fotografischen. Aktuell fehlt es weniger an einem Museum als an einer Plattform, die die unterschiedlichen Diskurse der Fotografie, ihre Erforschung und Vermittlung bündelt und vorantreibt. Die Frage heute ist weniger „Was ist Fotografie?“ oder „Was ist künstlerische, was dokumentarische Fotografie?“ als „Was wird Fotografie? – kulturell, sozial und politisch“. Dies sollte ein Bundesinstitut für Fotografie im Blick haben.

 

Mit bestem Dank an

Karen Fromm

…ist Professorin im Studiengang „Fotojournalismus und Dokumentarfotografie“ an der Hochschule Hannover

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